Politik

Bis zu 2400 Gäste feiern jedes Wochenende im Münchner Neuraum - doch wie lange noch? (Foto: BSZ)

04.05.2012

Der letzte Tanz

Bayerns Gastronomen fürchten wegen einer Gema-Erhöhung das große Discosterben

Es ist die tiefstgelegene Disco Deutschlands – der Münchner Neuraum. Zehn Meter unter dem neuen Zentralen Busbahnhof an der Hackerbrücke feiern dort jedes Wochenende bis zu 2400 Gäste. Auf vier riesigen Tanzflächen krachen die Bässe, während oben die Reisenden auf ihre Mitfahrgelegenheit warten. Erst 2009 hatte die Großraumdisco ihre Pforten in der Landeshauptstadt geöffnet – Kostenpunkt: rund eine Million Euro.
Ob es den – vor allem bei jungen Partygängern – beliebten Club allerdings auch noch im kommenden Jahr geben wird, ist nach Darstellung des Betreibers Dierk Beyer jedoch fraglich: „Das steht in der Sternen“, sagt der Gastronom. Schuld sei eine geplante Gebührenreform seitens der Gema. Die in München ansässige Gesellschaft vertritt bundesweit die Urheberrechte von Musikschaffenden.
Die Gema will ab Januar 2013 ein neues Abgabensystem für Großveranstaltungen einführen. Die Rechteverwertungsgesellschaft will so nach eigenen Angaben die Gebührenordnung „vereinfachen und gerechter machen“. Statt bislang elf soll es künftig nur mehr zwei Tarife geben, nach denen die Club-Chefs für das öffentliche Abspielen von Musik bezahlen müssen.
Für viele Discos bringe die Reform laut Gastronom Beyer jedoch „enorme Mehrkosten“. Beispiel Neuraum: Bisher zahlten er und seien sieben Kompagnons für seien Mega-Disco eine Pauschale von 20 000 Euro pro Jahr. „Nach der neuen Regelung wären es über 200 000 Euro. Dann können wir dichtmachen“, poltert er.


Vor allem große
Hallen betroffen


Auch andernorts gehen derzeit Clubchefs und Konzertveranstalter gegen die Gema-Pläne auf die Barrikaden. „Wenn das wirklich kommt, müssen wir uns fragen, ob ein Unternehmen Großraumdisco überhaupt noch Sinn macht“, sagte Markus Sameth von der Riesendisco Halifax jüngst der Frankenpost. Künftig müsste der Klub in der Nähe von Kulmbach den Gema-Plänen zufolge das Siebenfache für die Urheberrechte der Künstler bezahlen.
Die Bundesvereinigung der Musikveranstalter geht davon aus, dass die neue Gebührenverordnung zu „exorbitanten Mehrkosten“ führen würde. Es drohe „ein flächendeckendes Discosterben“. Laut Berechnungen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) steigen die Gema-Gebühren für Diskotheken ab dem nächstem Jahr durchschnittlich um 400 bis 500 Prozent, in einigen Fällen erhöhten sie sich sogar um mehr als das Zehnfache.
Laut einer Umfrage des Vereins der Münchner Kulturveranstalter unter Discobetreibern in der Landeshauptstadt sind die Mehrkosten sogar noch weit höher: Die Partyveranstalter an der Isar müssen der Studie zufolge mitunter sogar 1400 Prozent mehr an Gema-Abgaben berappen. „Das Ergebnis ist haarsträubend“, sagt Beyer, der im Vorstand des Vereins sitzt.
Dem Gastronom zufolge sind nicht nur die Großraumclubs von der geplanten Neuregelung betroffen: „Insbesondere kleine Läden, die ein ambitioniertes Musikprogramm machen und auch unter der Woche geöffnet haben, dürften ab 2013 Probleme bekommen.“ Da sei die Besucherauslastung selten bei 100 Prozent. Das interessiere die Gema jedoch wenig: Denn die Abgaben richteten sich nicht nach der Besucherzahl, sondern nur nach Quadratmetern und Eintrittspreis.
Beyer zufolge könnten auch bundesweit bekannte Clubs wie die Rote Sonne oder das Harry Klein aufgrund der Gema-Reform bald dichtmachen. Vor allem die Verteilung der künftigen Mehreinnahmen der Rechteverwerter ärgert ihn: „Die noch nicht etablierten Interpreten, die besonders oft von den DJs kleinerer Discos gespielt werden, sehen doch kaum einen Cent von den höheren Gebühren.“ Beyer ist überzeugt: „Die Reform ereicht keines ihrer angeblichen Ziele – Sie ist nichts weiter als pure Abzocke.“


Bayerns FDP kritisiert Rechteverwerter scharf


Ähnlich sieht das auch Andreas Haidinger. „Derzeit bekommen doch die Großen wie die Back-street Boys fast alles vom Gema-Kuchen ab“, sagt der Chef des Münchner Szeneklubs 089-Bar. Er lehnt eine Gebührenreform jedoch nicht generell ab: „Eine wirkliche Vereinfachung wäre ja wünschenswert.“ Das was die Verwertungsgesellschaft allerdings derzeit plane, sei „pure Abzocke“. Für Haidinger ist klar: „Die nützen schamlos ihre Monopol-Stellung aus.“ Komme die Reform wie bislang geplant, würden die Eintrittspreise vielerorts steigen, prophezeit er.
Dabei ist ein Discobesuch in manchen bayerischen Städten für viele jungen Menschen ohnehin kaum noch bezahlbar. Haidinger hofft, dass die Gema am Ende deshalb doch noch einlenkt. Tatsächlich hat die Gema jüngst Antrag auf ein Schlichtungsverfahren gestellt. Das Verfahren läuft bereits. Doch wie die BSZ aus informierten Kreisen erfuhr, ist eine Einigung derzeit in weiter Ferne.
„Wir sind gesprächsbereit“, betont ein Gema-Sprecher. Die Kritik der Discochefs kann er nicht nachvollziehen: „Es geht um die angemessene Beteiligung der Künstler.“ Sechs von zehn Musikveranstaltern würden künftig nicht mehr, sondern zum Teil sogar niedrigere Gebühren zahlen müssen. „Vor allem kleine Konzertveranstalter, aber auch die meisten Volksfeste profitieren von der Reform“, betont der Sprecher. Lediglich die großen Hallenbetreiber müssten künftig mehr bezahlen: „Doch die Mega-Discos haben bislang auch einen eindeutig zu geringen Teil ihrer Profite an die Küstler abgetreten.“
Kritik an den Rechteverwertern kommt von Bayerns Liberalen: „Die Gema überspannt hier ihren Bogen ganz eindeutig“, ist Julika Sandt, kulturpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, überzeugt. Zwar sei eine Vereinfachung der Gebührenordnung wünschenswert, dass ein Teil der Discos deutlich mehr zahlen soll, sei jedoch nicht nachvollziehbar.
Neuraum-Chef Beyer will jetzt weiter die Öffentlichkeit gegen die Pläne mobilisieren. Er hofft: „Vielleicht können wir das Clubsterben noch verhindern.“ (Tobias Lill)

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