Politik

Die Schulen sind sicher, aber Fachleute haben Angst, dass sich Kinder im Bus oder Zug anstecken. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

16.10.2020

"Die Kinder leben in zwei Welten"

Wie sich Corona auf die Schulen auswirkt, wo es hakt und was sich Elternvertreter wünschen

Man ist immer nervös“, sagt Tomi Neckov. Gerade musste er mal wieder einen Schüler abholen lassen, der sich zum wiederholten Mal nicht an die Maskenpflicht gehalten hat. „Unter den Eltern sind Maskengegner, die den Kindern sagen, dass sie keine Masken tragen müssen. Die Kinder leben in zwei Welten.“ Also hat der Rektor der Frieden-Mittelschule in Schweinfurt beschlossen, „knallhart“ durchzugreifen. Auch, um seine Lehrkräfte zu schützen.

Eingesperrt in relativ kleinen Räumen, mit so vielen Schülerinnen und Schülern: Neckov, der auch Vizepräsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands ist, weiß, wie groß die Angst unter den Kollegen ist, sich zu infizieren. Manche lassen die Fenster ständig offen stehen. Andere lüften alle Viertelstunde. In Neckovs Schule sitzt man neuerdings mit Jacke im Klassenzimmer. Diskutiert wird, ob ein Klassensatz günstiger Decken angeschafft werden soll, damit man es wärmer hat.

Gute Ideen braucht man in dieser Zeit. Dabei sollte eigentlich der Dreistufenplan des Kultusministeriums ein bisschen Ruhe reinbringen in unruhige Zeiten. Der Plan orientiert sich an der Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner. Liegt die Inzidenz im Landkreis unter 35, findet der Unterricht im Regelbetrieb statt, unter den üblichen Hygieneauflagen, als da sind: die Maskenpflicht auf dem Schulgelände. Das regelmäßige Lüften alle 45 Minuten für mindestens fünf Minuten; feste Sitzordnungen und Gruppenbildungen und natürlich die persönliche Hygiene.

Mit Maske am Sitzplatz

Stufe zwei tritt ein, wenn die Inzidenz über 35, aber unter 50 liegt. Dann sind alle Kinder ab Jahrgangsstufe 5 verpflichtet, auch am Platz Maske zu tragen. Jedenfalls, wenn der Mindestabstand von anderthalb Metern nicht gewährleistet werden kann. Für Grundschüler gilt das ausdrücklich nicht. Stufe drei tritt ab Inzidenz 50 in Kraft. Hier wird der Mindestabstand von anderthalb Metern verbindlich eingeführt. Eine folgenreiche Änderung. Denn fast immer müssen darum Klassen geteilt und im Wechsel unterrichtet werden. Ein Mix aus Präsenz- und Distanzunterricht also. Am Sitzplatz tragen dann alle Schüler*innen, auch die ganz jungen, Maske.

Die Schwellenwerte gelten als Orientierungshilfe, regionale Unterschiede sollen ausdrücklich berücksichtigt werden. Die Behörden vor Ort informieren die Schulen, welche Stufe des Plans umgesetzt werden muss. Eine vollständige Schulschließung sieht der Plan nicht vor. Das Gesundheitsamt kann aber eine „zeitlich befristete Einstellung des Präsenzunterrichts anordnen“ – und das auch an der gesamten Schule. Der Unterricht wird dann ins Digitale verlegt.

Darüber hinaus regelt der Hygieneplan noch eine andere heikle Frage, die alle Eltern umtreibt: Was tun, wenn das Kind morgens schnieft und hustet? Hier unterscheidet das Kultusministerium zwischen dem kleinen Schnupfen und richtigen Erkrankungen. Wenn ein Kind leicht erkältet ist, kann es bei Stufe eins und zwei durchaus in die Schule gehen, muss aber ab der fünften Klasse aufwärts in den ersten 24 Stunden zu Hause bleiben. Bei Stufe drei ist für alle Schüler ein negativer Corona-Test oder ein ärztliches Attest nötig sowie ab der fünften Klasse eine 24-stündige Karenzzeit. Mit Krankheitssymptomen dürfen Kinder in keinem Fall in die Schule, auch auf Stufe 1 und 2 nicht.

