Politik

Alten- und Krankenpflege verlangt dem Personal viel ab – aber braucht es dafür wirklich Hochschulreife? (Foto: DAPD)

20.01.2012

Die Angst vor dem Pflege-Abi

Wird die Hochschulreife Voraussetzung für Menschen, die in Altenheimen arbeiten wollen? Die EU-Kommission zumindest hält das für eine gute Idee

Altenpfleger mit Hochschulreife? Der Vorschlag der EU-Kommission sorgt derzeit für Aufruhr. Auch im Freistaat sind Sozialverbände besorgt – sie fürchten, ebenso wie die Staatsregierung, der Fachkräftemangel würde schlimmer, wenn zwölf Jahre Schulbildung Voraussetzung für die Ausbildung werden. Die EU und auch die bayerische Opposition hoffen hingegen, so den Mangel zu beseitigen.
Seit Jahren gibt es zu wenig junge Menschen, die Pflegeberufe ergreifen: Derzeit fehlen nach Angaben des bayerischen statistischen Landesamts rund 7000 Kräfte. Und die Aussichten sind düster: „In der Pflege werden allein im Freistaat in den kommenden Jahren zehntausende Mitarbeiter gebraucht“, sagt der bayerische Diakoniepräsident Michael Bammessel. Einige Prognosen rechnen damit, dass im Jahr 2020 rund 50 000 Pfleger fehlen könnten.
Mitten in dieser Situation hat die EU-Kommission Ende Dezember angekündigt, die Zugangsschwelle für die Ausbildung in einem Pflegeberuf zu erhöhen: Zwölf Schuljahre sollen Europaweit Voraussetzung werden.


Pfleger mit Abi wären besser bezahlt, sagt die SPD


Der Aufschrei in den Sozialverbänden ist groß. Sie fürchten, mit der höheren Zugangsschwelle würde noch mehr Personal fehlen als mit der bisherigen Regelung. „Der Zugang zu Pflegeberufen muss auch weiterhin für Real- und Hauptschulabsolventen möglich sein“, fordert Diakoniepräsident Bammessel. Seine Angst ist durchaus begründet: Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi hätten etwa 85 Prozent derjenigen, die derzeit in der Ausbildung sind, nicht zugelassen werden können, würde die EU-Richtlinie heute schon gelten.
Auch Thomas Beyer, Vorsitzender der bayerischen Arbeiterwohlfahrt, hält den EU-Vorstoß für „nicht sinnvoll“. Mit dem jetzigen Modell der Altenpflegerschulen ist Beyer, der auch für die SPD im Landtag sitzt, zufrieden: „Viele Menschen entscheiden sich erst spät für den Pflegeberuf. Deren Lebenserfahrung wiegt die niedrigere Schulbildung auf.“
Derzeit werden Pflegeberufe in Bayern an spezialisierten Fachschulen gelehrt. Kranken- und Altenpfleger und Hebammen lernen ihre Arbeit an unterschiedlichen Einrichtungen. Voraussetzung ist die Mittlere Reife oder der qualifizierte Hauptschulabschluss.
Das bayerische Kultusministerium plant gerade, die Ausbildung für die Pflegeberufe zu vereinheitlichen, so dass ein Altenpfleger später auch im Krankenhaus arbeiten kann. Nach der Ausbildung an der Fachschule besteht schon jetzt die Möglichkeit, an der Fachhochschule einen Bachelor und einen Master zu absolvieren. „Die Qualität der Ausbildung an den Fachschulen ist in Bayern sehr hoch“, sagt ein Sprecher des Kultusministeriums.
Tatsächlich ist das Pflegepersonal in vielen europäischen Ländern zum Teil aber besser ausgebildet: Krankenpfleger übernehmen zum Beispiel andernorts oft Aufgaben, die in Deutschland nur von Ärzten ausgeführt werden düfen.
Dennoch: Bayerns Staatsregierung sieht den Vorstoß der EU-Kommission ähnlich wie die Sozialverbände. „Dürften die Lehrlinge erst nach zwölf Schuljahren anstatt wie bisher nach zehn die Ausbildung beginnen, ändert das nichts – außer, dass sich weniger Menschen anmelden würden“, heißt es im Kultusministerium.
Die EU-Kommission begründet die geplante Richtliniennovelle jedoch gerade mit dem Mangel an Arbeitskräften: Eine höhere Zugangsschwelle soll den Beruf attraktiver machen – und mehr Personal bringen. „Das ist der falsche Weg“, widerspricht Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU). Auch sie geht davon aus, dass sich weniger junge Menschen für Pflegeberufe entscheiden, wenn eine höhere Schulbildung Voraussetzung wird. „Bayern hat sich für eine Beibehaltung der bisherigen Regelung starkgemacht und wird sich weiter dafür einsetzen.“
Auch der Regierungspartner FDP hält nicht viel von dem EU-Vorstoß. Brigitte Meyer, Vorsitzende des Sozialausschusses: „Die wichtigste Voraussetzung für den Pflegeberuf ist soziale Kompetenz. Die erwirbt man nicht durch eine längere Schulzeit.“ Soziale Kompetenz, notwendige Empathie und Engagement für die Sache finde man auch bei Haupt- und Realschülern. Nur wer Leitungsfunktionen anstrebt, brauche einen Hochschulabschluss und deshalb auch eine zwölfjährige Schulausbildung.
Die Opposition im bayerischen Landtag sieht das anders: „Für die Pflege ist auch eine fundierte Allgemeinbildung nötig“, sagt Hans-Ulrich Pfaffmann, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. „Der Pflegeberuf steht dem ärztlichen Berufsstand heute gleichwertig gegenüber. Er glaubt wie die EU-Kommission, dass sich mehr Menschen für einen Pflegeberuf entscheiden, wenn der Ausbildungsstandard angehoben wird. „Denn die bessere Ausbildung würde natürlich auch höhere Einkommen mit sich bringen.“ Die Erneuerung der Pflegerichtlinie sei außerdem sinnvoll, weil europäisches Recht auch in Deutschland umgesetzt werden müsse. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Theresa Schopper, glaubt, der EU-Vorstoß könnte eine Lösung für den Fachkräftemangel sein: „Dann entscheiden sich sicher mehr junge Menschen für Pflegeberufe, vielleicht auch mehr Männer.“ Schopper findet es in jedem Fall sinnvoll, den Ausbildungsstandard zu erhöhen, weil die Anforderungen an das Pflegepersonal schon jetzt hoch seien und weiter stiegen: „Die Menschen werden älter und haben immer kompliziertere Krankheiten.“ Absolventen mit Hauptschulabschluss und junge Menschen mit mittlerer Reife sollen deshalb nur noch Pflegehelferberufe lernen können. (Veronica Frenzel)

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