Politik

Die Wehrpflicht ist schon jetzt eine Farce – von Pflicht keine Spur. (Foto: ddp)

20.08.2010

Die Mär von der bewaffneten Idylle

Seltsamerweise erregt sich neben Horst Seehofer ausgerechnet die SPD über Guttenbergs Plan eines Wehrpflicht-Aus

Beide sind Franken – der Bundesverteidigungsminister und sein parlamentarisches Pendant, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Susanne Kastner ist jedoch bei der SPD und bedenkt die Politik des CSU-Stars Guttenberg mit mildem Tadel, dem Eigenschaftswort „kurvenreich“.Tatsächlich kriegte nach Angela Merkels Sparappell von allen Kabinettsmitgliedern der Freiherr am schnellsten die Kurve. Bitte schön, sagte er, und bot fürs Erste an, den Personalbestand der Streitkräfte drastisch zu reduzieren. Aus dem Munde eines prominenten CSU-Mannes klang das geradezu abenteuerlich und veranlasste die SPD, ebenfalls unkonventionell zu sein und vor einer Verteidigungspolitik nach Kassenlage zu warnen.Vor so etwas hat sie, die Friedenspartei, in ihrer Geschichte selten gewarnt. Sie tat es jetzt auch deshalb, weil Guttenberg bereits mit hohem Tempo in die Anschlusskurve ging und zur allgemeinen Überraschung mit der Abschaffung der Wehrpflicht liebäugelte. Allerdings hieß es in der nächsten Kurve, die Wehrpflicht solle nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt werden. Als ob das nicht auf das Gleiche hinausliefe.Überhaupt haben sich die deutschen Verteidigungspolitiker auf ein gewaltiges Spiel mit Worten eingelassen. Bestes Beispiel: die Wehrpflicht. Was soll denn daran Pflicht sein? Was der Begriff bedeuten müsste, zeigen die Schulpflicht, der kaum ein Kind entgeht, und die Steuerpflicht, deren Verletzung meistens den Staatsanwalt auf den Plan ruft. Mittel und Wege jedoch, der Wehrpflicht zu entkommen, hat in der Vergangenheit fast noch jeder gefunden, der nicht „zum Bund“ wollte, aus welchen Gründen auch immer.Die SPD befürwortet zurzeit den „freiwilligen Wehrdienst“, wobei sie anzunehmen scheint, dass die Zahl der hochmotivierten Bewerber so schnell nicht unter 200 000 sinkt. Wahrscheinlich liegt sie mit dieser Einschätzung richtig, denn so rasch wie die Bundeswehr kann nicht einmal die deutsche Bevölkerung schrumpfen.Es zeichnet sich ab, dass auch die schwarz-gelbe Koalition ein zumindest ähnliches Modell bevorzugen wird. Allerdings sollte sie sich vom Plan einer Realsatire distanzieren. In sechs Monaten wird aus einem jungen Zivilisten kein erfahrener Soldat, schon gar nicht in Zeiten einer sehr anspruchsvoll gewordenen Waffentechnik.Die bayerische SPD schlägt deshalb eine Frist von mindestens neun Monaten vor. Von Seehofer aber verlangt sie eine Bewahrung des Status quo und präsentiert dafür das pompöse Wort „Masterplan“. Bayern hat 68 Bundeswehrstandorte, was im Ländervergleich relativ viel ist. Speckt die Truppe ab, werden Standorte rasch überflüssig, sind diese aber gestrichen, verschwinden auch soundsoviele Arbeitsplätze, und das ausgerechnet in strukturschwachen Regionen.Aus diesem Grund schildert Susanne Kastner Reiseeindrücke, wie sie bislang nur von stockkonservativen Personen wiedergegeben wurden. Vielleicht nicht unbedingt in Norddeutschland, doch überall in Bayern bestehe zwischen stationierten Soldaten und einheimischen Zivilisten nichts als eitel Harmonie. „Die Bundeswehr“, sagt die Sozialdemokratin, „kann üben ohne Kritik aus der Bevölkerung.“ Die Ausschussvorsitzende skizziert eine bewaffnete Idylle und fordert die Staatsregierung auf, für deren Erhaltung sich gefälligst einzusetzen oder einen nicht minder lauschigen Ersatz zu finden. (Roswin Finkenzeller)

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