Politik

SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher wirft der CSU vor, aktuelle Sorgen der Bürger nicht ernst genug zu nehmen. (Foto: dpa)

22.06.2018

"Die CSU führt die falschen Debatten"

Markus Rinderspacher, Chef der Landtags-SPD, über das lange Schweigen der SPD zur Flüchtlingsfrage, Wahlkampfstrategien und die Positionierung von Andrea Nahles

BSZ: Herr Rinderspacher, ganz Deutschland streitet über die Asylpolitik – und die SPD will mit Wohnen und Familie Wahlkampf machen. Kann das gut gehen?
Markus Rinderspacher: Wir kümmern uns um die tatsächlichen Probleme der Menschen. Der alleinerziehenden Verkäuferin an der Aldi-Kasse ist in ihrem Lebensalltag nicht damit geholfen, wenn wir über ein Burka-Verbot in Deutschland debattieren. Sie braucht einen sicheren Arbeitsvertrag, eine bezahlbare Wohnung und Unterstützung, Familie und Beruf vereinbaren zu können.

BSZ: Laut Umfragen ist das Thema Asyl aber das, was die Menschen am meisten bewegt.
Rinderspacher: Wir haben in der Bundesregierung unter Beteiligung der SPD zwei Asyl-Pakete geschnürt und ein Integrationsgesetz auf den Weg gebracht. Auch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat man Fehler aus der Vergangenheit erkannt und abgestellt. Der Staat ist handlungsfähig. Ich halte es für unverantwortlich, wenn die Union jetzt einen symbolpolitischen Streit um Abweisungen an der Grenze führt, der dem Ansehen der Bundesregierung schadet und im Ergebnis niemandem nützt – außer der AfD.

BSZ: Macht es Sie nicht nachdenklich, wenn die AfD in Umfragen die SPD überholt hat?
Rinderspacher: Die Landtagswahl am 14. Oktober wird die wichtigste seit den 1940er- und 1950er-Jahren. Es geht um die Frage, in welche Richtung sich unser Land bewegt. Antieuropäisch, rückwärtsgewandt und autoritär, wie das Markus Söder und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz am Mittwoch in Linz zelebriert haben, oder frei, solidarisch und gerecht. Dafür arbeitet die SPD.

"Natürlich will die Bevölkerung eine Lösung der Migrationsfrage"

BSZ: Das klingt so, als wolle die SPD lieber mit wehender Fahne untergehen, als das Fähnchen zumindest ein bisschen nach dem Wind zu richten.
Rinderspacher: Es geht um eine klare Haltung und um unseren bayerischen Grundwertekern, den Kurt Eisner bereits vor 100 Jahren in der Freistaatsdeklaration ausgerufen hat: „Jedes Menschenleben soll heilig sein!“ Mit Streit um Spiegelstriche, mit Schimpfen auf die Kanzlerin und mit dem Versuch, muslimische Flüchtlinge zu Sündenböcken zu stempeln, ist niemandem geholfen.

BSZ: Was spricht dagegen, Menschen an der deutschen Außengrenze abzuweisen, die bereits einmal abgeschoben wurden oder in einem anderen EU-Staat Asyl beantragt haben?
Rinderspacher: Nationale Alleingänge schaden nicht nur dem europäischen Gedanken, sie bringen auch keine Lösungen. Wie zeitweise im Jahr 2015 wird die nationale Antwort der Griechen und Italiener sein, Flüchtende ohne Asyl-Registrierung einfach durchzuwinken. Auf nationaler Ebene Fakten zu schaffen, hat also eine unkontrollierte Migration zur Folge, weil dann jeder nur noch an sich denkt. Das kann niemand ernsthaft wollen.

BSZ: Ihre Bundesvorsitzende Andrea Nahles hat gesagt: „Wir können nicht alle aufnehmen!“
Rinderspacher: Damit spricht sie eine Selbstverständlichkeit aus. Zum Rechtsstaat gehört auch, dass das Land wieder verlassen muss, wer nach einem Prüfverfahren keine Aufenthaltsberechtigung hat. Das ist eine Frage des Vollzugs, für den die CSU-Innenminister Seehofer und Herrmann zuständig sind, nicht eine Frage der Abweisung an den Grenzen.

