Politik

Die Zahl der zuzahlungsfreien Medikamente hat sich seit September 2009 halbiert.

05.11.2010

Der Patient, der ewige Zahlmeister

Die Zahl der zuzahlungspflichtigen Medikamente ist jüngst dramatisch gestiegen – Millionen Kranke sind betroffen

Josef L. staunte nicht schlecht, als er Anfang September wie immer zu Monatsbeginn seine Bluthochdruck- und Diabetes-Medikamente in der örtlichen Apotheke abholen wollte. Denn anders als sonst packte die nette Verkäuferin dem chronisch Kranken diesmal auch eine Rechnung für die rezeptpflichtigen Präparate mit in die Tüte. „Für drei bislang zuzahlungsfreie Medikamente musste ich plötzlich 15 Euro zahlen“, sagt der 61-Jährige aus dem Großraum München. Und auch in den beiden folgenden Monaten wurde L. bei seinen Apothekenbesuchen mit jeweils fünf Euro für zwei Medikamente – darunter ein ACE-Hemmer – zur Kasse gebeten. „Das summiert sich richtig“, klagt der zuckerkranke Angestellte.
So wie L. erging es in den vergangenen Wochen einigen Millionen Deutschen. Das schätzt zumindest ein Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). In Bayern seien Hunderttausende Patienten betroffen. Grund: Seit August ist die Zahl der zuzahlungsfreien Medikamente dramatisch gesunken. Konnten sich die Patienten im August noch bei mehr als 8400 Präparaten den Zusatzobolus von bis zu zehn Euro je Packung sparen, war dies im September nur mehr bei 5500 Medikamenten der Fall.


Pillen in Deutschland viel teurer als in Nachbarländern


In der Liste der zuzahlungspflichtigen Pillen finden sich deshalb mittlerweile auch zahlreiche Massen-Medikamente wie diverse ACE-Hemmer und viele Omneprazol-Präparate. Hunderttausende an Reflux Erkrankte setzen hierzulande auf das von zahlreichen Herstellern produzierte Magenmittel Omneprazol.
Von den Zuzahlungen sind vor allem chronisch Kranke und Alte betroffen, weiß Bertram Lingnau von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland. Der Sprecher ist überzeugt: „Da können schnell mal ein paar Hundert Euro im Jahr zusammenkommen.“
Ursache für die erneuten Mehrbelastungen ist eine von der Öffentlichkeit bislang kaum bemerkte Schlankheitskur der Kassen. 460 Millionen Euro im Jahr wollen die gesetzlichen Krankenversicherer jährlich einsparen. Deshalb haben DAK und Co den sogenannten Festbetrag bei vielen Präparaten gesenkt. Das ist der Höchstpreis, den sie den Pharmafirmen für gängige Tabletten, Tropfen, Salben und Zäpfchen zahlen.
Und das hat Folgen: Zwar müssen Kranke bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eigentlich immer fünf bis 10 Euro selbst bezahlen. Doch es gibt Ausnahmen: Liegt der Preis eines Medikaments mindestens 30 Prozent unter dem Festbetrag, fällt kein Eigenbeitrag an. Grund: Bei vielen Medikamenten gibt es je nach Hersteller – trotz wirkungsgleicher Inhaltsstoffe – erhebliche Preisunterschiede.
Indem er günstigere Pillen von der Zuzahlung befreit, erhoffte sich der Gesetzgeber 2005, dass diese Präparate häufiger von Ärzten und Apothekern empfohlen werden. So will die Politik die Firmen zu Preissenkungen animieren. Denn Konzerne, deren Tabletten von der Zuzahlung befreit sind, konnten bislang auf ein dickes Umsatzplus hoffen. Setzen die Kassen die Festbeträge jedoch wie jüngst zu stark herab, dann sinkt auch die Zahl der zuzahlungsfreien Medikamente enorm.
Waren vor einem Jahr laut Apothekerverband noch weit mehr als ein Drittel der damals 29 200 Medikamente mit Festbetrag zulassungsfrei, sind es derzeit nur mehr 18 Prozent. „Im November ist die Zahl der zuzahlungsfreien Medikamente sogar noch einmal auf etwas mehr als 5000 leicht gesunken“, sagt ein Sprecher des Apothekerverbands.
Die Kassen weisen derweil jede Verantwortung von sich. Eine Sprecherin der AOK Bayern empfiehlt den von Zuzahlungen betroffenen Patienten, sich stets bei ihrem Arzt oder Apotheker nach einem inhaltsgleichen, aber günstigeren Präparat zu erkundigen. „Bei den meisten Medikamenten gibt es Präparate von Konkurrenzfirmen, die zuzahlungsfrei sind, aber dennoch genau denselben Wirkstoff enthalten“, erklärt die Sprecherin. So seien nach wie vor 20 von 40 Omneprazol-Präparaten zuzahlungsfrei.
Bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) sieht man dagegen erheblichen politischen Handlungsbedarf. „Für viele Patienten ist das ein Riesen-Problem“, weiß Patientenberater Bertram Lingnau. Viele Kranke, die bei ihm anriefen, seien verunsichert. Er moniert, dass „es bei immer mehr Wirkstoffen mittlerweile gar keine zuzahlungsfreien Medikamente mehr gibt“. Zudem hätten viele Patienten Scheu, bei ihrem Arzt oder Apotheker nach einem wirkstoff- oder zumindest inhaltsgleichen Präparat zu fragen. „Vor allem Ältere trauen sich das nicht immer“, sagt Lingnau.
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) sieht die Schuld vor allem bei der Phamabranche. „Natürlich ist die Absenkung des Festbetrags bedauerlich. Aber es gibt auf Seiten der Hersteller noch sehr viel Spielraum für Preissenkungen“, sagt vzbv-Gesundheitsexpertin Susanne Mauersberg. Sie verweist darauf, dass Heilmittel hierzulande weit teurer sind als in den meisten anderen EU-Ländern. Tatsächlich kostete etwa das Omeprazol-Generikum Omep in Deutschland im September 43 Euro pro Packung – in Schweden jedoch nur 9 Euro. Auch in Spanien und Frankreich liegen die Preise weit unter dem hiesigen Niveau.
Das Problem: Deutschland ist für viele Pharmakonzerne Referenzmarkt. „Hier wird der Preis dann gleich mal weit höher festgelegt als in den Nachbarländern“, sagt Mauersberg. Dies sei der pharmafreundlichen Politik der letzten Jahre geschuldet.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) weist die Kritik zurück. Die Verantwortung für die mitunter höheren Pillenpreise dürfte nicht den Unternehmen zugeschoben werden. „So wird in Deutschland anders als in manchem anderen Land der volle Mehrwertsteuersatz auf Medikamente erhoben“, kritisiert ein Sprecher. Spielraum für Preissenkungen – damit künftig auch wieder mehr Medikamente zulassungsfrei sind – sieht er nicht: „Die Hersteller sind am Limit.“„ Die Schuld daran, dass immer weniger Produkte zuzahlungsfrei sind, liege bei den Kassen. Josef L. hofft dagegen nur, dass der Streit zwischen Kassen und Industrie nicht weiter auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird. Tobias Lill

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