Politik

Ist erst seit April Chefin der bayerischen Jusos: Anna Tanzer. Die 21-jährige Bayreutherin absolviert gerade eine Lehre zur Buchhändlerin. (Foto: privat)

14.06.2019

"Die Leute sehen nur noch halbgare Kompromisse"

Bayerns Juso-Vorsitzende Anna Tanzer über den Zustand der SPD, die GroKo und die Eignung von Juso-Chef Kevin Kühnert als SPD-Chef

Für die bayerische Juso-Vorsitzende steht fest: Die SPD muss raus aus der Großen Koalition. Angst vor Neuwahlen hat Anna Tanzer nicht. Den Abgang von SPD-Chefin Andrea Nahles sieht die 21-Jährige dagegen zwiespältig. „Mit einem Mann wäre das anders abgelaufen“, ist sie überzeugt. Und sie erklärt, warum die SPD die Jugend nicht mehr erreichen kann – und was dagegen helfen könnte.

BSZ: Frau Tanzer, haben Sie noch Hoffnung für die SPD?
Anna Tanzer: Natürlich! Und ich bin voller Kampfeslust, die Partei wieder voranzubringen. Wichtig ist jetzt vor allem, an unserer Strategie zu arbeiten. Beispiel Klimapolitik. Die sozialdemokratische Antwort auf Fridays for Future war die Forderung nach einer Absenkung des Wahlalters. Klar ist das eine wichtige Forderung, aber dafür sind die jungen Menschen doch nicht auf die Straße gegangen. Die SPD hätte auf das Anliegen der jungen Leute eingehen müssen –  und aufzeigen müssen, dass auch sie für einen besseren Klimaschutz kämpft.

BSZ: Macht die SPD in Sachen Klimaschutz denn genug?
Tanzer: Vielleicht braucht es noch ein bisschen Feintuning, aber ja: Die SPD hat gute Antworten in der Klimapolitik. Das Programm zur Europawahl enthielt zum Beispiel die Forderung nach schärferen Grenzwerten und einer Ausweitung des Emissionshandels. Aber: Wir haben Defizite in der Kommunikation. Für junge Menschen, die die SPD bislang vor allem in großen Koalitionen wahrgenommen haben, ist die Trennlinie zwischen SPD und Union oft nicht mehr klar erkennbar. Wir müssen deshalb raus aus der GroKo. Denn nur so können wir uns wieder auf unsere Grundwerte besinnen und diese klar herausstellen. In der GroKo wird unsere Grundvorstellung von einer gerechten und solidarischen Gesellschaft von den Bürgern nicht mehr wahrgenommen, sie verbinden die SPD mit halbgaren Kompromissen.

BSZ: Kompromisse aber gehören doch zur Politik in einer Demokratie.
Tanzer: Klar. Kompromisse braucht es immer, auch in einer rot-rot-grünen Koalition. Aber die programmatischen Schnittmengen, die mit der Union grundsätzlich sehr begrenzt sind, sind längst aufgebraucht. Allein die Verabschiedung des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes vergangene Woche – das sind doch keine sozialdemokratischen Grundwerte mehr, die wir hier nach außen tragen. Dass die SPD-Landesgruppe Bayern dafür gestimmt hat, finde ich wirklich fatal. Vor allem nachdem der gesamte SPD-Landesvorstand an sie appelliert hatte, das Gesetz abzulehnen.

BSZ: In Dänemark haben die Sozialdemokraten gerade die Wahl gewonnen –  mit einem Rechtsruck in der Asylpolitik. Könnte das nicht auch in Deutschland funktionieren?
Tanzer: Nein, für die SPD wäre es der völlig falsche Weg, am rechten Rand zu fischen. Ich glaube auch nicht, dass uns das mehr Stimmen bringen würde. Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, SPD-Wähler würden abgeschreckt. Die SPD sollte sich wieder stärker als linke Partei positionieren. Und bei Abstimmungen die Menschenwürde im Blick behalten.

BSZ: Verlässt die SPD die GroKo, gibt es wohl Neuwahlen. Angesichts der Umfragewerte für die SPD doch auch keine berauschende Aussicht, oder?
Tanzer: Das schreckt mich nicht. Die Menschen würden dann endlich sehen, dass die SPD gar nicht so verweichlicht ist und alles abnickt. Sie würden merken, dass die SPD klare Kante zeigt. Was würde es uns außerdem bringen, bis zum Ende in der Großen Koalition zu bleiben? Dann fahren wir eben 2021 ein beschissenes Ergebnis ein. Wir brauchen jetzt die Zeit außerhalb der GroKo, um zu klären, wofür wir stehen – und das dann auch nach außen zu vermitteln.

