Politik

Hans Reichhart, Vorsitzender der Jungen Union. (Foto: dpa)

30.10.2015

"Deutschland ist ein Einwanderungsland"

JU-Chef Hans Reichhart über die CSU-Streitkultur, europäische Freizügigkeit in Zeiten der Flüchtlingskrise und den Begriff „deutsche Leitkultur“

Der 33-jährige Jurist ist seit Oktober 2013 Vorsitzender der CSU-Nachwuchsorganisation Junge Union (JU). Er sitzt außerdem seit 2013 im Landtag. Am vergangenen Wochenende wurde er als JU-Chef wiedergewählt. Reichhart gehört außerdem zum Strategieteam von Ministerpräsident Horst Seehofer, mit dem dieser die Weichenstellungen für die anstehenden Wahlen in Bayern und im Bund vornehmen will. BSZ: Herr Reichhart, Sie rühmen Ihre JU als „Stachel im Fleisch der CSU“. So oft haben Sie bisher aber noch nicht zugestochen, oder?
Hans Reichhart: Stachel zu sein bedeutet ja nicht nur, dem anderen Schmerzen zu bereiten. Sondern auch Antreiber und Mahner zu sein. Und ich nehme schon für die Junge Union in Anspruch, dass wir den Kurs der CSU immer wieder maßgeblich beeinflusst haben. BSZ: Wo war das zuletzt der Fall?
Reichhart: Zum Beispiel beim Thema Haushaltsdisziplin. Vor einigen Wochen gab es selbst in den Reihen der CSU Stimmen, die mit Blick auf die hohen Flüchtlingszahlen gefordert haben, über eine Neuverschuldung in Bayern nachzudenken. Da ist die JU reingegrätscht. Wie man jetzt sieht: mit Erfolg. Oder nehmen Sie das Beispiel G8/G9. Wir waren parteiintern die einzigen, die klar gesagt haben, eine große Schulreform mit einem Zurück zum G9 darf es nicht geben. Die Tendenz in der CSU war doch damals so, dass einige das G8 einfach abschaffen wollten. Da haben wir uns im Interesse der jungen Generation durchgesetzt. BSZ: Sie sind CSU-Landtagsabgeordneter und wurden diese Woche in Seehofers Strategieteam berufen. Nicht gerade ideale Voraussetzungen, um parteiintern Widerstand zu leisten.
Reichhart: Wer mich kennt, weiß: Wenn ich eine Meinung habe, dann sage ich die auch. Ich bin immer dafür, dass man in der Politik offen und ehrlich miteinander umgeht. Wenn mir etwas nicht passt, dann sage ich das aber zunächst einmal intern. Zum Beispiel in der Fraktion. Fragen Sie doch mal nach, ob ich da immer nur lobhudle.

"Wir brauchen jetzt kein Einwaderungsgesetz. Das wäre das falsche Signal."

