Politik

Stress? Das war mal. Als Leiter der Entbürokratisierungskommission in Brüssel liest Stoiber zwar auch viele Akten - hat aber auch Zeit zum Lachen. Und verdient als Berater nebenbei noch richtig Geld. (Foto: dpa)

23.09.2011

Ein Getriebener übt sich in Gelassenheit

Er regierte Bayern länger als alle Ministerpräsidenten vor ihm, er war arbeitswütiger, rücksichtsloser, perfektionistischer: Edmund Stoiber – jetzt feiert er 70. Geburtstag

Wie er immer den Kopf in die Höhe gereckt hat. Nicht einfach, zack, nach oben, sondern mit diesen leicht wippenden, irritierend unnötigen Drehbewegungen, angeführt von Kinn und Nase. Das war Stoibers Paradegeste, wenn er Bedeutendes zu vermelden gedachte – was zu seinen Glanzzeiten ziemlich oft vorkam. Schon bevor er dann seine Suada startete, arbeitete es physisch in ihm, ehe er, nach dem obligaten Kopf-nach-oben-Schrauben, seine berüchtigten Schachtelsätze losließ.
Die Geschwindigkeit, mit der Stoiber redete, gestikulierte, marschierte, war stets ein verlässlicher Gradmesser für seinen aktuellen Erregungszustand.
Erst jetzt, da Stoiber nicht mehr täglich in die Staatskanzlei muss, sondern als Polit-Pensionär große Unternehmen und die EU-Kommission berät, erlaubt sich der Mann ein bisschen Gelassenheit. Fährt mit dem Radl durch Wolfratshausen. Spurtet nicht mehr im Stechschritt durch die Gegend. Spricht und gestikuliert in gemäßigterem Tempo. Lacht. Und lässt sich zum 70. Geburtstag so ausgiebig feiern, wie er einst – für Bayern, für die CSU und ein bisschen auch fürs Ego – geschuftet hat.

Feiern mit Merkel
und Hoeneß


Am 28. September also wird Edmund Rüdiger Stoiber 70 Jahre alt – und bekommt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (VBW) eine glamouröse Party im Münchner Prinzregentheater geschenkt. Im Vorfeld des Geburtstags hatte es böses Blut um die Location gegeben: Gerüchteweise hat Stoiber das Angebot von Ministerpräsident Seehofer abgelehnt, auf Steuerzahlerkosten im Prinz-Carl-Palais zu feiern, welches Stoiber jedoch zu poplig gewesen sei. Jedenfalls organisiert – und bezahlt – nun die Wirtschaft die große offizielle Stoiber-Sause, zu der rund 1000 Gäste erwartet werden. Der zumindest früher notorisch ungeduldige Jubilar wird an diesem Abend nicht drumherum kommen, geraume Zeit stillzusitzen. Es sprechen: Kanzlerin Merkel, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, FC-Bayern-Chef Uli Hoeneß, Horst Seehofer und VBW-Präsident Randolf Rodenstock.
Eine Nummer kleiner geht es am 30. September bei der Hanns-Seidel-Stiftung zu: Dort huldigt die CSU vor 300 Gästen ihrem Ehrenvorsitzenden, der von 1999 bis 2007 an der Spitze der Partei stand. Und am 1. Oktober feiert Stoiber privat daheim in Wolfratshausen.
Wieviel Wehmut Stoiber empfinden wird an diesem runden Geburtstag, lässt sich schwer ermessen. Tatsache ist, dass er noch vor vier Jahren beabsichtigt hatte, ihn als bayerischer Ministerpräsident zu begehen. Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2008 – für Stoiber war noch Anfang 2007 klar, dass er das sein werde. Dass er damals, als sich in der CSU bereits gewaltiger Groll gegen ihn angestaut hatte, bekräftigte, bis 2013 amtieren zu wollen, brachte das Fass zum Überlaufen. Stoiber kündigte am 18. Januar 2007 seinen Rückzug als Partei- und Regierungschef für Ende September 2007 an.
Stoiber: Ein Mann für halbe Sachen war er nie. Wenn er von etwas überzeugt war, zog Stoiber sein Ding äußerst konsequent – manche sagen: rücksichtslos – durch. Das begann 1993, als Stoiber den parteiinternen Machtkampf um die Nachfolge von Ministerpräsident Max Streibl für sich entschied. Stoiber stach damals seinen Konkurrenten Theo Waigel aus, wobei er bei der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich war. In der Folge leitete Stoiber die größte Privatisierungswelle aller Bundesländer ein, verkaufte Staatsbesitz in Milliardenhöhe, baute mit dem Geld Fachhochschulen, High-Tech-Einrichtungen, Museen.
Stoiber versuchte daneben, den Freistaat vom berüchtigten Amigo-Image der Vorjahre zu befreien, dämmte die Spezl-Wirtschaft seiner Vorgänger Strauß und Streibl ein. Lief im Freistaat etwas schief, betrieb Stoiber meist unerbittlich die Ablösung des in seinen Augen Verantwortlichen. Legendär dazu seine Ansage in der Fraktion: „Die Nummer eins muss geschützt werden.“ Stoiber galt als gnadenlos, man liebte ihn nicht, achtete ihn aber, wegen unbestrittener Erfolge: Bayern glänzte in der Ära Stoiber mit ausgezeichneten Wirtschaftsdaten, punktete bei bundesweiten Bildungswettbewerben und legte als erstes Bundesland einen Haushalt ohne neue Schulden vor. Stoiber, der Super-Ministerpräsident des Super-Bundeslandes Bayern: Das war so in etwa die Aura, die ihn umwehte in jenen guten Tagen.

