Politik

Viele Jugendspieler sind sauer, dass sie wegen der Corona-Regeln seit Monaten kaum kicken können. (Foto: dpa)

16.04.2021

"Wir sind das Sprachrohr der Vereine"

FW-Jugendexperte Tobias Gotthardt über regelmäßige Corona-Tests an den Schulen, ruhende Bälle, geschlossene Jugendzentren und volle Praxen von Kinderpsycholog*innen

Kinder und Jugendliche müssen in Pandemiezeiten auf vieles verzichten. Tobias Gotthardt, jugendpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Freien Wähler, setzt neben ausreichend Impfungen vor allem auf regelmäßige Corona-Tests, damit möglichst viele junge Menschen bald wieder trainieren oder die Jugendgruppe besuchen können. Den Machtzuwachs des Bundes sieht er kritisch.

BSZ: Herr Gotthardt, wenn die Staatsregierung Entscheidungen trifft, hat man das Gefühl, dass zwar Virologen und Wirtschaftsvertreter gefragt werden, Vertreter der Jugend aber kaum Gehör finden. Beziehen Ministerpräsident Söder oder Vize Aiwanger Sie manchmal bei Ihren Entscheidungen mit ein?
Tobias Gotthardt: Ja, ich werde miteinbezogen – und natürlich nicht nur ich: So gibt es regelmäßige Gespräche mit Vertretern der Jugendverbände, etwa mit Herrn Fack, dem Chef des Bayerischen Jugendrings. Wir haben die Jugend stets im Blick. Trotzdem ist klar, dass die Regierung immer verschiedene Interessen und vor allem den Infektionsschutz berücksichtigen muss. Und ich gebe zu: Bei der Auswahl der richtigen Maßnahmen für den Lockdown war es manchmal schwierig, die Jugend und die Folgen für sie stets ausreichend im Blick zu behalten.

BSZ: Was hat der Freistaat eigentlich dagegen, dass Jugendliche im Freien Fußball spielen oder als Gruppe mit Abstand eine Limo trinken?
Gotthardt: Man muss jede Maßnahme im Gesamtkontext der Pandemiebekämpfung sehen. Es geht ja nicht isoliert um die Interessen der Jugendlichen. Klar ist aber, dass wir Freien Wähler es waren, die in den vergangenen Monaten stets auf Öffnungen im Jugendbereich drängten – natürlich auf sichere. Bei möglichen Lockerungen in der Jugendarbeit und auch anderswo muss im Sinne des Seuchenschutzes stets der Dreiklang aus Testen, Impfen und Öffnen das Leitbild sein.

BSZ: Doch warum draußen diese Strenge? Aerosolforscher sagen, dass das Ansteckungsrisiko dort gering ist. Mit dem Verbot von Gruppensport werden Jugendliche regelrecht dazu gedrängt, Videospiele mit Kumpels in einem Raum zu zocken, anstatt sich draußen beim Training zu treffen.
Gotthardt: Wir setzen uns koalitionsintern für die jungen Menschen ein. Die Entscheidungen zu den Kontaktbeschränkungen werden aber heute schon viel zu oft im kleinen Zirkel in Berlin entschieden. Wir sind als Freie Wähler deshalb auch dagegen, mehr Macht an den Bund abzugeben. Klar ist aber auch: Nischenlösungen helfen nichts. Man kann da keine einzelne Sportart oder einen anderen Bereich der Jugendarbeit bevorzugen. Es muss ein Gesamtkonzept mit einem umfassenden Ansatz her. Um Lockerungen zu ermöglichen, sind Testungen in den Schulen von zentraler Bedeutung. Wenn ein Kind vormittags in der Schule negativ getestet wurde, kann es nachmittags für mich natürlich ins Mannschaftstraining oder zu seiner Jugendgruppe gehen.

