Politik

Bis zuletzt ein gern eingeladener Talk-Gast: Der CDU-Politiker Heiner Geißler, Ex-Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit ist im Alter von 87 Jahren gestorben. (Foto: dpa)

12.09.2017

Ein Mann mit Haltung

Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ist gestorben. Er lag nicht immer auf Parteilinie, galt aber als einer ihrer prominentesten Vertreter

Auf die Frage, ob er im Rückblick etwas bedauere, hatte Heiner Geißler 2015 eine überraschende Antwort parat. "Ich hätte manchmal noch mehr Krach schlagen müssen", hatte der prominenteste Querdenker der CDU der Deutschen Presse-Agentur kurz vor seinem 85. Geburtstag gesagt. Dabei war der frühere CDU-Generalsekretär, ausgewiesene Sozialpolitiker und prominente Attac-Unterstützer auch nach seiner aktiven Zeit als Abgeordneter noch für markige, pointierte und garantiert nicht immer auf Parteilinie liegende Zwischenrufe bekannt.

Im langwierigen Streit der Union um den richtigen Umgang mit Flüchtlingen etwa verurteilte Geißler die Abschiebung von Afghanen in ihre Heimat noch im Dezember als Schnapsidee, weil das Land nicht sicher sei, er drohte der CSU mit einem Bruch der Union und sah in Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen ihres Flüchtlingskurses eine Kandidatin für den Friedensnobelpreis. "Nächstenliebe ist keine Gefühlsduselei und kein Gutmenschentum, sondern eine Pflicht, denen zu helfen, die in Not sind", sagte Geißler 2015. Nun ist einer der prominentesten Vertreter der CDU verstummt. Geißler, der eigentlich 100 Jahre alt werden wollte, ist im Alter von 87 gestorben.

Als Redner und Interview-Partner war der scharfzüngige Wahl-Pfälzer bis zuletzt begehrt - immer gut für unbequeme Positionen. "Anstatt Sinti und Roma vom Balkan, die bei uns Zuflucht suchen, in ihr Elend zurückzuschicken, sollte man vielleicht lieber Dschihadisten, Islamisten, Anhänger des Islamischen Staates, Salafisten und Hassprediger ausweisen. Die halten ja vom Grundgesetz gar nichts und wollen es durch die Scharia ersetzen", sagte er im Februar 2015.

In Talkshows und Büchern setzte sich der profilierte Sozialpolitiker vehement für ein gerechteres Wirtschaftssystem ein. Die sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich trieb ihn immer wieder um. "Wir brauchen eine neue Einheit der Wirtschafts- und Sozialpolitik", hieß sein Mantra. Sonst führe die "totale Ökonomisierung" der Gesellschaft zu einer "völligen Umkehrung der Werte". Geißler hatte er auch viele Anhänger in linken Kreisen. 2007 trat er Attac bei. 2012 riet er CDU-Chefin zur Abkehr von der FDP und zu einer großen Koalition.

Die letzte ganz große Mission: "Stuttgart 21"

Seine letzte ganz große Mission hatte Geißler in einem Alter angetreten, in dem die meisten Menschen sich längst zur Ruhe gesetzt haben. Als 80-Jähriger schlichtete er 2010 den Konflikt um das Bahnprojekt "Stuttgart 21". Dabei zeigte Geißler sich nach Ansicht von Beobachtern als souveräner Moderator, der die Bahn nicht mit Samthandschuhen anfasste. Streng, schlagfertig und mit einer gesunden Portion Humor machte er die Schlichtung zu einem medialen Ereignis. In seiner Freizeit suchte er mitunter den Nervenkitzel: Gleitschirmfliegen und Klettern zählten zu seinen Hobbys. 1992 überlebte er einen Absturz mit dem Gleitschirm schwer verletzt.

