Politik

Radarkuppel auf dem Horchposten des BND in Bad Aibling: Die Hälfte der Kommunikationsaufklärung findet im rechtlichen Graubereich statt. (Foto: dpa)

31.07.2015

"Der BND macht genau dasselbe wie die NSA"

Christian Flisek, SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, über die wichtigsten Erkenntnisse, den mangelnden Aufklärungswillen von Merkel und politische Konsequenzen

Massenüberwachung, Datenspionage, NSA-Skandal: Seit März 2014 ermittelt der Passauer Christian Flisek im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Und seitdem kam einiges Brisantes ans Licht – vor allem, was die Rolle des BND betrifft. Über die Einsicht in die Selektorenlisten – Listen mit Suchbegriffen der Amerikaner, die der BND verwendete – wird noch immer gestritten. Unterdessen veröffentlicht WikiLeaks munter immer neue Details über das Ausmaß der Affäre – jüngst bekannt gewordenes Abhöropfer: Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

BSZ Herr Flisek, Enthüllung folgt auf Enthüllung – kann man Sie damit überhaupt noch überraschen?
Christian Flisek Nein, ich bin auf alles gefasst. Mittlerweile gehe ich davon aus, dass seit dem Zweiten Weltkrieg insbesondere die Amerikaner ununterbrochen und umfassend versuchen, politisch und wirtschaftlich relevante Informationen über Deutschland verdeckt zu bekommen – bis zum heutigen Tage.

BSZ Wie beeinflusst es Ihre Arbeit, dass die Enthüllungsplattform WikiLeaks immer wieder neue Details ans Licht bringt?
Flisek Die so genannten Gatekeeper – also die Herren Assange, Snowden und Greenwald – entscheiden aus meiner Sicht relativ willkürlich und eigenmächtig, wann sie welche Information publizieren. Diese Art des Scheibchenabschneidens von der großen Informations-Salami sehe ich sehr kritisch. Geht es um Informationen, die auf erhebliche Sicherheitslücken in Deutschland hinweisen, ist jeder Tag wertvoll. Und wenn man wie Snowden von einem moralisch-politischen Aufklärungsinteresse spricht, kann man nicht über eineinhalb Jahre hinweg diese Publikationen strecken, weil man die Aufmerksamkeit für das Thema hochhalten will. Für mich, dem es im Untersuchungsausschuss um politische Aufklärung geht, ist ein solches Vorgehen sehr ärgerlich.

BSZ WikiLeaks-Sprecher Julian Assange hat seine Bereitschaft bekundet, vor dem Ausschuss auszusagen. Interessiert?
Flisek Natürlich ist er ein wichtiger Zeuge. Allerdings geht es im Moment – und das ist ein Erfolg dieses Ausschusses – über die sogenannten Selektorenlisten, also die Listen mit Suchbegriffen von den Amerikanern für den BND, die bereits aktiviert waren. Von den Selektoren, die gegen deutsches Recht verstoßen oder deutschen Interessen widersprochen haben, wussten weder das Bundeskanzleramt noch der Chef des BND. Denen ist auch erst mal die Kinnlade nach unten gefallen.

Sektorenlisten: "Es macht kleinen Sin eineinhalb Jahre auf eine Gerichtsentscheidung zu warten"

BSZ Aber einsehen darf der Ausschuss die Listen ja nicht.
Flisek Nein, das wird mit einem Geheimhaltungsabkommen mit den USA begründet, in dem steht, dass solche Dinge nicht an Dritte herausgegeben werden dürfen. Ich habe zwar immer betont, dass das Parlament im Verhältnis zur Exekutive kein Dritter ist – das sieht die Bundesregierung aber leider anders. BSZ Die Opposition erwägt, das Verfassungsgericht anzurufen, Sie dagegen haben der Einsetzung eines unabhängigen Sachverständigen zugestimmt. Warum?
Flisek Weil ich es angesichts der massiven Vorwürfe, die seit Mitte März im Raum stehen, für nicht sinnvoll erachte, dass man ein oder sogar eineinhalb Jahre auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts wartet.

BSZ Der NSA-Sonderermittler, der frühere Richter Kurt Graulich, hat aber doch bereits betont, dass er kein Detektiv sei und Details ohnehin nicht so interessant seien. Wie groß können die Erkenntnisse, die er nur mit Erlaubnis der Bundesregierung weitergeben darf, da sein?
Flisek Erstens hat das Parlament auf Vorschlag der SPD Herrn Graulich als Sachverständigen bestimmt. Er genießt das Vertrauen der Ausschussmehrheit – die Opposition verweigert sich hier ja komplett. Und zweitens: Alle Fragen, die er zu untersuchen hat, haben wir ihm mitgegeben.

"Wir müssen den USA mehr als Empörung entgegensetzen"

BSZ Was für Fragen sind das?
Flisek Auch wenn er uns keinen Namen nennen kann, er soll uns – und das habe ich ihm in mehreren Gesprächen deutlich gemacht – so konkret wie möglich typologisierte Gruppen nennen. Er soll uns also zum Beispiel sagen, ob sich der Vorwurf der Wirtschaftsspionage bestätigt, weil sich Selektoren auf deutsche Unternehmen beziehen. Wenn das so ist, wollen wir wissen, in welchen Größenordnungen das der Fall ist, ob es eher DAX-Konzerne oder Mittelständler betrifft und ob sie sich im weitesten Sinne mit Proliferation beschäftigen. Eine andere Frage ist, ob es Selektoren in Bezug auf Beamte oder Regierungsmitglieder befreundeter Nationen gibt.

