Politik

Der schwäbische CSU-Politiker Markus Ferber gehört dem EU-Parlament seit 1994 an. (Foto: BSZ)

20.03.2020

„Die EU-Kommission hätte früher handeln müssen“

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber über nötige EU-Reaktionen auf die Corona-Krise, die Handlungsfähigkeit des EU-Parlaments und Probleme der Lebensmittelversorgung

Die EU hat spät auf die Herausforderungen durch die Corona-Krise reagiert: Bei einem Videogipfel haben die Staats- und Regierungschefs Mitte der Woche vereinbart, die Außengrenzen vorübergehend zu schließen. Was die EU außerdem tun kann und soll, darüber sprachen wir mit Markus Ferber (55), Sprecher der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung und Chef der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung.

BSZ: Herr Ferber, wochenlang waren das Coronavirus und die damit verbundenen Gefahren kein Thema für die EU. Warum?
Markus Ferber: Zunächst: Nicht nur die EU hat gezögert, auch die Bundesregierung hat etwas länger gebraucht, um entsprechende Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Was die EU angeht, ist es so, dass Gesundheitspolitik keine originäre Kompetenz der Europäischen Union ist. Dafür sind die Mitgliedsstaaten zuständig, in Deutschland die Bundesländer.

BSZ: Ist das ein Konstruktionsfehler? Sollte die EU nicht nur bei der Handels-, sondern auch bei der Gesundheitspolitik mehr Kompetenzen haben?
Ferber: Darum geht es im Moment nicht. Es wäre schon gut, wenn jede Ebene in ihrem Zuständigkeitsbereich das Nötige tut. Zum Beispiel hätte die EU dafür sorgen können, dass leere oder halbleere Flugzeuge nicht wochenlang über Europa herumfliegen, nur um eine EU-Regel zum Erhalt von Start- und Landerechten zu erfüllen. Das wurde jetzt, nachdem der Ministerrat und das EU-Parlament aktiv geworden sind, unterbunden.

BSZ: Dennoch kann es ja sinnvoll sein, wenn Zuständigkeiten im Bereich Gesundheitspolitik in Zukunft auf die EU übertragen werden.
Ferber: Wir werden uns nach Überwindung der Corona-Krise sehr grundlegende Gedanken darüber machen müssen, wie die Struktur Europas, aber auch das Verhältnis Europas zu anderen Partnern in der Welt ist. Dazu gehört auch die Frage, wie ein Binnenmarkt aufrechterhalten werden kann, wenn einzelne Mitgliedsstaaten wie zum Beispiel Deutschland Exportverbote etwa für Schutzbekleidung verhängen. Hier wäre Solidarität gefragt gewesen. Stattdessen hat man festgestellt: Es gibt eine Ansammlung von Mitgliedsstaaten, aber keine Union in Europa.

BSZ: Hätte die EU das jetzt ausgesprochene Einreiseverbot für Nicht-EU-Bürger nicht viel früher beschließen müssen?
Ferber: Ich bin in der Tat enttäuscht, dass EU-weite Einschränkungen der Freizügigkeit nicht früher getroffen wurden. Es ergibt wenig Sinn, wenn einzelne Mitgliedsstaaten das für sich regeln. Das hätte die EU-Kommission früher angehen müssen, dafür ist sie zuständig.

"Die Kommission muss sich jetzt um die Frage kümmern, wie wir die EU-Beihilferegeln so anpassen können, dass nationale und regionale Hilfsprogramme für Unternehmen erlaubt sind"

BSZ: Wie kann die EU Bürgern und Unternehmen helfen?
Ferber: Die Kommission muss sich jetzt um die Frage kümmern, wie wir die EU-Beihilferegeln so anpassen können, dass nationale und regionale Hilfsprogramme für Unternehmen erlaubt sind. Derzeit dürfen die Mitgliedsstaaten betroffenen Firmen finanziell nicht helfen. Und die Kommission muss klären, wie wir die Bankenregeln so entschärfen können, dass benötigte Kredite an die besonders betroffenen kleinen Mittelständler ausgegeben werden dürfen. In Krisensituationen, wie wir sie nun erleben, sehen wir nämlich oft, dass kleine Unternehmen Probleme haben, an Kredite zu kommen. Hier können staatliche Garantien eine Hilfe sein. Da ist noch einiges zu tun. Die Kommission hat noch nicht verstanden, dass sie viel mehr tun muss, als schöne Appelle an die Welt zu richten.

BSZ: Gibt es auch EU-Hilfsmittel für Unternehmen, die wegen der Corona-Krise in ihrer Existenz bedroht sind?
Ferber: Zunächst sind die Regionen zuständig, bei uns also die Bundesländer. Bayern hat ja einen starken Schirm aufgespannt, die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls. Europa kann aufgrund seiner knappen Ressourcen nur wenig tun. Es geht auch nicht darum, einen neuen Geldtopf einzurichten, sondern man muss dafür sorgen, dass vorhandene Gelder abgerufen werden können.