Geißler wurde im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg geboren: Er kam am 3. März 1930 in Oberndorf am Neckar als Sohn eines Oberregierungsrates zur Welt. Vor seiner politischen Karriere war der promovierte Jurist mit den markanten Gesichtszügen vorübergehend Mitglied des Jesuitenordens, dann Amtsrichter.

Unter den Ministerpräsidenten Peter Altmeier und Helmut Kohl (beide CDU) war Geißler von 1967 bis 1977 Sozialminister in Rheinland-Pfalz, anschließend wurde er CDU-Generalsekretär. Er attackierte die anderen Parteien gerne auch mal scharf. "Eine Demokratie ist kein Gesangsverein Harmonie", gab er als Credo aus. In der Nachrüstungsdebatte erregte er Aufsehen mit der Aussage, "ohne den Pazifismus der 30er Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen".

Nach Kohls Sieg bei der Bundestagswahl 1982 wurde Geißler Bundesfamilienminister. Der Sozialexperte und Vater von drei Söhnen arbeitete an einem neuen Image der CDU als moderne Programmpartei. Er führte unter anderem ein Erziehungsgeld ein.

Die fast gleichaltrigen Geißler und Kohl waren beide Machtmenschen, mehr und mehr kam es zu Spannungen. Beim Bremer Parteitag 1989 musste der Verfechter eines klaren "Kurses der Mitte" sein Amt als Generalsekretär abgeben. 1995 warnte er vor einer führerkultischen Partei unter Kohl, nahm das aber wieder zurück. Bis 1998 war er Fraktionsvize im Bundestag. 2002 zog er sich aus dem politischen Tagesgeschäft zurück. Mit Kohl verband ihn am Ende nichts mehr. Er nahm aber am 1. Juli dieses Jahres am Requiem für den kurz zuvor verstorbenen Altkanzler im Speyerer Dom teil.

Als "total demokratisch" hatte Geißler 2012 den Tod bezeichnet. "Er packt den Josef Ackermann genauso wie den Arbeiter bei der Müllabfuhr", sagte er einer Zeitung. Nun ist er dem Tod begegnet.
(Jasper Rothfels, dpa)

Fünf Zitate von Heiner Geißler
Um einen starken Spruch war Heiner Geißler (CDU) nie verlegen. Eine Auswahl:

"Lügen haben kurze Beine, kürzer sind dem Vogel seine."
(am 22. November 1988 im Bundestag über den damaligen SPD-Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel)

"Der Pazifismus der 30er Jahre [...] hat Auschwitz erst möglich gemacht."
(am 15. Juni 1983 im Bundestag)

"Der Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus."
(am 14. Juli 2008 in einem Interview auf "SZ.de")

"Wenn ich in der Nähe von Goebbels bin, ist der Playboy das Mitteilungsblatt des Vatikans."
(am 3. August 2011 in der "Passauer Neuen Presse"; als Stuttgart-21-Schlichter hatte Geißler den Satz "Wollt ihr den totalen Krieg?" gesagt, ein NS-Zitat, das auf heftige Kritik stieß)

"Es gibt Geld wie Heu, es ist bloß in den Händen der falschen Leute!"
(am 26. Februar 2012 auf einer Podiumsdiskussion in Wien)

Stationen im Leben von Heiner Geißler 
Heiner Geißler (1930 bis 2017) übernahm als Politiker viele verschiedene Ämter. Hier einige wichtige Stationen seines Lebens:

- 1961-1965 Landesvorsitzender der Jungen Union Baden-Württemberg

- 1965-1967 und von 1980-2002 Bundestagsabgeordneter (CDU)

- 1967-1977 Minister für Soziales, Jugend, Gesundheit und Sport in  Rheinland-Pfalz

- 1971-1979 Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz

- 1977-1989 Generalsekretär der Bundes-CDU

- 1982-1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit

- 1997-2002 Schlichter im Bauhauptgewerbe

- 2007 Schlichter mit Kurt Biedenkopf im Tarifstreit der Bahn

- 2010/2011 Vermittler im Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21

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