Politik

Kundgebung der Initiatoren des Volksbegehrens Artenvielfalt vor der Staatskanzlei in München. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

28.02.2020

Die neuen Einflüsterer

Bayerns große Verbände gewinnen massiv an Mitgliedern – und damit auch an politischem Einfluss

Es soll ein Zeichen sein, das man auch im politischen Berlin nicht übersehen kann. Unter dem Motto „Soziales Klima retten“ ruft der VdK seine Mitglieder Ende März zur Großkundgebung nach München. Der Sozialverband rechnet mit mehreren Zehntausend Besuchern oder sogar deutlich mehr. „Wir planen die größte Rentendemonstration aller Zeiten“, sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele selbstbewusst. Denn mit der Altersarmut müsse endlich Schluss sein. Mit mehreren Hundert Bussen will der VdK seine Mitglieder in die Landeshauptstadt karren. Denn die werden immer mehr: Allein im letzten halben Jahr wuchs deren Zahl um gut 10 000 auf zuletzt 712 000. Das sind fünfmal mehr Mitglieder, als die CSU vorweisen kann. Fast jeder zehnte Bayer über 40 Jahre ist mittlerweile in dem Sozialverband. Dieser vertritt neben Rentnern etwa Behinderte oder Arme.

Längst ist der VdK der Machtfaktor geworden, als den ihn der frühere Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) einst bezeichnet hatte. Und der Verband verhehlt dies auch nicht. Man nehme „erfolgreich Einfluss auf sozialpolitische Entscheidungen“, sagt eine Sprecherin. Beispiele, in denen der VdK Sozialpolitik erfolgreich gestaltet habe, seien die Pflegereformen, Verbesserungen bei der Mütter- oder der Erwerbsminderungsrente.

Politik gestalten, ohne Mitglied in einer Partei zu sein? Für immer mehr Bayern scheint dies eine Option, nicht nur im Bereich Sozialpolitik. Tatsächlich konnten etwa die großen Umweltschutzorganisationen im Freistaat zuletzt massive Mitgliederzuwächse verzeichnen.

Verbände seien für viele Menschen attraktiver als Parteien, so der Münchner Politologe Werner Weidenfeld. Denn diese könnten sich ganz spezifisch auf ein Ziel konzentrieren, das dem Bürger besonders wichtig sei. „Die Ziele der Parteien sind dagegen viel breiter und manchmal auch diffuser“, sagt der Professor.

Bestes Beispiel ist der Bund Naturschutz, dem Ende 2019 bereits rund 248 000 Bayern angehörten. Im vergangenen Jahr gewann man mit gut 15 000 so viele Mitglieder hinzu, wie die bayerischen Grünen insgesamt an Mitgliedern haben.

Sind die Verbände ein gefährlicher Machtfaktor für das parlamentarische System?

Der jüngste Zuwachs sei nicht zuletzt der Mobilisierung für das Bienen-Volksbegehren zu verdanken, sagt Naturschutzbund-Chef Richard Mergner. Da hätten „die Menschen ganz konkret gesehen, dass sich ihr Einsatz für die Natur lohnt“. Doch auch im gesamten vergangenen Jahrzehnt legte der Verband um fast 40 Prozent bei der Mitgliederzahl zu. „Das erhöht natürlich unsere Schlagkraft – auch die politische“, so Mergner. Mit mehr Leuten könne der Verband besser mobil machen, wenn vor Ort etwa eine unnötige Umgehungsstraße geplant oder ein Biotop gefährdet ist. Auch werde man nun früher von der Regierung bei Gesetzesvorhaben einbezogen.

Auch der Landesbund für Vogelschutz (LBV) wächst rasant. Mit 9200 neuen Mitgliedern im vergangenen Jahr hat der Umweltverband nun die 100 000er-Marke geknackt. Der LBV gibt neben vielen Parteilosen und Grünen- oder ÖDP-Sympathisanten auch vielen naturverbundenen CSU-Anhängern eine Heimat. „Wir merken, dass wir durch das Mitgliederplus an politischem Einfluss gewonnen haben“, sagt dessen Vorsitzender Norbert Schäffer. Sei man früher erst spät oder gar nicht in Debatten einbezogen worden, „finden wir heute bei einer Reihe von Ministerien und der Staatskanzlei tatsächlich Gehör“.

Früher seien bei Umweltanliegen erst zigmal die Bauern- und Industrievertreter gefragt worden, bevor man Naturschützer mit de facto geschaffenen Fakten konfrontierte. Heute sei der Umgang ein anderer, sagen auch CSU-Leute.

Manche Verbände wie der VLAB, in dem sich vor allem Windkraftgegner sammeln, fallen auch durch spektakuläre Klagen auf. So wollten die in Bayern beheimateten Landschaftsschützer die Rodung von Bäumen für ein in Brandenburg geplantes Tesla-Werk verhindern. Sind die politischen Verbände als neue Einflüsterer und Streithansel also gar ein gefährlicher Machtfaktor für unser parlamentarisches System? Politologe Weidenfeld glaubt das nicht: „Starke Verbände sind gut für eine lebendige Demokratie. Sie vermitteln eine große Vitalität des gesellschaftlichen und politischen Lebens.“
(Tobias Lill)

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