Politik

Der Soziologe Armin Nassehi ist von der Aggression der Israel-Gegner wenig überrascht. (Foto: dpa)

01.08.2014

"Die gesamte Diskussion ist vergiftet"

Der Soziologe Armin Nassehi über latenten Antisemitismus in Deutschland, gefährliche Stereotypen und neue Formen des Judenhasses

In Wuppertal gab es einen Brandanschlag auf die Synagoge, in Nürnberg stürmten Anti-Israel-Demonstranten eine Fastfood-Filiale. Hasserfüllte Parolen gegen Israel und Juden erschrecken das Land. Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der LMU München sagt, das habe weniger mit dem Staat Israel zu tun als mit dem völlig verqueren und unaufgeklärten Verhältnis Europas zum Jüdischen. BSZ: Herr Nassehi, Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, spricht von einer neuen Dimension des Judenhasses. Haben Sie die Gewaltbereitschaft und hasserfüllten Parolen auf Demos und im Netz überrascht?
Armin Nassehi: Ehrlich gesagt, nicht allzu sehr. Antisemitismus ist fast immer erwartbar, wenn es zu Diskussionen um Israel kommt. Selbstverständlich darf man israelische Politik kritisieren –  das geschieht in Israel selbst, einer offenen demokratischen Öffentlichkeit, permanent. Interessant ist aber, dass Israel bei uns stets in einem ganz merkwürdigen Fokus steht und Aggressionen anzieht. Das hat weniger mit dem Staat Israel zu tun als mit dem völlig verqueren und unaufgeklärten Verhältnis Europas zum Jüdischen.

BSZ: Woher kommt das? Studien bescheinigen 10 Prozent der Bundesbürger eine antisemitische Einstellung. Dabei kennt doch kaum einer persönlich Juden, oder?
Nassehi: Es gibt bei uns einen latenten Antisemitismus, der nicht auf konkrete Juden angewiesen ist. Bitten Sie die Leute zu beschreiben, wodurch sich ein Jude eigentlich auszeichnet. Dazu werden sie kaum etwas sagen können, denn das war ja auch kulturgeschichtlich das Merkwürdige am Antisemitismus: Der Jude wurde stets als anders imaginiert – und doch hat man nur einen Spiegel seiner selbst gesehen, letztlich Projektionen der eigenen Identität. Was man den Juden im 19. Jahrhundert vorgeworfen hat, war paradoxerweise ihre Ununterschiedenheit –  bis heute. Denn wie alle anderen auch leben Juden das Leben ihrer jeweiligen Gesellschaft. Großstädtische amerikanische Juden sind großstädtische Amerikaner und deutsche Juden sind schlicht Deutsche. Die Provokation des Jüdischen ist, dass man einen Unterschied sucht, der letztlich nicht da ist und keine Rolle spielt. Das erzeugt geradezu wahnhafte Fantasien und Assoziationen, die viele nicht kontrollieren können. Die Parolen dazu kann man derzeit auf unseren Straßen hören oder in den Kommentarspalten im Internet lesen.

BSZ: Frau Knobloch vermisst einen Aufschrei in Deutschland. Sie kritisiert, dass Sonntagsreden nicht ausreichen – was lässt sich tun?
Nassehi: Ich gebe Frau Knobloch durchaus Recht: Sonntagsreden reichen nicht. Aber letztlich kämpft sie an einer geradezu paradoxen Front. Sie wirbt darum, dass auch Juden in unserer Gesellschaft als Individuen behandelt werden wie jeder andere auch – sonst interessieren wir uns auch nicht für die Religionszugehörigkeit oder Konfession einer Person oder für andere individuelle Merkmale. Auf der anderen Seite muss sie als Repräsentantin der jüdischen Gemeinden so etwas wie eine kollektive Identität in den Vordergrund stellen. Das ist eine schwierige Rolle. Man muss übrigens auch sagen, dass es derzeit in Deutschland eine durchaus angemessene Diskussion gibt. Viele Leute haben sich öffentlich sehr deutlich geäußert. Die Linkspartei, die offenbar ein ungeklärtes Verhältnis zu dieser Frage hat, gerät zu Recht stark unter Druck, und man entdeckt hier mehr SED-Vergangenheit, als die Partei zugestehen will. Und ein CDU-Politiker, der sich unflätig über Israel geäußert hat, ist aus der Partei geflogen – da findet also durchaus Vernünftiges statt. Was ich dagegen viel problematischer finde, ist, dass der Blick professioneller Beobachter des Antisemitismus, etwa bei Wolfgang Benz, geradezu verharmlosend immer noch fast ausschließlich dem Antisemitismus der Rechtsradikalen gilt. Den linksradikalen und den migrantischen wollen viele nicht sehen.