BSZ: SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen wollte sich eigentlich nicht an der CSU abarbeiten. Auf dem Parteitag am Wochenende hat sie dann doch zur Attacke geblasen. Ein Kurswechsel?
Rinderspacher Natascha Kohnen bleibt ihrem Stil treu – eine starke Frau für ein starkes Bayern: dialogfähig, besonnen und wertschätzend. Aber es gehört auch zum politischen Diskurs, den Wettbewerber zu stellen. Die CSU bietet derzeit so viele landes-, bundes- und europapolitische Angriffsflächen, dass man dazu nicht schweigen kann.

BSZ: CSU behauptet, sie greife mit ihrer Politik nur die Debatten in der Bevölkerung auf. Ist das nicht Aufgabe von Politik?
Rinderspacher: Ich würde mich freuen, wenn die CSU tatsächlich die Debatten aufgreifen würde, die an den Stammtischen geführt werden. Da geht es eben nicht nur um Flüchtlingspolitik, sondern um die Situation in der Pflege, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und um bezahlbares Wohnen. Ich halte es für einen Fehler, dass sich die CSU mit den echten Alltagssorgen der Menschen zu wenig auseinandersetzt.

BSZ: Reden Sie dann mit anderen Menschen als die CSU?
Rinderspacher: Natürlich wartet die Bevölkerung auf eine Lösung der Migrationsfrage. Dazu hat die Bundesregierung wichtige Beschlüsse gefasst, auf europäischer Ebene ist man mit dem Türkei-Abkommen einen großen Schritt weitergekommen, und die europäische Grenzsicherung hat sich deutlich verbessert. Trotzdem tut die CSU so, als stünden wir vor der Aufgabe, alle 68,5 Millionen Flüchtlinge, der derzeit weltweit unterwegs sind, in Bayern aufnehmen zu müssen. Das ist unverantwortlich. Ich bin sicher, dass die Menschen wissen wollen, wie sie sich künftig ein Dach über dem Kopf leisten können, wann marode Staatsstraßen saniert werden und wie dem weiter hohen Unterrichtsausfall an den Schulen begegnet wird.

BSZ: Sie wollen Zehntausende neue Wohnungen bauen, Familien finanziell entlasten und den Einstieg in einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr schaffen. Wie soll das alles nachhaltig finanziert werden?

Rinderspacher: Ab 2019 gilt die Schuldenbremse, die auch mit unseren Stimmen beschlossen und im Verfassungsrang per Volksentscheid bestätigt wurde. Das gilt. Markus Söder ist doch derjenige, der derzeit im Großformat Wahlgeschenke verteilt. Das Gießkannenprinzip lehnen wir ab. Es braucht klare Prioritäten. Es braucht gezielte Impulse zur Entlastung von Familien, um Mieter zu schützen, um unsere Kinder zu fördern und um die Mobilitätswende voranzutreiben.

BSZ: Was macht Sie zuversichtlich, dass Sie mit Ihren Themen und Ihrer Strategie doch noch durchdringen beim Wähler?
Rinderspacher: Die CSU wird mit Markus Söder bei der Landtagswahl unter der 40-Prozent-Marke landen. Sie driftet nach rechts und macht Platz in der solidarischen Mitte. Dort docken wir mit einer sympathischen und kompetenten Spitzenkandidatin und einem geschlossenen Wahlkampf an. Es geht um Haltung. Wir werden es nicht zulassen, dass im 100. Jubiläumsjahr des Freistaats die Freiheit rechtsstaatlich fragwürdigen und national-konservativen Symbolen geopfert wird, wie sie im neuen Polizeiaufgabengesetz oder im Kreuzerlass zu sehen sind. Das stellt Grundwerte infrage und trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei. Das werden wir den Wählern klarmachen. Bei dieser Wahl geht es ums Ganze. (Interview: Jürgen Umlauft)

Kommentare (1)

  1. markus am 21.06.2018
    Der Fraktionsvorsitzende der SPD/Bayern gibt einige bemerkenswerte Erklärungen zu den aktuellen Politik-Themen.
    Ich meine, es müsste für jeden demokratischen Politiker in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein, den Inhalt des Grundgesetzes zu kennen und dafür einzustehen, insbesondere Artikel 16a.

    Dann würden sie vermutlich sehr schnell politische Gemeinsamkeiten mit Herrn Seehofer erkennen.

    Vielleicht sollte sich auch manche SPD-Politiker zudem daran erinnern, was sie während ihrer Schulzeit im Fach Sozialkunde oder später als Wehrpflichtiger (Staatsbürger in Uniform) über das funktionierende demokratische Staatswesen in Deutschland hörten.
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