Politik

Gerade einmal fünf Prozent der Bayern würden laut einer Umfrage derzeit noch FDP wählen. (Foto: dapd)

07.01.2011

Der Frust der Basis

Die bayerische FDP hat innerhalb von nur elf Monaten 5,5 Prozent ihrer Mitglieder verloren

Es ist ein Ort mit viel Tradition, den sich die oberbayerischen Liberalen für ihren Stammtisch ausgesucht haben: das Haidhauser Unionsbräu. Wenige Münchner Lokale strotzen so vor Geschichte wie die Gaststätte und einstige Großbrauerei. Vergilbte Zeitungsartikel aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert hängen eingerahmt neben alten Bildern. Doch nur ein kleines verblichenes Portrait eines Mannes im örtlichen Stadtteilmuseum erinnert an eine einmalige Erfolgsgeschichte, die sich im Unionsbräu einst ereignete – die von Josef Schülein.
Als 19-Jähriger kommt er 1873 nach München, verdingte sich zunächst als Hopfenhändler. Aufgrund seines guten Geschäftssinns erwarb er 1885 das heruntergekommene Unionsbräu. Schülein investierte und machte am Ende einen so großen Gewinn, dass er Anfang der 1920er sogar den Brauriesen Löwenbräu schlucken kann. Ein Mann genau nach dem Geschmack eines jeden gestandenen Liberalen.

"Die Stimmung ist schlecht"


Auch fast ein Jahrhundert später übt das Unionsbräu eine große Faszination auf Self-Made-Männer aus. „Der Staat darf die Unternehmen nur nicht so viel gängeln“, sagt Markus Wasserle. Der 30-Jährige hat sich vom Gesellen zum Chef eines 150-Mitarbeiter starken Reinigungsbetriebs hochgearbeitet. Zugleich ist der Mann mit Krawatte und Trachtenjancker Kreisvorsitzender des Landsberger FDP-Kreisverbands. Wasserle steht für die bayerische FDP wie sich selbst gerne sieht: als erfolgreicher Motor des ökonomischen Fortschritts und zugleich als Bewahrer der Liberta Bavaritas.
Doch derzeit hat er nicht nur in der Firma, sondern auch als Parteimann alle Hände zu tun. „Die Stimmung bei vielen Mitgliedern war in den vergangen Monaten schlecht. Das ist kein Geheimnis“, sagt Wasserle. Der 30-Jährige ist einer der wenigen Liberalen, die trotz Dauermisere nach wie vor regelmäßig zum Stammtisch der Oberbayern-FDP kommen.
Kein Wunder: Wären am Sonntag Landtagswahlen würden nur mehr fünf Prozent der Bayern ihr Kreuz bei den Liberalen machen. Noch schlimmer: Bei Bundestagswahlen würde die FDP laut den Demoskopen derzeit nicht einmal mehr den Sprung ins Parlament schaffen. Bei der Landtagswahl im September 2008 hatte die FDP dagegen noch 8 Prozent der Stimmen geholt, und bei der Bundestagswahl ein Jahr später sogar 15 Prozent eingefahren. Bundesweit würde die Partei den Demoskopen zufolge derzeit den Sprung in den Bundestag nicht mehr schaffen. „Die Regierung hatte eben einfach keinen guten Start“, kommentiert Lokalpolitiker Wasserle solche Zahlen nüchtern.

Muss Westerwelle gehen?


