Politik

Nach wie vor kann man auch in Bayern viele Verwaltungsleistungen nicht digital erledigen. (Foto: dpa/Luisa Hofmeier)

24.11.2022

Digital – ist doch egal!

Das Onlinezugangsgesetz sieht vor, dass sämtliche Verwaltungsleistungen bis Ende des Jahres digital vorhanden sein sollen – doch davon sind die Behörden weit entfernt

Bis Ende dieses Jahres sollen Bund, Länder und Kommunen all ihre Verwaltungsleistungen auch digital anbieten. So regelt es das 2017 noch von der Großen Koalition erlassene Onlinezugangsgesetz (OZG). Doch wenige Wochen vor Ablauf der Frist ist längst klar: Dieses Ziel wird nicht erreicht – bei Weitem nicht.

Selbst die 35 Leistungen, auf deren Priorisierung sich alle am Prozess Beteiligten im Mai dieses Jahres geeinigt hatten, werden wie vorgesehen bis Jahresende bundesweit digital verfügbar sein. Auch in Bayern wird es noch einige Zeit dauern, bis man den Behördengang komplett durch Smartphone, Tablet oder Computer ersetzen kann. Nicht einmal die weitere Finanzierung des Projekts ist derzeit gesichert.

Der Aufwand ist natürlich gewaltig: Mehr als 6000 Verwaltungsleistungen, zusammengefasst zu 575 Leistungsbündeln, waren im Vorfeld der Erstellung des OZG identifiziert worden. Erster Schritt: die Digitalisierung all dieser Leistungen. Und dann braucht es eine IT-Infrastruktur, die den Bürger*innen und Unternehmen auch den einfachen Zugang dazu ermöglicht. Das Gesetz schreibt vor, die Leistungen auf Portalen anzubieten und diese auch miteinander zu vernetzen, damit nicht digital ein neues Klein-Klein entsteht.

Fünf Jahre, so zeigt es sich, waren dafür offenbar nicht genug. „Es ist erschreckend, dass bis jetzt gerade einmal 16 digitale Verwaltungsleistungen flächendeckend verfügbar sind und davon nur zwei Landesleistungen“, hatte Ulrich Silberbach, der Chef des dbb Beamtenbund und Tarifunion, bereits im September 2021 moniert.

Es gibt immer noch kein Nachfolgegesetz

Ein Jahr später, im August dieses Jahres, stellte Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, in ähnlichen Worten fest: „Der Dilettantismus, mit dem nach wie vor das Megaprojekt Verwaltungsdigitalisierung angegangen wird, ist erschreckend und desillusionierend.“ Auch wenige Monate, bevor das Gesetz umgesetzt sein sollte, gebe es noch immer keine verbindlichen Standards und Schnittstellen, „ohne die eine flächendeckende Verwaltungsdigitalisierung gar nicht umsetzbar ist“. Zudem sei bei vielen schon umgesetzten Leistungen zwar die Formulareingabe elektronisch, doch in den Verwaltungen würde man immer noch Akten physisch hin- und herschicken und Papiere ausdrucken. Das sei bloße „Schaufensterdigitalisierung“.

Mit der Umsetzung betraut ist der IT-Planungsrat, ein Steuerungsgremium besetzt mit Vertreter*innen aus Bund und den Ländern. Neu gegründet worden war dazu auch die Anstalt Föderale IT-Kooperation, die sich verwaltungsebenenübergreifend für eine faire Umsetzung, wirksame Vernetzung und wirkungsvolle Bündelung von Ressourcen und Kompetenzen einsetzen sollte. In diesem Jahr wurde ein Registerbeirat eingerichtet, der bei der Umsetzung der Registermodernisierung beratend eingreifen soll. Für Außenstehende ist kaum ersichtlich, wie weit die Umsetzung des Projekts tatsächlich ist.

Das Bundesinnenministerium verweist auf das Dashboard Digitale Verwaltung auf der Homepage des OZG. Darauf sei visuell abgebildet, wie weit einzelne Verwaltungsleistungen schon digital vorhanden sind. Bis Ende des Jahres arbeite man auch an einer technischen Lösung, „welche die Nutzungsdaten der einzelnen Online-Leistungen über die Schnittstellen in den jeweiligen Behörden in ganz Deutschland abrufen, zentral zusammenführen und auswertbar machen wird“, wie es in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag heißt.

Auf zumindest 35 Verwaltungsleistungen, die bis zum Jahresende bundesweit flächendeckend verfügbar sein sollen, hatte sich der IT-Planungsrat Mitte dieses Jahres verständigt. Darunter befinden sich Vorgänge wie Ummeldung, Einbürgerung, Eheschließung, Waffenerlaubnisse sowie die Kfz-An- und -Abmeldung. Doch es wird auch nicht gelingen, dieses Ziel zu erreichen.

