Politik

Vor allem in der Gastronomie drohen Niedriglöhne, glauben die Gewerkschaften. (Foto: dapd)

21.04.2011

Die Furcht vorm Lohndumping

Am 1. Mai fallen die Beschränkungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit - die Gewerkschaften sehen es mit Sorge

Nur noch eine Woche, dann bekommt die bayerische Wirtschaft endlich die Fachkräfte, die sie herbeisehnt: hochqualifiziert, jung, engagiert. Das hoffen Arbeitgeberverbände und die Regierungskoalition. Oder wie es Gewerkschaften und Opposition sehen: Nur noch eine Woche, dann wird Bayerns Niedriglohn-Arbeitsmarkt von billigen Hilfskräften aus dem Osten überrannt, die Löhne der schlecht Qualifizierten sinken ins Bodenlose.
Am 1. Mai fallen in Deutschland die Beschränkungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten. Ob das ein Segen oder ein Fluch für den deutschen Arbeitsmarkt sein wird, das ist eine Frage der Perspektive.
Fest steht: Erstmals dürfen Menschen aus Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien, der Slowakei und dem Baltikum ohne eine besondere Genehmigung in Deutschland arbeiten. Nach Schätzungen der Friedrich-Ebert-Stiftung werden durch die neuen Regeln zwischen 50 000 und 150 000 Arbeitskräfte im Jahr nach Deutschland kommen – die Prognose der Experten verspricht eher eine moderate Zuwanderung als einen massenhaften Ansturm. Deutschland hat im Gegensatz zu anderen EU-Ländern wie Irland und Großbritannien nach der EU-Osterweiterung 2004 eine siebenjährige Übergangsfrist beschlossen, in der die Freizügigkeit für neue EU-Bürger eingeschränkt blieb.
Aus Sicht der Wirtschaft kommt die Öffnung des Arbeitsmarkts am 1. Mai um Jahre zu spät. „Es war ein Fehler, die Freizügigkeitsbeschränkungen in Deutschland bis zum letztmöglichen Zeitpunkt aufrechtzuerhalten“, meint Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Viele qualifizierte Fachkräfte aus Mitteleuropa seien bereits in den vergangenen Jahren in andere westliche EU-Staaten gezogen.
„Die Freizügigkeit kommt genau zum richtigen Zeitpunkt“, sagt dagegen Erwin Huber (CSU), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag. „Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen sieben Jahren völlig verändert.“ Damals hätte Deutschland den Andrang von Arbeitskräften nicht verkraften können. Nun bestehe ein Bedarf nach Fachkräften. „Ich sehe eine Chance für den Mittelstand“, so Huber. Die bayerischen Wirtschaftsverbände werben bereits mit einem Internetportal um die qualifiziertesten Fachkräfte aus den neuen EU-Ländern. Doch die entscheidende Frage ist: Werden die ersehnten Ingenieure, Facharbeiter und Akademiker überhaupt nach Bayern kommen?
„Ich glaube nicht, dass sich großartig etwas am Akademiker-Arbeitsmarkt tun wird“, meint etwa die Bayreuther Bundestags-Abgeordnete Anette Kramme, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Die neuen Regeln würden sich vor allem im Niedriglohnsektor auswirken.
Besonders gefährdet ist nach Ansicht der Gewerkschaften der Bereich Hotel und Gastronomie, vor allem in Großstädten. Dort gebe es keinen Tarifvertrag und eine große Personalknappheit. „Es werden vor allem Hilfstätigkeiten betroffen sein, Spülkräfte und Küchenhilfen“, sagt Hans Hartl, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten: „Es wird nicht die große Völkerwanderung stattfinden, sondern ein Abwärtsdruck auf die Löhne.“
„Wir erwarten einen großen Druck auf die Löhne auch dort, wo Branchenmindestlöhne bestehen“, warnt Timo Günther, Sprecher des DGB Bayern. Der Gewerkschaftsbund sieht die Politik in der Pflicht: „Die Bundesregierung unternimmt nichts gegen die Gefahr, dass Lohndumping-Firmen jene Firmen verdrängen, die vernünftige Löhne und Arbeitsbedingungen bieten“, sagt Günther – ein Vorwurf, den die Regierungsparteien für überzogen halten.
„Die Gewerkschaften schüren hier eine unbegründete Angst“, erklärt die Generalsekretärin der bayerischen FDP, Miriam Gruß. Es gebe in vielen Bereichen, etwa bei Ingenieuren und in der Pflege, Probleme, deutsche Arbeitskräfte zu finden. Und um Lohndumping zu verhindern, habe die Regierung Vorsorge getroffen, etwa mit einer Lohnuntergrenze für die Leiharbeit.
„Ich bin mir sicher, dass wir im Herbst die ersten Skandale haben werden“, warnt dagegen SPD-Frau Kramme. Um den Druck auf die Löhne zu mindern, brauche Deutschland einen flächendeckenden Mindestlohn. (Bernhard

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