Eigentlich müsste Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) entsetzt sein. Da erklärt er immer wieer, wie wichtig Ganztagsangebote für bayerische Schüler seien. Ständig betont er auch, welche zusätzlichen Mittel er für den Ausbau der Angebote locker machen konnte – 3,3 Millionen Euro allein im Nachtragshaushalt. Und jetzt das: Die Bertelsmann Stiftung überreicht ausgerechnet ihm die rote Laterne: Bayern ist Schlusslicht bei der Zahl der Ganztagsschüler. Gerade einmal jeder zehnte Schüler im Freistaat nutzt laut Bertelsmann-Studie ein Ganztags-Angebot, bundesweit sind es im Schnitt 28 Prozent.
Doch von Entsetzen keine Spur. Im Gegenteil: Spaenle nimmt die Studie zum Anlass, sich selbst auf die Schulter zu klopfen: „In der Ausbau-Dynamik liegen wir in Bayern ganz vorne, das erkennt der Bericht ebenfalls an“, sagt er der Staatszeitung. Und forsch fügt er an: „Wir haben die Mittel bereitgestellt, dass zum kommenden Schuljahr Schülerinnen und Schüler an 90 Prozent aller allgemeinbildenden Schulen im Freistaat Ganztagsangebote besuchen können.“
Zehn Prozent, sagt die Bertelsmann-Studie. Von 90 Prozent spricht Spaenle. Wer hat nun recht? Die Daten für die Studie kommen von der Kultusminister-Konferenz. Spaenle beruft sich auf eine Erhebung der Industrie- und Handelskammer, die an 92 Prozent der bayerischen Grundschulen schon Ganztagsangebote realisiert sieht.
„Spaenle trickst“
„Spaenle trickst mit den Zahlen“, rügt Klaus Wenzel, Präsident vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). „Er rechnet einfach alles zur Ganztagsschule. Selbst die Mittagsbetreuung.“ Den Kultusminister lässt dieser Vorwurf kalt: „Ich habe ja nie verschwiegen, dass die Mittagsbetreuung mit eingerechnet ist.“ Wenzel bringt das auf die Palme: „Die Staatsregierung verkauft unter dem Label Ganztagsschule verschiedenartigste Angebote, die sich qualitativ sehr unterscheiden.“
Spaenles Lieblingsbegriffe sind Wahlfreiheit und Reichweite. Ihn interessieren die absoluten Schülerzahlen, auf die sich die Bertelsmann-Studie stützt, nicht. „Mir geht es um die Realisierung der bedarfsgerechten und flächendeckenden Versorgung“, betont er. Im Klartext: Eltern sollen entscheiden, was für ihr Kind das Beste ist, und dazu muss die Reichweite stimmen, das heißt, entsprechende Angebote müssen potenziell da sein. Da Spaenle für seine Statistik nun geschickt jede Schule berücksichtigt, die auch nur ein paar Angebote über den Vormittag hinaus bereithält, kommt er auf einen ansehnlichen Prozentsatz. Über die Schülerzahl, denen die Angebote tatsächlich zu Verfügung stehen, sagt das freilich nichts.
Düsteres Bild
BLLV, Bayerischer Elternverband (BEV) und auch Opposition halten ohnehin nur die sogenannte gebundene Ganztagsschule mit Unterricht am Nachmittag für zielführend. Eine Mittagsbetreuung bis 14 Uhr helfe einer berufstätigen Mutter wenig. Und auch einer individuelleren Förderung werde man damit kaum gerecht, so die Kritik. Die sogenannten offenen Ganztagsangebote, die auch die Bertelsmann-Studie berücksichtigt, finden ebenfalls wenig Anklang: „Hier läuft der Unterricht meist genauso ab wie in einer Halbtagsschule“, kritisiert BEV-Sprecherin Ursula Walter. „Bei der gebundene Form ist er flexibel über den ganzen Tag verteilt.“
Auch Spaenle kann sich dieser Logik nicht entziehen: „Ich werbe ausdrücklich für den gebundenen Ganztagszug“, sagt er. Doch bietet sich hier ein besonders düsteres Bild: 4,3 Prozent der Schüler im Freistaat besuchten 2010/2011 eine gebundene Ganztagsschule, bundesweit waren es 12,7 Prozent. Das seien veraltete Zahlen, kontert Spaenle, seit vergangenem Jahr habe sich viel getan. Doch auf Nachfrage im Ministerium wird es kurios: Denn dort heißt es, 3,7 Prozent der Schüler im Freistaat besuchen derzeit eine gebundene Ganztagsform. Der Grund: Die Studie bezieht alle allgemeinbildenden Schulen privater und öffentlicher Träger mit ein, das Ministerium nur die staatlichen.
Aber es hat sich im Freistaat tatsächlich etwas getan – auch im Bereich der gebundenen Ganztagsschulen. Im aktuellen Schuljahr lässt sich eine Zunahme der Schülerzahl um 22,4 Prozent verzeichnen. Insgesamt sind es 49 000. Bayern hinke der Entwicklung dennoch hinterher, sagt BEV-Sprecherin Walter. Viele Eltern klagen, dass sie bei der Suche nach Plätzen verzweifeln. Auch von der FDP kommt Kritik: „Jahrelange Versäumnisse, die ideologisch begründet waren“ könnten „nicht von heute auf morgen ausgeräumt werden“, so die Landtags-Liberale Julika Sandt.
„Ich verstehe die Studie als Ansporn und Auftrag“, sagt denn auch Spaenle und betont: „Wir genehmigen jeden genehmigungsfähigen Antrag.“ Voraussetzung dafür ist, dass ein Halbtagsangebot da ist. „In Bayern gibt es aber viele kleine Schulen, die nicht beides anbieten können“, sagt Martin Güll, schulpolitischer Sprecher der Landtags-SPD. „Eine Wahlfreiheit gibt es deshalb nicht.“ Hier zumindest wird Spaenle deutlich und erklärt: „Regelschule in Bayern ist nicht die Ganztagsschule.“ (Angelika Kahl)
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