"Die Koalition zwischen linken Gruppierungen mit Hamas-Anhängern macht mich fassungslos"


BSZ: Bundespräsident Joachim Gauck spricht von einem importierten Antisemitismus. Beschreibt denn das das Phänomen treffend?
Nassehi: Dass es einen importierten Antisemitismus gibt, ist keine Frage. Diesen darf man nicht unterschätzen –  aber auch nicht überschätzen. Vieles ist derzeit auch Ausdruck der Ratlosigkeit angesichts des Krieges. Es wäre freilich eine völlige Überreaktion, nun zu behaupten, der Antisemitismus bei uns sei ein reines Importprodukt. Das ist sicher nicht der Fall. Was mich wirklich fassungslos macht, ist die Koalition zwischen linken Gruppierungen bis in die Linkspartei mit Hamas-Anhängern und sonstigen islamistischen Gruppen.

BSZ: Wie kommt es zu dieser merkwürdigen Koalition?
Nassehi: Auf der einen Seite gibt es eine traditionelle Koalition von Linken mit Palästina, das ist durchaus auch noch eine DDR- und SED-Tradition. Neu ist freilich, dass das politische Palästina heute nicht mehr einer weltrevolutionären Linken angehören will, sondern eher von islamistischen Gruppen repräsentiert wird – hier besonders von der Hamas, die manchen als das kleinere Übel im Vergleich zur Hisbollah gilt. Aber die Koalitionen, die da zum Teil entstehen, sind schon abenteuerlich, wenn man linke westliche und islamistische Milieus vergleicht. Vielleicht eint beide Seiten ein ungeklärtes Verhältnis zum Liberalismus des Westens, für den ja auch Israel steht. Gemeinsame Feinde lassen noch die hässlichsten Partner wechselseitig schön erscheinen.

BSZ: Wann schlägt Kritik an Israel in Antisemitismus um, gibt es hier überhaupt eine haarscharfe Trennungslinie? Klischees und Vorurteile schwingen doch immer mit, oder?
Nassehi: Je emotionaler eine Diskussion geführt wird, um so eher neigt sie zu Stereotypenbildungen. Außerdem ist die gesamte Diskussion durch sehr stabile Stereotypen und Antipoden vergiftet. Wir Soziologen sprechen hier von Konfliktsystemen, also einer Konstellation, bei der es egal ist, was Sie sagen, sie werden in jedem Fall einer Seite des Konflikts zugeordnet. In Konfliktsystemen entsteht ein Schwarz-Weiß-Schema, aus dem man nicht rauskommt. Dann wird jede Kritik an Israel als antisemitisch angesehen, und Kritik an der anderen Seite ist dann islamophob. Das ist wie bei einem Ehestreit, in dem Sie auch automatisch immer eine Seite einnehmen, selbst wenn Sie sagen: „Komm, lass uns nicht streiten.“ Das ist paradox, aber da kommen wir schwer raus. Und auch der Versuch, aus einer solchen Konstellation rauszukommen, zieht uns in den Konflikt hinein.

BSZ: Weil es die Welt so schön einfach macht?
Nassehi: Klar, die Funktion eines Konfliktsystems ist es ja genau, dass man sofort weiß, wer die Guten sind und wer die Bösen. Das Problem ist, dass man dann über die Sache selbst nicht isoliert von dem Konfliktsystem diskutieren kann. Vielleicht würde weiterhelfen, sich die öffentliche Diskussion innerhalb Israels genauer anzusehen. Dort finden sich übrigens auch viele Stimmen, die durchaus eine differenzierte Position zur Situation der Palästinenser im Gaza-Streifen haben. Israel ist jedenfalls pluralistischer, als unser Bild von außen es wahrhaben will. Erst wenn wir das sehen, verlieren wir womöglich das verklemmte Unbehagen, das Kritik an Israel so oft in Stereotype umschlagen lässt. Und dann können wir auch das Dilemma Israels besser einschätzen: mit der Hamas einen Gegner zu haben, der nicht nur Israel mit Raketenangriffen in Geiselhaft nimmt, sondern auch die eigene Bevölkerung. Wenn ich mich selbst positionieren darf: Das Problem ist nicht Israel, sondern die Hamas.
(Interview: Angelika Kahl)

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