Politik

Henry Lai gibt in Clips Tipps für den Alltag in Deutschland – auf Englisch mit deutschem Untertitel. (Foto: BR/Screenshot)

30.10.2015

Deutschland für Anfänger

Ein eigener TV-Sender für Flüchtlinge? Bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt es schon einige Angebote – im Internet

Willkommen in Lansing! 25 Asylsuchende sind im Juli in das fiktive BR-Dorf gekommen. Dorthin, wo vor einiger Zeit auch schon Finanzminister Markus Söder eine Folge lang Zuflucht fand: in der Soap Dahoam is Dahoam. Integrationsfernsehen at its best, könnte man also sagen. Aber das ist es natürlich nicht, was CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer meint, wenn er die integrative Kraft des Mediums Fernsehen beschwört. Er fordert von ARD und ZDF, einen eigenen Kanal für Flüchtlinge einzurichten. Ein deutsches Integrationsfernsehen, das den Neuankömmlingen deutsche Werte und Leitkultur vermitteln soll – inklusive Sprachkurs und Grundgesetz-Unterricht.

Dabei ist es aber längst nicht so, dass ARD und ZDF Scheuer bräuchten, um zu erkennen, dass auch sie einen Beitrag zur Integration der Flüchtlinge zu leisten haben. Seit Wochen arbeitet man dort auf Hochtouren, um den Menschen, die nach Deutschland kommen, „ein leicht zugängliches Angebot“ zu machen. Und vieles ist auch schon umgesetzt.

Unter dem Link refugees.ard.de sind sämtliche Angebote der ARD-Sender sowie der Deutschen Welle für Flüchtlinge und auch Helfer zusammengefasst. Dort gibt es auf Englisch und Arabisch Antworten auf grundsätzliche Fragen – zum Thema Krankenversicherung etwa oder zum Asylantrag. Die Auswahl für die „Zehn Dinge, die Sie über Deutschland wissen müssen“, ist zwar mitunter etwas skurril – zu finden sind die für Flüchtlinge wohl (noch) nicht ganz so relevanten Infos wie „Autos wäscht man nicht auf der Straße“ oder „In Deutschland zahlt man Steuern“. Aber die Hinweise, dass Gewalt gegen Kinder tabu ist, Schulpflicht herrscht und man im Supermarkt nicht um die Preise feilscht, ließen sich ja vielleicht gut unter Scheuers Kategorie „Leitkultur“ verräumen.

Die Sendung mit der Maus auf Arabisch oder Dari.

Und auch mehrere Sprachkurse sind im ARD-Online-Angebot Guide for refugees zu finden. Für Jugendliche gibt es sogar eine 13-teilige Sitcom zum Deutschlernen. Und für die ganz Kleinen stehen Clips der Reihe Deutsch mit Socke bereit. Die Sendung mit der Maus findet sich darüber hinaus in verschiedenen Sprachen – zum Beispiel auf Arabisch oder Dari.

Auch der Bayerische Rundfunk steuert Inhalte bei. Moderator Henry Lai etwa gibt in kurzen Web-Videos praktische Tipps für den Alltag in Deutschland: Wie komme ich an einen Job? Oder: Wie kann ich mein Kind in die Schule schicken? Und auch die Benutzung von Bus und Bahn wird erklärt – auf Englisch mit deutschen Untertiteln. Die Clips lassen sich auch herunterladen, sie können also von Handy zu Handy weiterverbreitet werden.

Dieses Angebot wird stetig erweitert. Geplant ist, die Tagesschau in 100 Sekunden bald auch auf Englisch und Arabisch zu senden. Und beim Bildungskanal ARD-alpha spricht man gerade mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie dem Goethe-Institut, um Flüchtlingen „so schnell wie möglich“ Deutsch- und Integrationskurse in Form von Smartphone-Applikationen zur Verfügung stellen zu können. Auch mit dem ZDF befinde man sich in enger Abstimmung, heißt es. Dort wird aktuell  daran gearbeitet, die täglichen Logo-Nachrichten in der Mediathek auch mit arabischen Untertiteln anzubieten.

Warum also ein eigener Integrationskanal, für den Scheuer die eingefrorene Finanzreserve aus den Überschüssen des neuen Rundfunkbeitrags von rund 1,6 Milliarden Euro abzapfen will? „Die meisten Flüchtlinge lassen sich am besten über das Internet beziehungsweise ihr Smartphone erreichen“, betont der ARD-Vorsitzende Lutz Marmor. Und er bekommt Unterstützung vom Medienwissenschaftler Wolfgang Mühl-Benninghaus von der Berliner Humboldt-Universität, der das Modell Scheuers für „von vorgestern“ hält. „Man muss die Flüchtlinge abholen“, sagt er. „Aber welcher Flüchtling kauft sich hier als erstes einen Fernseher?“ Ein Smartphone dagegen haben viele bereits, erweist es sich auf der Flucht doch oft als lebensnotwendig und ist zudem meist die einzige Möglichkeit, mit Familienmitgliedern in Kontakt zu bleiben.

Welcher Flüchtling hat schon einen Fernseher?

Ebenfalls eine wichtige Voraussetzung, damit solche Angebote Sinn machen: „Die Informationen müssen in der jeweiligen Sprache der Flüchtlinge vermittelt werden“, betont Mühl-Benninghaus. Denn das war auch so eine Idee Scheuers: Der Flüchtlingskanal solle vorwiegend auf Deutsch senden. Welcher Flüchtling aber schaltet ein Programm ein, das er nicht versteht?, fragt der Wissenschaftler. „Zwingen kann man ihn ja nicht. Und Bildung bringt sowieso nur etwas, wenn sie freiwillig erfolgt.“

Aber wie sieht es mit dem Online-Angebot aus, wird das überhaupt genutzt? Seit gut einem Monat gibt’s den BR-Videoratgeber. Bislang wurde er auf der BR-Seite 4100 Mal geklickt, dazu kommen rund 6400 Abrufe der Videos via Youtube. Und auch auf Facebook werden die Clips publiziert. Stefan Wagner, zuständig für die Themen Migration und Integration beim bayerischen Landesverband der Caritas, ist allerdings noch skeptisch. „Meiner Wahrnehmung nach ist das Angebot der Sender viel zu wenig bekannt“, sagt er. Er regt  an, Multiplikatoren – also die Profis in den Beratungsstellen und auch Ehrenamtliche – stärker einzubinden.

Klar ist jedenfalls: Einen eigenen TV-Kanal für Flüchtlinge braucht’s nicht. Scheuer steht mit der Forderung ohnehin recht einsam da. Die Opposition lehnt ihn ab, weil er die Gesellschaft mehr spalte als eine. Die Gewerkschaft Verdi spricht gar von einem „medialen Ghetto“.

So weit will Scheuers CSU-Kollege Martin Neumeyer, Integrationsbeauftragter der bayerischen Staatsregierung, nicht gehen. Er hält dessen Idee für legitim. „Gerade in Südosteuropa ist das Fernsehen ein starkes Medium“, betont er. Ob es allerdings gleich ein eigener Sender für Flüchtlinge sein muss, das fragt auch er. „Am Wichtigsten ist es doch, dass die Angebote niedrigschwellig sind“, betont Neumeyer. Was dabei natürlich helfen würde: „ein W-Lan-Zugang in den Gemeinschaftsunterkünften.“ (Angelika Kahl)

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