Politik

12.07.2019

"Die Hütte brennt"

An Grund- und Mittelschulen fehlen LehrerInnen – werden in Bayern deshalb bald Quereinsteiger eingesetzt?

Das Gespräch mit der älteren Dame im Zug beginnt ganz beiläufig. Wo man wohnt. Was man so macht. Dass ihre Tochter in München Grundschullehramt studiert habe mit dem Ziel, dort zu bleiben und zu unterrichten. Und dann? „Nichts.“ Keine Stelle? „Nichts. Erst wird behauptet, sie brauchen dort Lehrer. Dann brauchen sie doch keine Lehrer. Und jetzt brauchen sie wieder welche.“ Die Dame lacht zornig. „Die Politik hat halt keine Ahnung.“

Das entspricht zwar nicht der Wahrheit. Aber ganz unrecht hat die Dame auch nicht. Zu bestimmen, wie viele Lehrer und Lehrerinnen in Bayern in den kommenden Jahren benötigt werden, scheint sich jeder Berechnung zu widersetzen. Nur so ist zu erklären, warum, wie Anna Toman von der Landtagsfraktion der Grünen sagt, in Sachen Lehrermangel „ein Schweinezyklus auf den nächsten folgt“.

Unerwarteter Zuzug, unverhofft hohe Geburtenzahlen: Das macht Prognosen unzuverlässig. Hinzu kommt: Auf Lehrermangel und -überschuss kann nur mit Zeitverzögerung reagiert werden. Schließlich müssen die jungen Leute, die fehlen, erst mal ausgebildet werden. Zurzeit fehlen also Grund-, Mittel- und Förderschullehrer. Immerhin: Den Handlungsbedarf leugnet keiner mehr. Für Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) ein erfreuliches Novum: „Erstmals sind sich alle einig: Die Hütte brennt.“

Jüngst hat die Süddeutsche Zeitung interne Überlegungen des Kultusministeriums öffentlich gemacht, die eine deutliche Sprache sprechen. Überlegt werde, an Grund- und Mittelschulen Quereinsteiger ohne Lehramtsstudium einzusetzen, Theater- und Kunstpädagogen etwa. Oder Dolmetscher.

Der Lehrerverband drängt auf grundlegende Reformen

Den gesunden Menschenverstand provoziert das. Man will richtige Lehrer, gut ausgebildet, engagiert und einigermaßen erfahren. Alle, die mit dem leidigen Thema Lehrermangel vertraut sind, nehmen solche Gedankenspiele um Quereinsteiger allerdings als „Notlösung“ (Anna Toman, Grüne), „Übergangslösung“ (Daniel Föst, FDP), „in Ausnahmefällen sinnvoll“ (Gabi Schmidt, Freie Wähler) hin. Zwar wird die Politik der Vergangenheit von der Opposition angeprangert. Aber während einer Krise muss man nun mal schauen, was sich tun lässt. Und ganz pragmatisch Löcher stopfen.

„Was das Ministerium jetzt macht, ist vernünftig und pragmatisch“, so auch der Augsburger Schulpädagoge Klaus Zierer. Er plädiert dafür, die Qualifizierung von Quereinsteigern zu systematisieren, denn: „Quereinsteiger werden wir immer haben.“ Anna Toman warnt davor, die Einweisung neuer Kollegen auf die Lehrer und Lehrerinnen an den Schulen abzuwälzen. So wie es bei den sogenannten Zweitqualifizierten üblich sei – jenen Realschul- und Gymnasiallehrern, die schon seit einigen Jahren weiterqualifiziert werden, um offene Stellen an Grund- und Mittelschulen zu besetzen. 890 Lehrkräfte wurden so bereits weitergebildet, 1500 stecken derzeit in Qualifikationsmaßnahmen.

Darüber hinaus hat der Freistaat die Universitäten bereits zum vergangenen Wintersemester um 700 Studienplätze im Grundschullehramt aufgestockt. Das hilft tatsächlich, den hohen Numerus Clausus hier und da zu senken. Am Lehrstuhl von Zierer etwa sind 150 Studierende mehr angemeldet als im Wintersemester zuvor. Zierer hält seine Vorlesungen nun nicht mehr vor 1000, sondern, wacker genug, vor 1150 Studenten. Denn oh Wunder: Nicht nur an den Schulen fehlt das Lehrpersonal. Auch an der Universität sind Dozenten Mangelware. „Trotz Unterstützung seitens des Ministeriums: Der Bedarf bleibt groß. Zudem wird es immer schwieriger, Lehrpersonen zu finden, die an der Universität unterrichten wollen.“ Und als wäre das nicht alles schon genug, bringt Zierer noch einen weiteren Mangel ins Spiel, einen künftigen, an den noch gar nicht gedacht werde: den Mangel an Schulleitern.
Statt darüber zu resignieren, empfiehlt er, die aktuelle Situation zu nutzen, über das große Ganze nachzudenken und zum Beispiel die Attraktivität und Qualität des Lehrerberufs zu erhöhen.
Tatsächlich müssen langfristige Strategien auf den Tisch, um das ungute Hin und Her von Lehrerüberschuss und Lehrermangel zu beruhigen.

Auch Grüne und Liberale denken in diese Richtung. Gleiche Vergütung für Lehrer aller Schularten: Das ist das Ziel von Anna Toman. Attraktive, leistungsabhängige Bezahlung das des Landesvorsitzenden der FDP. Darüber hinaus macht sich Daniel Föst für eine Reform der Ausbildung stark. Er wünscht sich ein flexibles Bachelor-/Master-System für Studierende, das es ermöglicht, individuelle Schwerpunkte zu setzen.

Und auch Simone Fleischmann vom BLLV drängt auf grundlegende Veränderungen des Studiums. „Wir brauchen dringend eine flexible Lehrerbildung.“ Im Rahmen einer solchen Reform würden sich Studierende nicht zu Anfang, sondern erst nach einigen Semestern und mit Blick auf den aktuellen Arbeitsmarkt entscheiden, in welcher Schulart sie unterrichten wollen.

Mehr Geld, flexiblere Bildungswege: Das klingt überzeugend. Einziger Nachteil: Derart große Veränderungen anzuschieben kostet Mut, braucht Konsens – und eine Menge Zeit. Die Tochter der Dame im Zug übrigens hat vor einigen Jahren eine Stelle als Grundschullehrerin in Straubing gefunden. Nichts gegen Straubing, sagt die Dame. Allein: Die falsche Prognose ärgert sie noch immer. (Monika Goetsch)

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