Politik

Notunterkunft in einer Turnhalle: eine große Belastung für Flüchtlinge und Einheimische. (Foto: dpa)

10.07.2015

Die Wunschliste der Rathauschefs

FW-Bürgermeister aus ganz Bayern trafen sich zum Asyl-Gipfel und schlugen – fast ausnahmslos – Alarm

Alfred Holzner kommt in Rottenburg an der Laaber viel herum. Als Bürgermeister des 7500-Einwohner-Städtchens ist er schließlich ständig auf Jubiläen und Feiern. „Das Thema Nummer 1 auf jeder Veranstaltung heißt heute Asyl“, erzählt er und betont: Die Debatte werde immer schärfer. Warum bekommt ein Asylbewerber so viel, wird dann schon mal gefragt. „325 Euro – das hat nicht jeder Rentner“, meint auch Holzner. Aktuell sind in der Stadt 32 Flüchtlinge untergebracht. In den nächsten Wochen kommen noch mal so viele dazu. Holzner prophezeit: „Geht die Zuwanderung in dieser Form weiter, wird das System kollabieren.“

Holzner ist einer von knapp 50 Freie-Wähler-Bürgermeistern, die der Einladung von Parteichef Hubert Aiwanger zum Asyl-Gipfel gefolgt sind. Und nicht wenige entwerfen angesichts der wachsenden Zahl an Flüchtlingen in ihren Gemeinden düstere Szenarien. „Die Stimmung in der Bevölkerung ist am Kippen“, sagt etwa Konrad Specker, 2. Bürgermeister von Bad Heilbrunn. Doch nicht alle stimmen in das Lamento ein.

„Die Stimmung in der Bevölkerung ist am Kippen“

In Eichstätt haben die rund 14 000 Einwohner laut Bürgermeister Andreas Steppberger zum Beispiel überhaupt kein Problem mit den insgesamt 380 Flüchtlingen. 220 der Asylbewerber leben dort in einem ehemaligen Schulgebäude der Kirche mitten in der Altstadt – samt großem Garten und Direktzugang zur Altmühl. Steppberger erklärt: „Weil unter den Flüchtlingen größte Zufriedenheit herrscht, gibt es keine nennenswerten Vorfälle. Und deshalb sind auch die Bürger zufrieden.“ Von einer Neiddebatte dort also keine Spur. In Nürnberg nimmt diese dagegen kuriose Formen an. Stadtrat Jürgen Dörfler erklärt: „Die Asylbewerber fragen als erstes nach WLAN und Kondomen.“ Dass man bereits 24 000 Euro für den Kauf von Kondomen für Flüchtlinge ausgegeben habe, sei nur schwer vermittelbar.

In einem aber sind sich alle Rathauschefs einig: Ohne die vielen ehrenamtlich Engagierten vor Ort wäre die Betreuung der Asylbewerber kaum zu stemmen. Ehrenamtliche organisieren Deutschkurse und fahren Flüchtlinge schon mal 25 Kilometer weit zum nächsten Arzt. Oder sie geben Schwimmunterricht – immer wieder kommen Asylbewerber in Badeseen um, weil sie nicht schwimmen können.

Eine Forderung: mehr Anerkennung für ehrenamtliche Helfer

Für die Ehrenamtlichen wünschen sich die Lokalpolitiker mehr Anerkennung. Auch in Form von finanzieller Unterstützung, damit die Helfer zum Beispiel nicht auf ihren Fahrtkosten sitzenbleiben. Denn eine große Befürchtung unter den Rathauschefs ist: Die Integrationsbereitschaft und Unterstützung aus der Bevölkerung könnte abnehmen. „Unser Helferkreis hat schon angekündigt, auszusteigen, sollten  noch mehr Flüchtlinge kommen“, erklärt Bürgermeister Josef Baumgartner von Schwabhausen im Landkreis Dachau. Ein Containerdorf mit 50 Asylbewerbern gibt es dort bereits, jetzt sollen weitere 25 Flüchtlinge dazukommen.
Was viele in der Runde nicht verstehen: Warum unter den Asylbewerbern, die zu ihnen kommen, so viele Menschen aus den Balkanländern sind. „Mit den Afrikanern kommen wir gut zurecht“, sagt Daniela Haderer, 2. Bürgermeisterin in Kastl im Landkreis Altötting. 14 Asylbewerber leben dort seit einem Monat. „Ein Problem aber haben wir mit den Kosovo-Albanern, die Afrikanern die dringend benötigten Plätze wegnehmen.“ Schließlich hätten diese ohnehin kaum Aussicht auf Anerkennung. Auch der Rottenburger Holzner fordert eine schnellere und konsequentere Rückführung. Er glaubt: „Viele werden sich dann genau überlegen, ob sie wirklich die Mühe und das Geld aufbringen wollen, um gerade Mal für ein paar Wochen in Deutschland zu leben.“

Auch ein großes Problem: Es gibt zu wenig günstigen Wohnraum

Ebenfalls ein großes Problem, über das nahezu alle Bürgermeister klagen: der Mangel an günstigem Wohnraum. Viele Gemeinden haben große Schwierigkeiten, Flüchtlinge unterzubringen, deren Asylantrag anerkannt worden ist und die am Ort bleiben wollen. „Wird eine Gemeindewohnung frei, stehen bei mir 40 bis 50 Bewerber auf der Matte“, erklärt Uta Wüst, Bürgermeisterin von Gräfelfing. „Und das ist in Niederbayern nicht anders“, betont Rolf-Peter Holzleitner, Bürgermeister des Marktes Reisbach im Landkreis Deggendorf. „Was den sozialen Wohnungsbau betrifft, wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel verschlafen“, kritisiert auch der Nürnberger  Dörfler. Die Zunahme der Flüchtlinge verschärfe das Problem. Die Forderung von FW-Chef Aiwanger nach einem staatlichen Wohnungsbauprogramm wird von der Runde  unterstützt. Auch damit keine Konkurrenz zwischen Einheimischen und Asylbewerbern entstehe.

Ebenfalls auf der Wunschliste der Bürgermeister: mehr Fachpersonal für Kindergärten und Schulen. Und ein leichterer Zugang für Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt. „Die Hälfte der 32 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge bei uns sind in der Mittelschule untergebracht“, berichtet Christian Mayer, Bürgermeister des Marktes Hengersberg im Landkreis Deggendorf. „Aber welcher Ausbildungbetrieb stellt diese jungen Menschen danach schon ein, wenn er nicht weiß, wie lange diese bleiben können.“ In Olching herrscht ein ähnliches Bild: Ein Bäcker wollte drei Senegalesen ausbilden, deutsche Azubis fand er nicht. „Doch das Landratsamt hat abgelehnt“, berichtet Bürgermeisterin Ruth Busl. Senegal gilt als sicheres Herkunftsland. Busl: „Hier muss sich Berlin Gedanken machen.“

Am Ende des Tages steht aber eine andere  Hauptforderung im Raum: die Reduzierung der Flüchtlingzahlen „durch eine vernünftige nachhaltige Asylpolitik“, wie FW-Chef Aiwanger es formuliert. Dazu gehöre auch, die Situation in den Herkunftsländern zu verbessern. „Und eine Infrastruktur in Afrika aufzubauen“, wie der Regensburger Stadtrat Günther Riepl fordert. „Das muss unser klares Signal nach Berlin sein“, sagt er. „Nicht nur Öl abpumpen, sondern Geld zurückfließen lassen.“ (Angelika Kahl)

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