Politik

Er leitete die Tutzinger Akademie seit 1993: Heinrich Oberreuter. Jetzt hört das Polit-Orakel auf und macht den Chefsessel frei für eine Frau: Ursula Münch von der Bundeswehrhochschule München. (Foto: BSZ)

14.10.2011

"Die Rückkehr zu 50 plus X ist höchst unwahrscheinlich"

Heinrich Oberreuter, Politikprofessor und scheidender Direktor der Akademie für Politische Bildung, über Polit-Talkshows, die Entwicklung der CSU und Splitterparteien in Bayern

Keine Landtagswahl der letzten 15 Jahre ging in Bayern ohne Heinrich Oberreuters mediale Präsenz vonstatten. Vor allem Oppositionspolitiker waren gelegentlich genervt von der Omnipräsenz des eloquenten Politikprofessors mit CSU-Parteibuch. Allerdings konnte Oberreuter auch seine eigene Partei mit frechen Apercus ärgern. Ende des Monats scheidet Polit-Orakel Oberreuter aus dem Amt. BSZ: Herr Oberreuter, täglich laufen Diskussionssendungen im Fernsehen. Passen Politische Akademien überhaupt noch in die Zeit?
Oberreuter: Ja natürlich. In den Talk-Shows wird doch überwiegend nur an der Oberfläche gekratzt und in erster Linie der Wunsch nach Unterhaltung befriedigt. Ich sehe nicht, dass Talkshows – zumindest die meisten – zum Ziel hätten, ein Thema so auszudiskutieren, dass am Ende ein rationaler Erkenntnisfortschritt stünde. Akademien gehen dagegen thematisch in die Tiefe. Wir beschäftigen uns in unseren Seminaren und Veranstaltungen viele Stunden oder Tage auf zumindest angemessenem intellektuellen Niveau mit aktuellen Themen und Entwicklungen. BSZ: Aber Talk-Shows schauen Millionen, Akademie-Debatten nimmt nur ein kleiner Zirkel Interessierter wahr.
Oberreuter: Das ist schon wahr, wir können uns diesem Trend nicht entziehen. Es ist schon etwas anstrengender und aufwändiger, bei uns eine Veranstaltung zu besuchen. Da muss man sich aus dem Fernsehsessel erheben und sich auch einmal ein Wochenende Zeit nehmen. Für viele normal Berufstätige, für die die politische Fortbildung nicht zum Stellenprofil gehört, ist das schwierig. Trotzdem ist unsere Arbeit wichtig. Politische Fernsehbildung mit der Fernbedienung in der Hand und Salzbrezeln und einem Glas Bier vor sich – das reicht nicht aus. BSZ: Wo hat die Akademie in Tutzing während Ihrer Amtszeit die Politik beeinflusst?
Oberreuter: Es ist nicht unsere Aufgabe, Politik zu beeinflussen. Wir sind laut Akademiegesetz eine Bildungseinrichtung, die staatsfern und überparteilich zu agieren hat. Diese wertvolle Unabhängigkeit gilt es zu verteidigen, indem man die Institution aus dem politischen Getriebe heraushält. Dass aus dem Haus heraus immer wieder Personen für Mandate kandidiert haben oder um politischen Rat gefragt worden sind, steht dem nicht entgegen.

"Ude ist ein Adrenalinschub für die blutleere SPD"