Auch Kurt Faltlhauser
schreibt ein Stoiber-Buch


Das Landtagswahlergebnis des Jahres 2003 toppte alle bisherigen Superlative und entschädigte Stoiber für die knappe Niederlage als Kanzlerkandidat des Jahres 2002: Unter Stoibers Ägide fuhr die CSU mit der Zweidrittelmehrheit 2003 das fulminanteste Ergebnis ihrer Geschichte ein. 60,7 Prozent: Ein solches Wahlergebnis hatte im Nachkriegsdeutschland keine andere politische Partei errungen. Und doch begann mit der sagenhaften Zweidrittelmehrheit Stoibers Niedergang.
Stoiber, der sich nun für unverwundbar hielt, leitete eine Reformwelle ein, deren brachiale Umsetzung ihm letztlich das Genick brach. Dazu zählten: die überstürzte Einführung des achtjährigen Gymnasiums, ein rigider Sparkurs, der selbst das Blindengeld nicht ausnahm, die Abschaffung des bundesweit einzigartigen Obersten Landesgerichtes. Den Unmut hierüber konnte auch Stoibers Erfolg der großen, mit Franz Müntefering(SPD) initiierten, Föderalismusreform nicht mildern.
Der Rest ist Geschichte: dass Stoiber sich nach der Bundestagswahl erst eine Art Superministerium in Berlin ausverhandelt hatte, welches er dann doch nicht wollte, dass er seine hartnäckige Kritikerin Gabriele Pauli noch provozierte („Sie sind nicht wichtig“), dass die CSU in den Umfragen abstürzte. Dass Stoiber, um all das aufzufangen, versuchte, noch fleißiger zu sein, noch mehr zu arbeiten – als ob das möglich gewesen wäre.
Kurz vor seinem offiziellen Rücktritt beim CSU-Parteitag 2007 hatte Stoiber das Angebot von EU-Kommissionspräsident Barroso angenommen, eine Entbürokratisierungs-Kommission in Brüssel zu leiten. Sein Engagement als Entbürokrator wurde 2010 bis 2012 verlängert. Mit den bereits umgesetzten Vorschlägen der Stoiber-Kommission, rechnet die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft vor, seien die Unternehmen im Freistaat bislang um eine knappe Milliarde Euro entlastet worden.
Zurzeit zieht Stoiber um: Sein repräsentatives 13-Zimmer-Domizil im Münchner Stadtteil Lehel, welches ihm als früherem Regierungschef für die Dauer von vier Jahren zugestanden hat, tauscht er gegen ein halb so großes Büro vis-à-vis. Von dort aus wird er künftig EU-Richtlinien und -Verordnungen nach Überflüssigem durchforsten – assistiert von drei Mitarbeitern, die Bund und EU bezahlen.

Proviantbeschaffung
bei Tengelmann


Das Image des Arbeitstiers – Stoiber pflegt es noch immer, auch wenn er jetzt entspannter ist. Am Flughafen tritt er wie eh und je „mit einem Tross von Aktenträgern“ auf, hat der SPD-Europapolitiker Wolfgang Kreissl-Dörfler beobachtet. Allerdings wirke Stoiber „gelöster und gelassener als früher“. Einer, der Stoiber lange kennt, bestätigt: „Er redet nicht mehr so hektisch.“
Kein Wunder: Die 18-Stunden-Tage sind passé. Spitzenpolitiker, stellte Stoiber kürzlich klar, „arbeiten deutlich mehr als alle Spitzenrepräsentanten der Wirtschaft, die ich kenne“. Seine Jobs als Beiratsvorsitzender beim Consulting-Unternehmen Deloitte sowie ProSieben Sat 1 dürften ihn also weit weniger Zeit und Nerven kosten als die CSU. Deren Geschicke beobachtet Stoiber natürlich nach wie vor – der Ehrenvorsitzende verfügt noch immer über hervorragende Kontakte und lässt sich per SMS auf dem Laufenden halten.
Was er von der neuen CSU hält, ist möglicherweise bald in einer Biographie zu lesen, an der ein Professor unter der Ägide Stoibers und eines ehemaligen Mitarbeiters arbeitet. Ein weiteres Stoiber-Buch schreibt einer seiner wenigen verbliebenen Freunde: Ex-Finanzminister Kurt Faltlhauser. Das Opus widmet sich, wie aus der Landtagsfraktion zu hören ist, „den kulturpolitischen Großtaten der Ära Stoiber“.
Die stärkste Stoiber-Fan-Truppe sitzt übrigens nach wie vor in der Staatskanzlei. Sehnsüchtig entsinnen sich die Ministerialen dort des rasenden Edi, der es schaffte, dass seine Beamten nicht nur viel, sondern auch begeistert arbeiteten. In Staatskanzlei-nahen Tengelmann-Filialen konnte man zu Stoibers Zeiten regelmäßig kurz vor 20 Uhr Regierungsbeamte beim Proviantkauf für kräftezehrende Nachtsitzungen beobachten. „Der Stoiber“, sagt einer, „konnte die Leute motivieren.“ Es gab, so heißt es, „ein starkes Wir-Gefühl“.
Das war es, was sie in der Fraktion vermissten: Teamwork. Irgendwann nach 2004 war der erfolgsberauschte Stoiber kopfüber davongestürzt, und seine CSU kam nicht mehr hinterher.
(Waltraud Taschner)

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