Laut Statistik geht die Kriminalität in Bayern kontinuierlich zurück. Das sei aber keineswegs ein Ausdruck von mehr Sicherheit, so Hermann Benker. Die Personalnot zwinge die Beamten, die Fahndungsintensität zu reduzieren, dadurch würden weniger Straftaten registriert. 1000 neue Stellen soll die Polizei nun bekommen. Doch der Gewerkschaftler nennt das "einen Tropfen auf den heißen Stein“.
BSZ: Herr Benker, die bayerische Polizei bekommt 1000 neue Stellen. Sind Sie begeistert?
Benker: Es ist ein Anfang. Noch sind das Stellen auf dem Papier. Es dauert Jahre bis wir alle Leute dafür ausgebildet haben. Ursprünglich hatten wir 3000 neue Stellen gefordert, erkennen aber lobend an, dass Bayern als einziges Bundesland überhaupt noch neue Stellen schafft.
BSZ: Oberbayern Nord bekommt 151 Stellen, Unterfranken 66. Ist das gerecht?
Benker: Wie diese Verteilung ablief, lässt sich mit einem Sprichwort verdeutlichen: „Der Berg kreißte und gebar eine Maus.“ Mehr als ein Jahr lang wurde in Geheimzirkeln verhandelt, statt gemeinsam den bestmöglichen Kompromiss zu suchen. In meinen Augen ist das unprofessionell. Hätte man am Ende alle Wünsche erfüllen wollen, hätte es das zigfache an Stellen gebraucht. Insofern ist das Ergebnis ein Tropfen auf den heißen Stein.
BSZ: Sie fordern noch mehr Stellen?
Benker: Unter Stoibers Sparwut sind riesige Lücken entstanden. Um die aufzufüllen, brauchen wir über einen längeren Zeitraum jedes Jahr mindestens 1000 Neueinstellungen.
BSZ: Innenminister Herrmann stellt jedes Jahr mit Stolz die Kriminalitätsstatistik vor, die einen Rückgang der Kriminalität in Bayern verzeichnet – trotz der Personalknappheit. Wie passt das zusammen?
Benker: Wir haben gute Aufklärungsquoten bei den Straftaten, die uns gemeldet werden. Was die Statistik aber nicht zeigt, ist, dass uns bei der Bearbeitung vieler Delikte für die Tiefe oftmals die Ressourcen fehlen. Im Vergleich zu früher haben wir viel weniger Aufgriffe bei Drogen. Aber nicht weil es weniger Delikte gibt, sondern weil wir die Fahndungsintensität reduziert haben. Ein Ausdruck von absoluter Sicherheit ist das nicht.
"Oft steht nachts nur eine Streife zur Verfügung"
BSZ: Stimmt es, dass bei manchen Dienststellen Bayerns nachts nur noch ein Anrufbeantworter läuft?
Benker: Ja, aber es gab schon immer Dienststellen, die nicht rund um die Uhr betrieben wurden. Wirklich problematisch ist, dass viele Dienststellen nachts nur noch mit maximal drei Leuten besetzt werden können. Es steht also nur eine Streife zu Verfügung, und die Dienststelle ist mit einem einzigen Beamten besetzt. Da wird mir ein bisschen Angst. Dass wir noch keine größeren Sicherheitsstörungen zu diesen schwachen Zeiten hatten, ist reines Glück.
BSZ: Im Fokus stehen aktuell Rowdies in Fußballstadien. Gibt es hier eine neue Qualität von Gewalt?
Benker: Natürlich gab es schon immer Randale, aber sie haben heute tatsächlich eine ganz neue Dimension – auch durch den Einsatz von Pyrotechnik. Der Deutsche Fußballbund hat vor einem knappen Jahr einen großen Fehler gemacht, als er angekündigt hat, Pyrotechnik in einem bestimmten Umfang zulassen zu wollen. Als der DFB im Frühjahr nun einen Rückzieher gemacht hat, haben sich die Ultras veräppelt gefühlt. Auch hier hatten wir bislang einfach Glück, dass es noch keine schlimmeren Verletzungen gab.