Wie die Maßnahmen bei den Eltern ankommen, erklärt Andrea Nüßlein, Vorsitzende des Landeselternverbands Bayerischer Realschulen: „Die meisten Eltern sind froh, dass wieder überwiegend Präsenzunterricht stattfinden kann, weil sie Bedenken haben, ob der Stoff im Distanzunterricht gut vermittelt werden kann.“ Insofern beobachtet sie vor allem Erleichterung. „Relativ sicher“ fühle sie selbst sich durch den Stufenplan. Auch die Kinder scheinen mit den Regeln zurechtzukommen. Wie ihr Sohn, der in Hersbruck in die neunte Realschulklasse geht: „Er fügt sich da voll rein, er versteht das Ganze auch.“

Nüßlein kann entspannt sein, der Inzidenzwert im Nürnberger Land ist relativ gering. „Aber wenn ich erfahren würde, dass jemand infiziert ist, gingen für mich die Alarmglocken hoch. Und Schulschließungen: Das ist der Worst Case.“ Überrascht hat sie nur, wie eilig zu Schuljahrsanfang Noten gemacht wurden. Ganz so, als wolle man rasch alles beisammen haben. Ein ziemlicher Druck entstehe da auf die Kinder. Immer wieder beklagt werde außerdem die mangelnde Kommunikation zwischen Schulen und Eltern. „Manche Eltern wünschen sich mehr Informationen und haben das Gefühl, zu kurz gehalten zu werden.“

Von der Politik wünscht sich der Elternverband vor allem Lösungen für Bus- und Zugverkehr. „Wer sein Busunternehmen eigenverantwortlich betreibt und mehr Busse einsetzen will, hat es schwer, an Fördergelder zu kommen.“ Die Folge: In den Bussen ist es viel zu voll, in den Zügen sowieso. „Ich habe mehr Bedenken, dass sich mein Kind im Bus oder Zug ansteckt als in der Schule“, sagt sie.

Tomi Neckov wiederum besorgt die Situation im Schweinfurter Schulhaus. Zwei Kinder sind seit Freitag vergangener Woche in Quarantäne, eines in der fünften, eines in der achten Klasse. Die Mutter der beiden, eine Maskengegnerin, wurde positiv getestet. Bisher hat sich das Gesundheitsamt nicht bei der Schulleitung gemeldet. Neckov sitzt „auf Kohlen“. Sollten die beiden Geschwister ebenfalls infiziert sein, müssen – als Kontaktpersonen ersten Grades – nicht nur die Schüler der beiden betroffenen Klassen in Quarantäne. Auch alle Lehrkräfte, die dort unterrichtet haben, hocken dann zwei Wochen zu Hause.

Vier Wochen drin hocken?

Gut möglich, dass die Quarantäneregeln das größte Problem der kommenden Monate sein werden. Neckov malt sich aus, „rein fiktiv“, was geschieht, wenn eine Lehrkraft im Winter viermal in Quarantäne muss. Vier mal zwei Wochen lang drin hocken. Nicht raus können. Und hoffentlich nicht infiziert sein. „Schon Wahnsinn.“ Wie viel Unterricht ausfallen müsste. Wie sehr die Lehrer fehlen würden.

Ein Riesenproblem sieht er da auf die Schulen zurollen. „Für mich gibt es nur eine Lösung“, sagt er. „Eine Ansage des Kultusministeriums, dass wir im Notbetrieb arbeiten.“ Denn dann könnten die Schulen vor Ort entscheiden, wie viel und welcher Unterricht stattfinden kann, wenn die Lehrerinnen und Lehrer knapp werden. Die hätten übrigens, wie er findet, gerade besonders viel Wertschätzung verdient. Ähnlich wie bei den Pflegekräften im Frühjahr dieses Jahres. Weil sie sich ständig auf neue Situationen einstellen und immer wieder improvisieren müssen. Und tapfer täglich in die Klassen reingehen, trotz ihrer Angst.
(Monika Goetsch)

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