BSZ Und falls es solche Selektoren gibt, pochen Sie dann darauf, dass Abgeordnete sie einsehen dürfen?
Flisek Stellen wir fest, dass systematisch gegen deutsches Recht und deutsche Interessen verstoßen worden ist, werden wir uns das weitere Vorgehen überlegen. Und dazu halten wir uns alle Möglichkeiten offen.

BSZ Auf die Selektorenlisten gestoßen zu sein – ist das der bisher größte Erfolg des Ausschusses?
Flisek Etwas anderes, das wir herausgefunden haben, ist politisch vielleicht noch viel wichtiger. Nämlich dass ein ganz wesentlicher Kernbereich des Bundesnachrichtendienstes in der Kommunikationsaufklärung die Überwachung der Auslands-Auslands-Kommunikation ist. Damit findet die Hälfte der technischen Kommunikationsaufklärung des BND in einem Graubereich, zu dem es keine ausreichenden Rechtsgrundlagen und keine effektive parlamentarische Kontrolle gibt, statt. BSZ Und das ist noch brisanter als die Selektorenlisten?
Flisek Das ist deshalb so wichtig, weil wir Deutsche in der Debatte den Amerikanern und Briten mehr als moralische Empörung entgegensetzen müssen. Wir tun es aber nicht. Denn der BND macht in weiten Teilen genau dasselbe wie die NSA – nur eben mit viel geringeren Mitteln. Deshalb ist es geradezu absurd, dass der einzige Satz, den die Bundeskanzlerin in zwei Jahren Snowden-Affäre zum Thema gesagt hat, war: „Ausspähen unter Freunden geht gar nicht.“ Denn dieser Satz geht so dermaßen an der Realität vorbei.

"Alles, was du zu viel weißt, kann dir irgendwann politisch auf die Füße fallen"

BSZ Erklärt das die Zurückhaltung von Kanzleramt und Ermittlungsbehörden was die Aufklärung des NSA-Skandals betrifft?
Flisek Ich bin davon überzeugt, dass man dort selbst keinen Überblick über die Tätigkeiten der eigenen Geheimdienste hatte. Da geht es aber auch um das Need-to-know-Prinzip, also darum, dass man nur so viel wissen will, wie man wirklich wissen muss. Denn alles, was du zu viel weißt, kann dir irgendwann politisch auf die Füße fallen. Und weil es diese Einstellung im Bundeskanzleramt gibt, ist auch die Bereitschaft im BND, gewisse Dinge nach oben zu melden, nicht sehr ausgeprägt. Wir müssen uns also fragen, ob die Zentralstelle der exekutiven Macht als Aufsichtsbehörde über Geheimdienste tatsächlich geeignet ist.

BSZ Glauben Sie denn, dass die Aufarbeitung der Affäre konkrete politische Konsequenzen haben wird?
Flisek Ja, die SPD-Fraktion hat dazu bereits ein Papier vorgestellt. Denn wir können jetzt alle auf einen weltweiten völkerrechtlichen Vertrag warten, in dem sich Staaten zu gewissen Standards bei der nachrichtendienstlichen Tätigkeit verpflichten. Oder wir müssen uns in der Konsequenz der NSA-Affäre neu aufstellen. Und zwar so, dass unsere Geheimdienste effizient arbeiten – im Zweifel brauchen sie dafür mehr Mittel, um technisch unabhängiger und souveräner zu werden. Sie müssen das aber auf dem Boden der Verfassung tun – und in allen Bereichen unter der Kontrolle von parlamentarischen Gremien. Und wir müssen – das ist das Entscheidende – durch unser nationales Recht die Daten befreundeter Staaten wie der EU-Staaten genauso schützen wie die unserer Bürger.

BSZ Heißt das aber nicht: Deutschland hält sich zurück, während es weiterhin ausgespäht wird?
Flisek Es ist eine Art Vorleistung, aber die Philosophie, dass die Daten aller Ausländer zum Abschuss freigegeben sind, passt nicht mehr in das 21. Jahrhundert. Denken Sie etwa an den globalisierten deutschen Konzern Siemens mit seinen Mitarbeitern mit allen möglichen Nationalitäten. Wen wollen Sie denn dort  nach welchen Gesichtspunkten schützen? Wir sind nicht naiv, aber es ist ein substanzielles Angebot, mit dem wir unsere Forderung verknüpfen können, dass andere Staaten das irgendwann ebenso machen. Unser Koalitionspartner ist davon zwar nicht ganz so begeistert. Aber Sie wissen ja, wie Koalitionen funktionieren: Bleibt man am Ball, führt das beim Partner manchmal zu Erkenntnissen.

BSZ Aber selbst wenn – für die Amerikaner sind und bleiben die Deutschen doch Freiwild.
Flisek Deshalb werden wir uns im Ausschuss auch noch den Bereich der Spionage-Abwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz genau anschauen. Bestätigt sich mein Eindruck, der sich aufgrund der verschiedenen Veröffentlichungen gefestigt hat, ist das aus meiner Sicht ein Offenbarungseid für den Verfassungsschutz. Und es wäre nicht der erste. Denn bereits der NSU-Skandal hat gezeigt, dass die Verfassungsschutzämter mehr als nur fragwürdige Strukturen haben.
(Interview: Angelika Kahl) Bild: Der Anwalt Christian Flisek (41) sitzt seit dieser Legislaturperiode für die SPD im Bundestag. Er ist Vorsitzender der SPD in Niederbayern; Foto: BSZ

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