BSZ: Was halten Sie vom Vorschlag der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, 25 Milliarden Euro aus dem EU-Strukturfonds für die Corona-Krise umzuwidmen?
Ferber: Nichts. Das ist ein Taschenspielertrick. Denn das sind ja Gelder, die bereits an die Mitgliedsstaaten ausgezahlt worden sind. Es handelt sich hier um ungenutzte Mittel, die die betreffenden Mitgliedsstaaten nun nicht zurückzahlen müssen. Das ist nicht das Gleiche wie frisches Geld. Außerdem hängt die Maßnahme davon ab, dass es in allen Mitgliedsstaaten überhaupt ungenutzte Mittel gibt. Deutschland ruft seine Mittel im Regelfall ab und wird entsprechend von dieser Maßnahme nur im geringen Umfang profitieren.

BSZ: Was kann die EU tun, um die Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen?
Ferber: Zunächst: Derzeit ist die Versorgung gesichert, ich sehe da überhaupt keine Probleme. Die EU-Außengrenzen sind für Personen, nicht für Waren gesperrt. Die Kommission muss sich aber darum kümmern, dass der freie Warenverkehr innerhalb Europas auch weiterhin funktioniert. Einzelne Mitgliedsstaaten wie Bulgarien oder Kroatien schicken Lkw-Fahrer 14 Tage in Quarantäne, deren Lkw bleiben also mitsamt der Waren an der Grenze einfach stehen.

"Die Quarantäne für die Lkw-Fahrer muss aufgehoben werden."

BSZ: Was ist hier zu tun?
Ferber: Die Quarantäne für die Lkw-Fahrer muss aufgehoben werden. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass ein Lkw-Fahrer nur noch fährt, dass er also nicht die Waren be- und entlädt – damit er keine Kontakte mit anderen Menschen hat. Das kann und muss EU-weit geregelt werden.

BSZ: Was ist mit Lebensmitteln, die innerhalb der EU geerntet und verarbeitet werden? 95 Prozent der Erntehelfer kommen aus Osteuropa, und die dürfen jetzt nicht mehr rein.
Ferber: Ich hoffe, dass wir diese Einreisebeschränkungen bald rückgängig machen können – weil die beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-Ausbreitung greifen.

BSZ: Auffallend ist, dass Bioläden teils leer geräumt sind, während konventionelle Supermärkte meist ein großes Sortiment anbieten. Woran liegt’s?
Ferber: Die Nachfrage nach Bioprodukten ist gestiegen. Das liegt auch daran, dass viele Leute jetzt selber kochen, statt essen zu gehen oder den Pizza-Dienst in Anspruch zu nehmen. Die Bio-Produzenten können nicht kurzfristig so schnell nachproduzieren.

BSZ: Ist das Europäische Parlament derzeit arbeitsfähig?
Ferber: Nein. Ich bedaure es sehr, dass sich unser EU-Parlamentspräsident David Sassoli vorsorglich selbst in Quarantäne geschickt hat, weil er in Italien war. Die Parlamentsverwaltung wurde heimgeschickt, die Dienste sind nur begrenzt arbeitsfähig und wir haben keine Prozeduren, um beispielsweise aus der Ferne abstimmen zu können.

BSZ:  Reichen die Schritte der Staatsregierung sowie der Bundesregierung, um eine größere Rezession zu verhindern?
Ferber: Sowohl die Staatsregierung als auch die Bundesregierung haben beachtliche Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzufedern. Ob es zu einer Rezession kommt, hängt nun vor allem davon ab, wie schnell wir die Ausbreitung des Virus eindämmen können und wie lange das öffentliche Leben stillsteht. Wichtig ist, dass wir auch für den Fall eines wirtschaftlichen Abschwungs gewappnet sind und Unternehmenspleiten und Arbeitslosigkeit weitestgehend vermeiden. Dabei helfen die Maßnahmen der Staatsregierung und der Bundesregierung sehr.

BSZ: Was kann die Europäische Zentralbank tun?
Ferber: Wenig. Die Europäische Zentralbank kann den Bankensektor mit Liquidität versorgen, aber nicht mehr. Durch das niedrige Zinsniveau und das hohe Volumen der Anleihenkäufe hatte die EZB ihr Pulver bereits vor der Krise weitgehend verschossen. Die von der EZB angekündigte Ausweitung des Anleihenkaufprogramms wird am Ende nur wenig bringen, denn auch das größte Anleihenkaufprogramm wird nicht helfen, unterbrochene Wertschöpfungsketten zu reparieren. Ich habe Sorge, dass sich die EZB mit einer immer weiteren Ausdehnung des Anleihenkaufprogramms übernimmt und irgendwann die Grenze zur monetären Staatsfinanzierung überschreitet.

BSZ: Wie reagiert eigentlich die Hanns-Seidel-Stiftung, deren Vorsitzender Sie sind, auf die Beschränkungen durch die gegenwärtige Corona-Krise?
Ferber: Wir nutzen digitale Angebote, bieten also zum Beispiel Webinare an. Das wird sehr gut angenommen, muss aber jetzt von uns auch entsprechend auf- und ausgebaut werden.
(Interview: Waltraud Taschner)

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