Politik

Eil-Appell gegen Genmais: Fast 200 000 Menschen haben ihn bereits angeklickt. (Foto: screenshot)

07.02.2014

Der neue Klick-Volkssport

Immer mehr Menschen lassen via Online-Petition Dampf ab – doch was bringen die Kampagnen im Netz?

Nie war Protest so einfach: Ein schneller Klick, und schon hat man seiner Empörung Luft gemacht – sei es über den Moderationsstil von Markus Lanz, den Plan, sexuelle Toleranz in Baden-Württembergs Lehrplänen stärker zu verankern oder die Steuersünden von Alice Schwarzer.
Mehr als 230 000 Menschen unterzeichneten die Online-Petition „Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag!“. Die Forderung „Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ hat 192 423 Unterstützer. Noch nicht abgeschlossen ist die Petition „Niederlegung des Bundesverdienstkreuzes von Alice Schwarzer“, sie kommt bislang auf gut 7200 digitale Unterschriften – innerhalb von nur vier Tagen.
Die Entrüstung via Online-Petition entwickelt sich zum Volkssport. Allein auf der Plattform openpetition.de – sie gehört zu den größten in Deutschland – laufen pro Tag 30 bis 40 Petitionen ein, sagt Pressesprecher Fritz Schadow der Staatszeitung. Seit vier Jahren gibt es sie. Die Bilanz: 7000 Petitionen mit insgesamt 9,5 Millionen Unterschriften. Und die Wachstumskurve zeigt steil nach oben.

Unterzeichner engagieren sich auch in der realen Welt


„Wir wollen den Leuten die Möglichkeit geben, ihre Themen auf die Agenda zu setzen“, sagt Schadow. Und dabei sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Da fordert aktuell ein Bayern-Fan mehr Stehplätze in der Allianz-Arena (17 852 Unterschriften), die Arbeitsgemeinschaft für Bildung Hof will mehr Lehrerstellen im Freistaat (17 801 Unterschriften) und ein Tabak-Freund setzt sich für die Abschaffung des Rauchverbots in Bayern (57 Unterstützer) ein. Die Spielregeln sind überschaubar: Eine Petition muss einen konkreten Empfänger haben und darf nicht diffamierend oder diskriminierend sein. Offensichtliche Spaßpetitionen sind ebenfalls tabu. Und neuerdings dürfen – als Reaktion auf die harsche Kritik an der Anti-Lanz-Kampagne – keine einzelnen Personen mehr Gegenstand einer Petition auf openpetition.de sein.
Den Anbietern geht es ohnehin weniger darum, Wutbürgern eine Plattform zu bieten. „Wir wollen Menschen zusammenbringen, die sich für ein Thema engagieren“, sagt Schadow. Auch in der realen Welt. „Die Unterschrift unter einer Petition ist nur der Einstieg“, sagt auch Günter Metzges, Mitbegründer der Plattform campact.de. Die Unterzeichner können miteinander kommunizieren, Veranstaltungen oder Demos organisieren. Im Sommer 2013 fanden im Zuge einer Petition gegen Massentierhaltung so 800 Protest-Grillpartys in ganz Deutschland statt.
Doch was können Online-Petitionen tatsächlich leisten? Campact-Aktivisten verbuchen zum Beispiel das in Deutschland im Jahr 2009 beschlossene Anbauverbot des in der EU zugelassenen Gen-Mais MON810 als Erfolg. „Damals tauchten wir bei fast jeder Wahlveranstaltung von Ilse Aigner und Horst Seehofer auf“, erzählt Metzges. Bei openpetition.de ist die Petition „Freiheit und Gerechtigkeit für Gustl Mollath“ unter der Kategorie „erfolgreich“ abgelegt.
Natürlich müsse man bei der  Frage nach der Wirkung vorsichtig sein, sagt Metzges. Schließlich sei man nicht immer der einzige, der für etwas kämpfe. Im Gegensatz zu  anderen Plattformen startet campact.de die Kampagnen selbst – aktuell stehen dort Themen wie Energiewende oder transatlantisches Freihandelsabkommen hoch im Kurs. Vorschläge der über eine Million aktiven Nutzer werden zwar berücksichtigt. Eine Petition wie die gegen Lanz oder Schwarzer hätte dort aber keine Chance.
Auch offizielle Petitionen können in Bayern elektronisch eingereicht werden. In der neuen Legislaturperiode haben bis Ende Januar den Landtag insgesamt 750 Petitionen erreicht, 20 Prozent davon online. Öffentlich zugänglich sind sie im Internet aber nicht. Auch deshalb glauben Metzges und Schadow, dass es die privaten Plattformen dringend braucht. Möglichkeiten zur Vernetzung bieten nur sie. „Und damit im besten Fall den Anstoß für ein langfristiges Engagement und neue Strukturen“, so Metzges. Das offizielle Instrument  sei dagegen nicht viel mehr als ein „Kummerkasten“, ätzt Schadow.

Grüne wollen das bayerische Petitionsrecht erweitern


Kummerkasten? Das weist Sylvia Stierstorfer (CSU), Vorsitzende des Petitionsausschusses im Landtag, weit von sich. Ja, oft wendeten sich Bürger mit einem persönlichen Anliegen an den Landtag – ein Großteil betreffe die Bereiche Bau, Justiz und Betreuungsrecht. „Doch wir sind das einzige Bundesland, in dem Petitionen öffentlich behandelt werden.“ Oftmals werde dem Petenten im Ausschuss eine Rederecht eingeräumt. „Und auch Massenpetitionen sind für uns nicht neu“, sagt sie.
Die Landtags-Grünen wollen das bayerische Petitionsrecht um das Instrument der öffentlichen Petition erweitern – ähnlich wie es beim Bundestag besteht. Diese könnte dann auch im Internet diskutiert und unterstützt werden. 2011 war die SPD mit einem ähnlichen Vorstoß noch gescheitert. „Auch die CSU-Fraktion macht sich aktuell Gedanken, wie man das Petitionsrecht weiter ausgestalten könnte“, sagt Stierstorfer heute. „Grundsätzlich könnte ich mir das schon vorstellen.“ Denn eines sei klar, betont sie: „Je mehr Unterschriften ein Anliegen hat, desto mehr Druck steht dahinter.“
Und diesem Druck öffnen sich immer mehr Politiker – „gerade in Zeiten der nachlassenden Parteibindung“, glaubt Metzges. Ursula Münch, Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, rät allerdings zur Gelassenheit: „Politiker sollten öffentliche Debatten zur Kenntnis nehmen, aber sich davon nicht leiten lassen“, sagt sie. „Man darf seine Überzeugungen – sei es zur Windkraft oder zur Bildungspolitik – nicht von Eruptionen abhängig machen.“ Sie gibt zu bedenken: „Mobilisieren lassen sich meist nur diejenigen, die gegen etwas sind. Die schweigende Mehrheit kann durchaus für etwas sein.“
Privaten Petitions-Plattformen kann Münch, die anfangs „großen Argwohn“ gegen sie hegte, heute einiges abgewinnen. „Denn dort findet ein großer Austausch engagierter Menschen statt – wenn auch nicht immer auf höchstem Niveau.“ Das Format sei aber seriöser und sinnvoller als es auf den ersten Blick erscheine, sagt Münch. „Auch wenn es einigen tatsächlich nur darum geht, einfach mal Dampf abzulassen.“ (Angelika Kahl)

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