BSZ: Sie selbst haben immer wieder Stellung genommen zu politischen Entwicklungen im Freistaat. Was waren die prägendsten Veränderungen in der politischen Landschaft Bayerns während Ihrer Amtszeit?
Oberreuter: Es hat sich in Bayern die Gesellschaft radikal verändert. Das beginnt bei der Bildungsexpansion bis zur Verwandlung des Landes von einem Agrarland zu einem High-tech-Standort. Bayern ist säkularisiert, die Bürger sind mobil und damit zum Teil auch entwurzelt worden, wir stellen eine zunehmende Individualisierung fest. Das wirkt sich auch auf das Parteienspektrum aus. Die früher prägenden Milieus sind im Schwinden. Für die Parteien wird es immer schwieriger, Zielgruppen zu definieren. Das Parteiensystem ist dadurch pluraler geworden. Damit ist auch die Hegemonie der CSU in Bayern verschwunden, was zu der aktuellen Situation führt, dass die heutigen Oppositionsfraktionen im Landtag die Hoffnung haben können, eine Regierung ohne die CSU zu bilden. BSZ: Hat die CSU aus Ihrer Sicht noch eine Chance auf 50 plus X?
Oberreuter: Wenn ich alles ernst nehme, was ich gerade gesagt habe, dann muss ich das für höchst unwahrscheinlich halten. BSZ: Hat die CSU mit der Nichtwahl von Peter Gauweiler zum Parteivize eine Chance verpasst oder Schlimmeres verhindert?
Oberreuter: Wenn man darauf setzen würde, dass eine entschiedene Betonung der Tradition eine Chance wäre, dann hätte man die verpasst. Wenn man aber realistisch einschätzt, dass in der Vergangenheit nicht die Zukunft liegt, dann hat die CSU vielleicht Schlimmeres verhindert. Andererseits muss die CSU ein Angebot an ihre Stammwähler machen, darf aber zugleich nicht die Wechselwähler vergraulen. In einer Zeit, in der die Bindung der Wähler an Parteien lockerer wird, ist es für diese schwer, den richtigen Mittelweg zu finden.
BSZ: Wie bewerten Sie den Wechsel von Christian Ude auf die landespolitische Bühne?
Oberreuter: Hochinteressant. Weil er einer lethargischen, bisher eher Erschöpfung als Aufbruch signalisierenden Opposition Hoffnung und sogar Selbstbewusstsein einhaucht. Das ist ein richtiger Adrenalinschub, weil Ude endlich Profil in die bisherige personelle Blutleere bringt. Ude ist bekannt und im ganzen Land akzeptiert. Außerdem scheint es ihm zu gelingen, eine Integrationsfigur für die gesamte Opposition zu werden. Ude könnte am Wahltag für die zwei oder drei Prozent sorgen, die letztlich den Ausschlag für einen Regierungswechsel in Bayern geben.

"Akademien erklären den Bürgern das politische System"

BSZ: Haben sich die Freien Wähler landespolitisch etabliert?
Oberreuter: Mich wundert schon, dass sie sich in Umfragen ihr Wahlergebnis von 2008 permanent bestätigen. Das kann eigentlich nicht daran liegen, dass sie im Landtag eine leuchtende Spur hinterlassen hätten, sondern dass sie die gewachsene Distanz der Bürger zum etablierten Politikbetrieb zum Ausdruck bringen. Das wird sich aber ändern müssen, wenn sie langfristig im Landtag und sogar im Bundestag vertreten sein und Regierungsverantwortung übernehmen wollen. An einer Professionalisierung der Freien Wähler führt dann kein Weg vorbei. Die mussten die Grünen vor 20 Jahren auch vollbringen. BSZ: Noch einmal zurück zur Aufsplitterung des Parteienspektrums. Bei der nächsten Landtagswahl könnte die neue Regierung mit nur 42 oder 43 Prozent die absolute Mehrheit der Mandate hinter sich haben, wenn viele kleine Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wäre eine solche Regierung ausreichend demokratisch legitimiert?
Oberreuter: Demokratie funktioniert nach dem Mehrheitsprinzip. In Großbritannien mit seinem verzerrenden Mehrheitswahlrecht hat man sich noch nie Gedanken über die demokratische Legitimeriung einer Regierung gemacht, selbst wenn diese an der Wahlurne die geringere Stimmenzahl gehabt hatte als die Opposition. Es liegt in der Hand der Wähler. Wenn die eine solche Konstellation herbeiwählen, im vollen Wissen, was sie tun, dann gibt es keine Zweifel an der Legitimation. Der Rest ist Kulturkritik, Feuilleton und Leitartikelarena. BSZ: Oder ein Thema für Ihre Nachfolger in Tutzing.
Oberreuter: Durchaus. Es ist ja Aufgabe der Politischen Akademien, den Bürgern zu erklären, in welchem politischen System sie leben und wie es funktioniert. (Interview: Jürgen Umlauft)

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