BSZ: Was sagen Sie dann zum Energiekonzept Ihrer Wirtschaftsministerin? Danach wird Bayern nach dem Atom-Aus sehr viel Strom importieren müssen – die CSU wollte doch ein energieautarkes Bayern.
Reichhart: Energieautark muss nicht bedeuten, dass wir den täglichen Energiebedarf selbst decken können. Sondern dass wir im Notfall, wenn der Strombedarf Spitzenwerte erreicht, etwa auf Gaskraftwerke oder Pumpspeicher zurückgreifen können. BSZ: So klang das bei Horst Seehofer allerdings nicht ...
Reichhart: Wir müssen hier aber realistisch sein und dürfen Energiepolitik nicht durch die rosa Brille betreiben. Zum Konzept von Ilse Aigner: Das ist noch nicht abgeschlossen, was sie jetzt vorgetragen hat, war nur ein Teilausschnitt. BSZ: Immerhin hat sie es in einer Regierungserklärung als großen Plan vorgestellt.
Reichhart: Wir müssen auch noch abwarten, was auf Bundesebene passiert, wie die geplanten Strom-
trassen genau verlaufen. Ich hoffe, dass wir innerhalb des nächsten halben Jahres ein endgültiges Energiekonzept vorliegen haben. Auf jeden Fall ist hier Realismus gefragt. BSZ: Beim Thema Flüchtlingspolitik haben Sie gefordert, die Grenzen besser zu sichern. Wollen Sie auch Grenzzäune errichten, so wie die deutsche Polizeigewerkschaft?
Reichhart: Es wäre theoretisch durchaus möglich, die bayerisch-österreichische Grenze besser zu sichern, mit mehr Polizei, auch mit Zäunen. Allerdings: Ich bin für ein Europa der offenen inneren Grenzen. Dafür müssen aber die Schengen-Außengrenzen besser gesichert werden. Und Deutschland muss endlich geltendes Recht anwenden. Laut dem Dublin-Abkommen müssen Flüchtlinge, die über ein sicheres Drittland einreisen, dorthin zurückgeschickt werden. Das passiert aber nicht. Dass eine Bundesregierung sich nicht an bestehendes Recht hält: Das habe ich als Jurist bislang für unvorstellbar gehalten. Das heißt freilich nicht, dass Deutschland keine Flüchtlinge aufnehmen muss. Aber eben nicht so unkontrolliert wie jetzt, sondern aufgrund einer neuen fairen europäischen Lösung. Die aber wird es wahrscheinlich nie geben, wenn Deutschland weiterhin über das Dublin-Abkommen hinwegsieht. BSZ: Die JU spricht sich gegen ein Einwanderungsgesetz aus. Warum eigentlich? Dann gäbe es klare Vorgaben, wer ins Land darf. In anderen Staaten funktioniert das.
Reichhart: Die Diskussion darüber ist momentan verfehlt. Ein Einwanderungsgesetz: Das würde ja heißen, dass es noch zu mehr Einwanderung kommt, das ist jetzt das falsche Signal.

"Wenn jemand Christ werden will, muss man das genauso akzeptieren wie den umgekehrten Fall, dass jemand zum Islam konvertieren möchte"

BSZ: Es geht Ihnen also nur darum, dass es bedrohlich klingt, nicht darum, was es tatsächlich bewirkt?
Reichhart: Nein. Zum einen müssen wir uns jetzt um die kümmern, die bereits da sind. Und zum anderen gehört das deutsche Einwanderungsrecht bereits zu den liberalsten Einwanderungsgesetzen überhaupt. Wir haben vielfältige Möglichkeiten, legal nach Deutschland zu kommen. Diese müssen einfach genutzt werden und nicht um zusätzliche
Variaten erweitert werden. BSZ: Die Wirtschaft sieht das anders. Die Unternehmen hätten gerne ein Einwanderungsgesetz, das festlegt, wer unter welchen Voraussetzungen einreisen und hier arbeiten darf.
Reichhart:  Mir sagen Unternehmer jedenfalls, dass sie keine Probleme haben, Personal aus dem Ausland zu bekommen. Alles, was man braucht, ist eine Stellungnahme des Ausländeramtes, die dem Bewerber bescheinigt, dass er in einem Mangelberuf tätig ist oder entsprechend verdienen wird. BSZ: Sie verweisen auf das liberale deutsche Einwanderungsrecht. Demnach ist Deutschland ein Einwanderungsland – oder?
Reichhart: Wenn man als Kriterien zugrundelegt, dass wir auch geprägt sind durch Einwanderung, dass wir sehr einwanderungsfreundlich sind und jeden willkommen heißen, der sich an das Recht hält: Ja. BSZ: Ihre Partei legt großen Wert auf die „deutsche Leitkultur“, die Migranten beachten müssen. Können Sie mal erklären, was das genau sein soll?
Reichhart: Wer zu uns kommt, muss unsere Werte akzeptieren. Das gilt zuvörderst für die, die im Grundgesetz festgeschrieben sind. Dazu gehören zum Beispiel der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder das Recht auf Religionsfreiheit. Ich kenne Fälle, in denen Leute in Flüchtlingsunterkünften von ihren Glaubensbrüdern mit dem Messer bedroht wurden, weil sie vom Islam zum Christentum konvertieren wollten. Das geht natürlich nicht und entspricht nicht den Grundsätzen von Religionsfreiheit. Die gilt natürlich auch im umgekehrten Fall, wenn Christen Muslime werden wollen. Auch das muss man akzeptieren.
(Interview: Waltraud Taschner )

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