Die Stimmung bei vielen Mitgliedern ist nach wie vor miserabel. Wer hört schon gerne ständig im Bekanntenkreis, dass seine Parteioberen ein Haufen streitender Gockel sind. „Schuld ist der Frust vieler Mitglieder über die Wahrnehmung der Bundespolitik“, sagt der stellvertretende FDP-Landesvorsitzende Andreas Fischer. Doch es ist nicht nur die Wahrnehmung. Die Liberalen haben viele ihrer Versprechen bislang nicht durchgesetzt. Beispiel Fiskalpolitik: Von der versprochenen radikalen Steuerreform mit drei Stufen ist nicht viel geblieben. Und auch bei der Gesundheitspolitik sieht der Versicherte vor allem die steigenden Beiträge.
Von 6730 Mitgliedern im Februar vergangen Jahres sank die Zahl der Mitglieder auf 6359 zu Beginn dieser Woche. Das entspricht einem Rückgang von 5,5 Prozent in nicht einmal einem Jahr.
Der bayerische Mitgliederschwund fällt damit sogar noch stärker aus als in vielen anderen Bundesländern. So verloren die Liberalen seit Ende 2009 in Baden-Württemberg nur vier und in Rheinland-Pfalz 3,4 Prozent ihrer Mitglieder. „Kein Wunder. Wir haben in Bayern 2009 besonders viele Mitglieder gewonnen, da fällt die Zahl der Austritte natürlich ebenfalls höher aus“, sagt der stellvertretende Chef der bayerischen FDP-Landtagsfraktion Otto Bertermann. Laut Bertermann verlassen vor allem Neumitglieder die Partei. „Manche Liberale hatten nach dem Wahlsieg offenbar zu hohe Erwartungen“, sagt auch Fischer.
Und dann ist da noch die Personalie Westerwelle. „Die Diskussion um Guido Westerwelle spielt eine große Rolle für das Stimmungstief unserer Partei“, ist Bertermann überzeugt.
Beim Stammtisch der oberbayerischen FDP ist man dagegen nach wie vor voll des Lobes für Westerwelle. „Er hat viel für unsere Partei geleistet“, sagt der Landsberger Wasserle. Vier Austritte habe er in den vergangenen Monaten verzeichnen müssen, räumt er ein. Doch ganz wie der Parteivorsitzende bleibt Wassserle nach Außen optimistisch. „Im Vergleich zum Zustand der Liberalen in der Zeit vor 2008 geht es der Partei hervorragend“, sagt er. So sei die Mitgliederzahl noch immer weit höher als vor zwei Jahren.
Tatsächlich: Trotz Stimmungstief sind die Liberalen weit entfernt von der langjährigen Zeit der Diaspora. Von 1994 bis 2003 hatte die FDP in Bayern drei Mal bei Wahlen mickrige Ergebnisse von unter drei Prozent eingefahren.
Auch Dieter Rippel, der den bayernweit mitgliedsstärksten Kreisverband München-Ost leitet, sagt deshalb: „Die Stimmung war in der Vergangenheit schon besser, aber auch schon weit schlechter.“ Statt 370 Mitglieder im Februar 2010 habe sein Kreisverband mittlerweile zwar nur mehr 355 Mitglieder. „Doch der Austrittstrend ist gestoppt.“

Die Jagd ist eröffnet


Auch Wasserle betont: „Die Stimmung wird besser, da die Liberalen mittlerweile auf Bundesebene erste Erfolge verbuchen kann.“ So habe die schwarz-gelbe Bundesregierung mit der Abschaffung der Wehrpflicht eine ureigene Forderung der Liberalen durchgesetzt.
Viele in der FDP hoffen, dass Parteichef Westerwelle den Abwärtstrend mit einer guten Rede beim Dreikönigstreffen endgültig stoppen kann. „Doch wenn die Landtagswahlen im Frühjahr verloren gehen, stellt sich im Mai die Personalfrage“, sagt Bayerns Parteivize Fischer, der sich schon lange für die Trennung von Parteiführung und Ministeramt ausspricht.
Wie es Westerwelle gehen könnte, falls die FDP bei den bevorstehenden Abstimmungen nicht punkten kann, zeigt ein Wandteppich im Unionsbraü: Ein Münchner Kindl mit Schrotflinte in Jagdpose ist darauf abgebildet. Die Jagd auf Westerwelle ist eröffnet.
(Tobias Lill)

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