BSZ: Doch zuletzt gab es wieder mehr Schließungen. Der Unmut bei Sportvereinen, aber auch kirchlichen und anderen Jugendgruppen ist mitunter groß. Ihnen drohen Nachwuchs und Finanzen wegzubrechen. Wie kann ihnen geholfen werden?
Gotthardt: Wir sind verlässliche Ansprechpartner und auch Sprachrohr der Vereine und der Jugendgruppen. Wir waren die treibende Kraft bei der Öffnung der Jugendzentren nach dem ersten Lockdown. Und auf unsere Initiative hin wurde Click & Collect für die Jugendarbeit eingeführt. Kinder und Jugendliche haben so die Möglichkeit, Spielmaterial und Sportgeräte auszuleihen. Mit den Jugendverbänden bin ich fast täglich im Kontakt, um ihre Sorgen anzuhören und eine Lösung zu finden. Die Verbände und Vereine haben Verständnis für die aktuelle Lage. Gemeinsam arbeiten wir an Lösungen: Ein Schlüssel, um wieder mehr Sporttraining und andere Jugendaktivitäten zuzulassen, können wie gesagt die Testungen in Schulen sein.

BSZ: Wenn sich Kinder selbst an den Schulen testen, besteht dann bei einem positiven Test nicht die Gefahr einer Stigmatisierung, wie sie manche Lehrervertreter sehen?
Gotthardt: Ich glaube nicht. Und die praktische Erfahrung vieler Lehrkräfte weicht da deutlich von Verbandsmeinungen ab. Wir haben gute Pädagogen. Und es gibt sehr gute pädagogische Mittel, um eine mögliche Stigmatisierung abzufangen. In der ersten Woche der Tests wurde das in Bayerns Schulen wirklich gut gemacht. Man kann mit den Tests und anderen Maßnahmen sogar den Gemeinschaftsgeist unter den Kindern verbessern. Wir alle kämpfen zusammen gegen Corona und sorgen dafür, dass das Virus keine Chance hat.

"Niemanden fallen lassen"

BSZ: Viele Kinder können im Moment nicht im vollen Umfang lernen. Sollte man dieses Schuljahr darauf verzichten, Kinder durchfallen zu lassen?
Gotthardt: Niemand darf fallen gelassen werden. Ich bin aber kein Freund davon, in diesem Jahr auf jeglichen Leistungsnachweis zu verzichten. Es muss allerdings Möglichkeiten geben, Kindern, die durch Corona benachteiligt wurden, eine zusätzliche Chance zu geben. Hier sind jedoch individuelle und nicht pauschale Lösungen gefragt. Lehrer, Schüler und Eltern können hier für den Einzelfall die beste Lösung finden. Das hat auch im vergangenen Jahr gut funktioniert.

BSZ: Ihr Parteikollege Hubert Aiwager will Schulkindern nach einem negativen Corona-Test bereits in einigen Wochen Unterricht ohne Maske erlauben. Hat er recht?
Gotthardt: Zunächst einmal muss alles unternommen werden, um einen sicheren Unterricht für alle zu ermöglichen. Huberts Vorschlag ist aber mittelfristig eine Perspektive.

BSZ: Kinder- und Jugendpsycholog*innen haben gerade vielerorts extrem viel zu tun. Sind junge Menschen die großen Verlierer der Corona-Maßnahmen?
Gotthardt: Ich habe viel Kontakt mit Fachleuten. Sie sagen: Die Gefahr ist da. Wir müssen jetzt alles daran setzen, dass Jugendliche am Ende nicht die Leidtragenden sind. Noch können wir da entgegenwirken: Jugend braucht Räume, in denen sie sich entfalten kann.

BSZ: Ein Verlierer steht heute schon fest: die Studierenden. Zum Distanzunterricht kommt, dass viele ihre Nebenjobs verloren haben.
Gotthardt: Für Studentinnen und Studenten hat sich die Welt krass verändert. Die Lehre ist schwieriger geworden. Und vielen sind ihre Einnahmen weggebrochen. Es braucht nun eine Kraftanstrengung von Bund, Land und Universitäten, um wieder in normale Pfade zu kommen. Wobei gerade bei den Zahlungen an Studierende der Bund in der Pflicht ist.

BSZ: Wie werden Bayerns Kinder und Jugendliche diesen Sommer verbringen?
Gotthardt: Geben Sie mir eine Glaskugel und ich sage es Ihnen (lacht). Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, wie schwierig Voraussagen in Pandemiezeiten sind. Doch wenn ausreichend getestet, geimpft und in der Folge als Dreiklang geöffnet wird, wird es für die Jugend ein sonniger Sommer.
(Interview: Tobias Lill)

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