"Das Landtagswahlergebnis war nicht die Schuld von Natascha Kohnen"

BSZ: Das Mantra von der Erneuerung kennt man auch von der Bayern-SPD. Wo bleibt die denn?
Tanzer: Ein erster Schritt war, dass wir auf dem letzten Parteitag einige Jusos in den Vorstand gebracht haben, um Inhalte mitgestalten zu können. Aber so eine Erneuerung geht natürlich nicht von jetzt auf gleich. Ich hoffe, dass wir uns damit noch intensiver auseinandersetzen können, wenn wir endlich aus der GroKo, die auch viele Ressourcen der Bayern-SPD bindet, heraus sind.

BSZ:
SPD-Chefin Andrea Nahles wurde nach dem schlechten EU-Wahlergebnis weggemobbt. Natascha Kohnen ist trotz katastrophaler Wahlergebnisse in Bayern weiterhin Landesvorsitzende. Warum eigentlich?
Tanzer: Natascha wurde nach der Landtagswahl auf dem vorgezogenen Landesparteitag im Amt bestätigt. Das Landtagswahlergebnis war ja auch nicht ihre Schuld, sondern lag meiner Meinung nach vor allem an der Bundespolitik. Andrea Nahles dagegen hat die Entscheidung zum Rückzug selbst getroffen. Ich möchte sie nicht in Schutz nehmen, weil ich das Gros der Kritik für berechtigt halte. Aber die Art und Weise wie man mit ihr umgegangen ist, war nicht fair. Ich glaube, wäre sie ein Mann, wäre das anders abgelaufen. Und dass mit ihr die erste Frau an der Spitze wieder weg ist, finde ich sehr schade.

BSZ: Der SPD-Vorsitz ist nun frei und keiner will ihn. Wer könnte den Job Ihrer Meinung nach am besten packen?
Tanzer: An personalpolitischen Spekulationen beteilige ich mich nicht. Wir brauchen jetzt erst mal einen gescheiten Plan, wie es mit der Partei weitergehen soll.

BSZ: Grundsätzlich: Halten Sie Juso-Chef Kevin Kühnert für geeignet?
Tanzer: Ich weiß nicht einmal, ob er den Job überhaupt will. Wenn ja, dann bin ich offen dafür. Kevin ist ein kluger junger Mann mit einer klaren Vorstellung von unseren sozialdemokratischen Grundwerten, die er auch öffentlichkeitswirksam anzubringen weiß. Und die SPD ist in einer Situation, in der sie auch mal etwas wagen könnte.

Gesucht: die Kathrina Schulze der Bayern-SPD

BSZ: Und könnten mit diesem Wagnis auch mehr junge Wähler erreicht werden?
Tanzer: Um junge Menschen zu erreichen, braucht es in jedem Fall auch eine Verjüngung und Diversifizierung des politischen Personals. Also entsprechende Plätze auf den Kandidierenden-Listen. Man sieht doch, wie eine junge Frau wie die Grüne Katharina Schulze wahrgenommen wird. Total positiv. Um junge Leute zu erreichen, braucht es eine Kombination aus entsprechendem Personal und Inhalt.

BSZ: Wo liegen im Inhalt die Defizite?
Tanzer: Ich glaube, dass wir auf viele Dinge, die junge Menschen beschäftigen, total gute Antworten haben. Freunde von mir fragen sich zum Beispiel, wie sie sich in der Ausbildung ihr Leben und vor allem eine Wohnung leisten sollen. Die SPD hat immer für einen Mindestlohn in der Ausbildung gekämpft. Sie hat aber auch Fehler gemacht. Ein Verhalten wie in der Urheberrechts-debatte vergessen die jungen Menschen nicht so schnell. Das Thema Uploadfilter ist etwas, das sie unfassbar umtreibt. Die SPD muss endlich aufwachen und akzeptieren, dass es viele junge Menschen gibt, die keinesfalls politikverdrossen sind, sondern sich Gedanken machen und berechtigte Forderungen haben, auch wenn sie nicht in parteipolitischen Gremien engagiert sind.

BSZ:
Und was ist mit Ihren eigenen politischen Ambitionen? Hätten Sie Lust, die Katharina Schulze der Bayern-SPD zu werden?
Tanzer: Ich genieße es sehr, Juso-Vorsitzende zu sein und unsere Themen im innerparteilichen Diskurs mit Herzblut ein- und nach vorne zu bringen. Berufspolitikerin zu werden ist aber nicht mein Ziel. Allerdings bin ich ja auch erst 21. Mal sehen, wohin mich mein Weg noch führt.
(Interview: Angelika Kahl)

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