Politik

Videoüberwachung mit Gesichtserkennung in Berlin. In Mannheim rufen die Kameras bei auffälligem Verhalten sogar die Polizei. (Foto: dpa/Carstensen)

16.08.2019

"Eine neue Dimension der Überwachung"

UNO-Berater Andreas Dripke über die Schattenseiten der Digitalisierung, die Arroganz großer Internetkonzerne und staatliche Gesichtserkennung

Das Diplomatic Council ist ein globaler Thinktank im Bereich Digitalisierung, der unter anderem die Vereinten Nationen berät. Normalerweise halten sich die Mitglieder in der Öffentlichkeit bedeckt. Doch jetzt warnt der Global Chairman Andreas Dripke vor der „Stasi 2.0“. Er kritisiert: Politiker reagieren immer erst, wenn es zu spät ist.

BSZ: Herr Dripke, Ihre Denkfabrik will kein „Politics Bashing“ betreiben, sondern Politiker wachrütteln. Hören die auf Sie?
Andreas Dripke: Die Erfahrung zeigt, dass Politiker immer dann wachsam werden, wenn es sie selbst betrifft. Zum Skandal wurde die NSA-Affäre erst, als das Handy der Bundeskanzlerin abgehört wurde. Gleiches gilt für die gehackten Facebook-Profile von Politikern Anfang des Jahres. Das ist typisch für viele Politiker, aber immerhin entwickeln sie danach ein höheres Bewusstsein für die Problematik.

BSZ: Zu Ihren Mitgliedern gehören auch Staatschefs, Botschafter und Unternehmer. Welche Sorgen im Bereich Digitalisierung haben die?
Dripke: Bei den Staaten gibt es drei Schwerpunkte. Erstens: Wie geht es mit den Steuern weiter, wenn alles digital wird? Wenn ein Auto aus dem 3D-Drucker kommt, wird es schwieriger, darauf Zoll zu erheben. Zweitens: Cyberkriminalität, Cyberterrorismus und Cyberkrieg. Deutschland behält sich ja künftig vor, nicht nur abzuwehren, sondern auch zurückzuschlagen. Und drittens: Wie kann die Bevölkerung besser überwacht werden. Oder um es positiver auszudrücken, wie kann die Sicherheit durch immer mehr Überwachungssysteme erhöht werden.

BSZ: Und welche Sorgen haben die Wirtschaftsbosse bei Ihnen?
Dripke: Für die Staaten wie für die Wirtschaft gleichermaßen wichtig ist der Schutz der kritischen Infrastrukturen. Selbst wenn ein Unternehmen durch Hacker nur kurzzeitig die Kontrolle über seinen IT-Betrieb verliert, kann dies verheerende Auswirkungen haben. Ein Kontrollverlust bei öffentlichen Infrastrukturen, die alle digital gesteuert werden, wie etwa der Energieversorgung, hat das Potenzial einer Katastrophe. Und natürlich haben sie in der Wirtschaft das Thema der neuen digitalen Geschäftsmodelle, das viele Unternehmen umtreibt.

BSZ: Die CSU fordert nach der Tat am Frankfurter Hauptbahnhof wieder mehr Videoüberwachung. Sie hingegen warnen vor einer „Stasi 2.0“.
Dripke: Die Politik findet immer einen Grund, mehr Überwachung zu fordern. Damit müssen wir wohl leben. Aber die Gefahren sieht man etwa bei dem Pilotprojekt zur Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz. Dort wurden 0,3 Prozent der Gesichter falsch zugeordnet, also die falsche Person erkannt. Auf 80 Millionen Deutsche hochgerechnet entspricht das immerhin 240 000 Verwechslungen. Das kann fatal sein in einer Welt, in der biometrische Daten zur Identifizierung genutzt werden. In Mannheim beobachten Kameras mittels künstlicher Intelligenz Verhaltensweisen auf öffentlichen Plätzen und rufen bei Auffälligkeiten die Polizei. Das alles ist zusammengenommen der Einstieg in eine neue Dimension der digitalen Überwachung.

BSZ: Die neuesten Smartphones können auch Gesichtsausdrücke deuten. Wann kann der Staat anhand unserer Mimik Gefühle auswerten?