Ein viel gewichtigeres Problem ist allerdings die weitere Finanzierung des Projekts. Denn mehr als eine Milliarde Euro aus dem Corona-Konjunkturpaket waren für die Umsetzung der Digitalisierung bereitgestellt worden. Das Paket wird allerdings nicht weitergeführt, sodass künftig weniger Geld zur Verfügung steht. Mehrere Bundesländer, darunter Bayern, hatten sich schon darüber beklagt, genauso wie über die Tatsache, dass auch noch klare Aussagen des Bundes fehlen, wie die Mittel ab kommendem Jahr verteilt werden.

„Wir brauchen hier dringend Planungssicherheit“, kritisiert Judith Gerlach (CSU), die bayerische Digitalministerin, auf Anfrage der Bayerischen Staatszeitung. „Sollten die zugesagten Mittel für Verwaltungsprojekte der Länder nächstes Jahr nicht zur Verfügung stehen, ist die gesamte Umsetzung in Gefahr.“ Als Beispiel nennt sie den Förderfinder in Bayern, mit dem staatliche Förderleistungen digitalisiert werden sollen. Laut Gerlach sind bereits „erhebliche Finanzmittel“ investiert worden, ohne weitere Förderung drohe dem Projekt aber das Aus. „Hier kann sich die Ampel-Koalition nicht aus der Verantwortung stehlen“, sagt sie.

Bisher gibt es auch kein Nachfolgegesetz für das auslaufende OZG. Die Unionsfraktion hat im Bundestag am 9. November einen Antrag auf eine Fortführung des OZG mit einem Rechtsanspruch der Bevölkerung auf digitale Verwaltungsleistungen ab dem 1. Januar 2025 eingebracht, der nach der Debatte in den Innenausschuss verwiesen wurde.

Gerlach: Es braucht eine Grundgesetzänderung

Es brauche eine Weiterentwicklung des Gesetzes, sagt Bayerns Digitalministerin. Sie fordert eine Grundgesetzänderung, ähnlich wie beim Digitalpakt Schule, um auch direkte Investitionen in die Digitalisierung der Kommunen zu ermöglichen, dort, wo E-Government zu 90 Prozent stattfinde. Die bisherige Förderung laufe nämlich an den Kommunen vorbei.

Dazu fordert Gerlach schnellere digitale Lösungen für die Wirtschaft. Ein von Bayern auf den Weg gebrachtes bundesweites Unternehmenskonto müsse dringend weiterentwickelt werden, außerdem brauche es laut Gerlach eine einheitliche Unternehmensplattform, auf der Betriebe alle für sie nötigen Serviceleistungen finden. „Der Bund darf hier nicht zum Bremser werden“, sagt sie.

Aus Sicht der Ministerin hat Bayern seine Hausaufgaben bei der Umsetzung gemacht: „Wir sind in Deutschland Spitzenreiter bei digitalen Angeboten in der Fläche. Im rein zahlenmäßigen Vergleich der umgesetzten OZG-Leistungen der Bundesländer liegt Bayern mit 288 Services auf Platz zwei.“ Ganz vorne befindet sich dabei Nordrhein-Westfalen mit 372 Leistungen. Bis Ende des Jahres sollen im Freistaat die restlichen selbst entwickelten staatlichen Leistungen digitalisiert sein.

Auch bei den Kommunen sehe sie eine große Dynamik, erklärt Gerlach. Die Zahl der online zur Verfügung gestellten Dienste nehme stetig zu. Seinen Umzug innerhalb der Gemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft kann man Gerlach zufolge bereits in 1109 Behörden online melden. Spitzenreiter der bayerischen Kommunen ist übrigens die Stadt Nürnberg. 248 Verfahren können online abgewickelt werden. Die Landeshauptstadt München liegt mit 164 Verfahren nur auf Platz drei, hinter Augsburg (171).

Die Frist des Onlinezugangsgesetzes ist aber auch für die bayerische Digitalministerin nicht wesentlich: „Digitalisierung ist eine Daueraufgabe und nie als abgeschlossen zu betrachten, weil immer wieder neue technische Entwicklungen, Dienste und Aufgaben dazukommen.“ Der Freistaat werde aber weiter seiner Rolle gerecht bleiben: „Als Vorreiter, der zeigt, wie es gehen kann, und als Stachel im Fleisch der Bundespolitik.“ 

Konkrete Sanktionen drohen ohnehin weder nach Ende dieses Jahres noch 2025, sollte in einem neuen Gesetz eine neue Frist für die Umsetzung der digitalen Verwaltung gesetzt werden. Auf seiner Internetseite hat das Bundesinnenministerium schon mal vorgebaut, dass die Hürde am Jahresende gerissen wird: „Mit Blick auf 2022 wird der Erfolg der Digitalisierungsprogramme nicht nur daran gemessen werden, ob alle Verwaltungsleistungen online verfügbar sind, sondern vor allem daran, wie hoch Akzeptanz und Nutzung bei Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen sind.“ (Thorsten Stark)
 

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