Runder Tische mit Fußballvereinen: "Alibiveranstaltung"
BSZ: Innenminister Herrmann hatte die bayerischen Spitzenvereine zum Runden Tisch geladen…
Benker: …von dem ich sehr enttäuscht bin. Erstens wurde keine einzige konkrete Maßnahme beschlossen. Und zweitens hat man innerhalb dieses erlauchten Zirkels nicht auf eine echte Problemdiskussion gesetzt, sondern auf die Demonstration von Harmonie. Das war eine Alibiveranstaltung, zu der weder Gewerkschaften noch Landespolitiker geladen waren. Kritische Themen – beispielsweise ob man den Fußballverband an den Kosten von Polizeieinsätzen beteiligen sollte – wurden komplett ausgeklammert.
BSZ: Steigende Gewaltbereitschaft registrieren die Polizisten auch gegen sich selbst.
Benker: Das beschränkt sich nicht auf die Polizei, sondern betrifft alle Rettungskräfte. Es scheint hier ein Werteverlust eingetreten zu sein, gesellschaftliche Grundsätze spielen oft keine Rolle mehr. Da müsste man früher ansetzen – und zwar in der Familie. Weder Schule noch Polizei können hier Reparaturanstalt unserer Gesellschaft sein.
BSZ: Könnte eine Ursache nicht auch ein Imageverlust der Polizei sein? Gerade in den vergangenen Monaten häuften sich Vorwürfe gegen ein brutales Vorgehen von Polizisten.
Benker: Das Thema Gewalt gegen Polizisten gab es bereits zuvor. Aber natürlich nehme ich jeden Vorwurf ernst. Über den aktuellen Fall in Landshut, wo ein anonymer Schreiber schwerste Vorwürfe gegen Polizeibeamte erhebt, bin ich sehr enttäuscht. Mir schwillt der Kamm, wenn ich höre, dass die wichtigste Frage des Dienststellenleiters war, wer den Brief geschrieben hat. Unter so einer verwerflichen Vorgehensweise leidet das Image der ganzen Polizei.
BSZ: Aber auch Sie haben sich immer wieder gegen eine unabhängige Aufsichtsstelle ausgesprochen.
Benker: Bereits jetzt ermittelt eine andere Inspektion als die, wo sich Vorfälle ereignet haben. Darüber hinaus hat eine unabhängige Kontrollinstanz für Polizeidienststellen in unserem Rechtssystem keinen Raum. Und ein Vorwurf würde ja immer bleiben: Polizisten ermitteln gegen Polizisten.
BSZ: Angesichts der vielen Probleme, haben Sie genug Nachwuchs?
Benker: Es gibt in Bayern noch genügend junge Leute, die zu uns kommen wollen. Außerdem haben wir sehr viel Zulauf aus Thüringen und Sachsen. Allerdings heißt das nicht, dass das so bleibt. Der Polizeiberuf an sich ist bei jungen Leuten sehr attraktiv, die Verdienstmöglichkeiten aber weniger.
BSZ: Wie sieht es beim weiblichen Nachwuchs aus?
Benker: Der Frauenanteil bei den Einstellungen liegt bei etwa 30 Prozent. Vor einigen Jahren ging er allerdings ein bisschen zurück – damals wurde die Sportprüfung verschärft. Es gab manche, die behauptet haben, man wollte damit den Frauenanteil nicht zu groß werden lassen. Ganz von der Hand weisen lässt sich das nicht. Aber es interessieren sich zunehmend Frauen für die Polizei.
BSZ: Polizisten werden auch mal Mutter oder Vater, gibt es genügend Teilzeitstellen bei der Polizei?
Benker: Anträge auf Teilzeitstellen müssen – wenn es um die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen geht, gewährt werden. Sie stellen die Dienststellen aber vor Probleme. Die Polizei arbeitet rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche. Da sind Teilzeitbeschäftige sehr schwer voll einzugliedern. Der hohe Planungsaufwand, den das erfordert, bindet aber wieder zusätzliche Kräfte. Das ist ein Teufelskreis. Um diesen zu durchbrechen, bräuchten wir wesentlich mehr Stellen für die mobile Reserve, um Ausfälle - bedingt durch Schwangerschaft, Eltern- und Teilzeit – kompensieren zu können.
(Interview: Angelika Kahl)
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