Dripke: In China tut er das bereits. Das Land ist technologisch Vorreiter einer umfassenden digitalen Überwachung. Wenn man weiß, dass die Mimik überwacht wird, lächelt man eben ständig. Ansonsten lässt einen der Staat nicht auf die Universität oder entzieht einem die Reiseerlaubnis. Auch in Deutschland versucht man, uns durch die Technik sanft in bestimmte Richtungen zu schubsen, das sogenannte Big Nudging. Dagegen wehren wir uns als Zivilgesellschaft und erheben unsere Stimme bei den Vereinten Nationen.

"Die Hilflosigkeit der demokratischen Parteien in den sozialen Netzwerken ist bemerkenswert"

BSZ: Kürzlich kam heraus, dass Sprachassistenten wie Siri mehr Daten speichern als angegeben. Zählt nationales Recht für Apple, Amazon & Co gar nichts?
Dripke: Diese Konzerne verhalten sich wie Pseudostaaten, obwohl sie nationalem Recht unterliegen. Aber die Unternehmer meinen, besser zu wissen, was gut für die Welt ist. Das ist eine Konfrontation zum staatlichen Recht. Die Menschen müssen sich bewusst machen, dass ihre Daten, die sie US-Firmen anvertrauen, letztlich alle bei US-Behörden landen können. Und die Durchlässigkeit zwischen den USA und deutschen Behörden ist frappierend.

BSZ: Wie lässt sich die Macht der Großkonzerne beschneiden?
Dripke: Wir sollten uns als Zivilgesellschaft stärker einbringen und die Welt nicht den Staaten und wenigen Digitalkonzernen allein überlassen – egal, ob US-amerikanischen oder chinesischen. Es wäre schön, wenn die Politik künftig nicht nur den aktuellen technologischen Entwicklungen hinterherliefe, sondern deutlich progressiver in der Gesetzgebung wird. Beim Datenschutz ist es wohl zu spät, aber bei der künstlichen Intelligenz stehen wir bei der Gesetzgebung noch ganz am Anfang. Es ist wichtig, sich bereits jetzt Gedanken darüber zu machen.

BSZ: Trump, Salvini oder der AfD: Warum sind Populisten in sozialen Netzwerken so erfolgreich, die anderen Parteien aber nicht?
Dripke: Die Hilflosigkeit der demokratischen Parteien in den sozialen Netzwerken ist bemerkenswert. Die Bundeskanzlerin postet gar nicht, Horst Seehofer hat seinen Twitter-Account nach zwei Beiträgen wieder gelöscht. Es reicht einfach nicht, Werbeplakate zu posten und zu glauben, das sei zeitgemäß. 85 Prozent aller geteilten Facebook-Beiträge von Parteien stammen von der AfD. Die demokratischen Parteien müssen dringend besser werden.

BSZ: Jetzt haben wir viel über negative Entwicklungen gesprochen. Es muss doch auch positive Seiten geben!
Dripke: Ja, die Vorteile der Digitalisierung sind gewaltig. So werden wir etwa durch das Internet of Things in vielen Bereichen bessere Resultate als durch Menschen erzielen. Beispielsweise können Naturkatastrophen präziser vorausgesagt werden. Künstliche Intelligenz in Verbindung mit Smartwatches oder Chips in unserem Körper wird rund um die Uhr unsere Vitalfunktionen messen und so Menschenleben retten. Auch politische Entscheidungen können von künstlicher Intelligenz künftig besser getroffen werden als vom Ego eines Politikers. Die Frage ist natürlich, ob wir das wollen. Die Ergebnisse würden objektiver sein, aber nicht unbedingt humaner.

BSZ: In ihren Statuten sprechen Sie sich für mehr Transparenz aus. Warum gibt es aber von Ihren Mitgliedern keine öffentliche Liste?
Dripke: Unsere Mitglieder wollen selbst entscheiden, wem sie von ihrer Mitgliedschaft im Diplomatic Council berichten. Viele spenden für gemeinnützige Zwecke. Wenn sich das herumspricht, haben unsere Mitglieder meist plötzlich viele Freunde, die sie nicht alle haben wollen. Es ist daher nicht an uns, die Mitgliederliste zu publizieren. (Interview: David Lohmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.