Politik

04.02.2015

Der blinde Fleck im Bewusstsein der Bayern

Ein Kommentar von Florian Sendtner zu den neuesten Erkenntnissen zum Oktoberfestattentat

Jetzt kommt doch noch Bewegung in die Sache. 34 Jahre lang tat sich nichts. Von Ende September 1980 bis zum 11. Dezember 2014 galt Gundolf Köhler als Einzeltäter: ein einsamer Spinner, der auf eigene Faust die Bombe am Oktoberfest gelegt habe, die 13 Tote und über 200 Verletzte forderte. Die Theorie konnte nicht stimmen. Ein abgedrehter Student kommt nicht allein an eine solche Menge militärischen Sprengstoffs, das ist lebensfremd, wie die Juristen sagen. Dennoch hielten die obersten Juristen 34 Jahre lang daran fest. Die viel näher liegende Erklärung, dass die Bombe auf das Konto gut organisierter Neonazis geht, wurde leichtfertig vom Tisch gewischt. Erst Generalbundesanwalt Harald Range hatte die Courage, die Fehlentscheidung seiner Vorgänger zu korrigieren. Und siehe da, kaum acht Wochen nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen haben sich mehrere Zeugen gemeldet, die brisante Aussagen machen.

Nur einer von vielen unverzeihlichen Fehlern

Die interessanteste Zeugin ist die Frau, die berichtet, wie sie Ende September 1980 als junge Krankenschwester in Hannover einen seltsamen Patienten hatte: einen Zwanzigjährigen, dem es den Unterarm weggerissen hatte, der aber nicht sagen wollte, wie das passiert sei. Das passt exakt auf das Handfragment, das nach dem Attentat gefunden wurde und keinem der Opfer zugeordnet werden konnte (und deshalb kurzerhand dem ebenfalls ums Leben gekommenen Gundolf Köhler zugeschrieben wurde). Das Asservat wurde 1997 vernichtet, schließlich galt der Fall Oktoberfestattentat als geklärt. Einer der vielen unverzeihlichen Fehler.
Trotz alledem könnte jetzt die Wahrheit doch noch ans Licht kommen. Das ist zwei Männern zu verdanken, die in all den Jahren nicht aufgegeben und sich nicht abspeisen haben lassen: dem Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich, der viele Opfer des Attentats vertritt, und dem BR-Reporter Ulrich Chaussy, der seit über 30 Jahren in der Sache recherchiert. Als Initialzündung für die nicht nur juristische Wiederaufnahme des abgehakten Oktoberfestattentats erwies sich auch „Der blinde Fleck“, der Film von Daniel Harrich, der vor einem Jahr in die Kinos kam und heute Abend in der ARD läuft. Kaum zu glauben: Mitten in der nichtendenwollenden Krimiinflation ist auf einmal ein Politkrimi zu sehen, der auf realen Ereignissen beruht – und der einen entscheidenden Anstoß gibt, den realen Fall neu aufzurollen.

Weitverbreitetes blindes Vertrauen in die Staatsmacht

„Der blinde Fleck“ gibt allein schon durch die Besetzung ein mutiges Statement ab. Das Münchner Tatort-Duo Udo Wachtveitl / Miroslav Nemec, das seit einem Vierteljahrhundert für Recht und Gesetz, für Aufklärung und Anstand steht, spielt in „Der blinde Fleck“ eine dubiose Rolle. Wachtveitl ist ein schmieriger Zeitschriftenreporter, der sich von Strauß‘ Staatsschutzchef (Heiner Lauterbach) jede Lüge in den Block diktieren lässt. Und Nemec spielt den Generalbundesanwalt, der eisern an der Einzeltätertheorie festhält, obwohl ihm der BR-Reporter (Benno Fürmann) reihenweise Indizien vorlegt, die dagegensprechen. Das ist die Wahrheit dieses Films: Das nicht nur in Bayern weitverbreitete blinde Vertrauen in die Staatsmacht („die werden das schon richtig machen“) ist naiv und nicht zu rechtfertigen. 

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