Politik

Schauspieler gehen baden – kreativer Protest u.a. von Jutta Speidel (M.) beim letzten Filmfest. (Foto: Michael Zettler)

22.06.2012

Eine TV-Kuh verdient oft mehr

Armutsfalle Traumberuf: Viele Schauspieler klagen über katastrophale Arbeitsverhältnisse

Ein fettes Bankkonto, jede Menge Ruhm und Glamour. Wenn sich in einer Woche die Stars beim Münchner Filmfest wieder auf dem roten Teppich tummeln, dürften sie viele bewundernde, aber auch so manche neidische Blicke auf sich ziehen. Doch gerade was die finanzielle Situation angeht, sind die wenigsten Schauspieler in Deutschland tatsächlich zu beneiden. Viele müssen ihre mickrigen Gagen mit Nebenjobs aufbessern, kaum einer hat Anspruch auf Arbeitslosengeld. Und von einer Altersvorsorge können die meisten nur träumen.
Im vergangenen Jahr sprangen 150 Schauspieler während des Filmfests deshalb in den Stachus-Brunnen, unter dem Motto: „Wir gehen baden – und die Kultur mit uns.“ Auch Jutta Speidel und Hannes Jaenicke protestierten damals unter vollem Bademützen-Einsatz gegen Dumpinglöhne und unzumutbare Arbeitsbedingungen – aus Solidarität für „Kollegen, denen es nicht so gut geht wie mir“, wie Speidel betonte. Doch  an den Arbeitsbedingungen für Schauspieler hat sich kaum etwas geändert. Die von Verdi unterstützen Verhandlungen mit der Produzentenallianz über einen Mindestlohn laufen zäh. Eine Tagesgage von 1000 Euro fordert der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS). Manche würden heute mit 50 oder 100 Euro am Tag abgespeist. Für eine Film-Katze bekäme man dagegen 400 Euro am Tag und für eine Kuh 450, so der Verband.
1000 Euro am Tag? Andere würden sich wohl selbst über das Katzen-Niveau freuen. „Aber hinter einem Arbeitstag stehen tatsächlich mehrere Tage Arbeit“, sagt BFFS-Vorstand Antoine Monot. „Kostüm- und Textproben werden nicht zusätzlich bezahlt“, erklärt der Schauspieler, der vor sechs Jahren gemeinsam mit Kollegen den Verband gegründet hat. Dazu komme, dass Schauspieler auch Anreise und Unterkunft immer häufiger selbst bezahlen müssten. Ein Spielfilm wird im Schnitt an 28 bis 35 Tagen gedreht. Monot erklärt: „Auf einzelne Schauspieler aber fallen davon meist nur ein paar Drehtage ab. Doch andere Verpflichtungen können sie während der gesamten Drehzeit nicht eingehen.“ Die Wilhelms-Universität Münster befragte für eine Studie im vergangenen Jahr deutsche Schauspieler zur ihrer finanziellen Situation. Das Resultat: Die Hälfte der Befragten verdiente  20 000 Euro brutto oder weniger im Jahr.
Dem BFFS geht es vor allem darum, den Gagenverfall aufzuhalten. „Der ist bodenlos“, sagt Monot. Allein in den vergangenen fünf Jahren seien die Gagen um 50 Prozent eingebrochen. Der Münchner Schauspieler Matthias Kupfer bestätigt: „Es gibt nur noch selten Film- und Fernsehengagements, die mit einer regulären Gage vergütet werden. Ständig wird in meiner Liga der wenig-prominenten Schauspieler am Rad nach unten gedreht“, so der 48-Jährige. „Und komischerweise auch immer wieder bei Produktionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.“
Dabei hat Kupfer noch Glück. Denn seit er 1989 den Beruf ergriffen hat,  konnte er immer davon leben. Große Rücklagen allerdings konnte er nicht bilden. „Krank werden darf ich nicht“, sagt Kupfer. „Dann sieht’s ganz trüb aus.“ Nadine Konietzny dagegen arbeitet in den Sommermonaten regelmäßig nebenbei – als Verkäuferin oder Bedienung –, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die 34-Jährige gehört seit 2003 zum Ensemble des Theaters Cabaret des Grauens in Burghausen – im Sommer herrscht dort saisonbedingt eher Flaute.


Nicht einmal 5 Prozent haben Anrecht auf Arbeitslosengeld


Zwei Mal hat Konietzny ihr Glück schon in Berlin versucht. „Und zwei Mal bin ich gescheitert“, erzählt sie. Große und kleinere Theater habe sie abgeklappert, Castings für Film und Fernsehen gemacht – doch mit einem Engagement hat es zu selten geklappt. „Ein Problem ist auch, dass die Leute immer häufiger meinen, man würde umsonst arbeiten“, erzählt sie.
2002 hat Konietzny ihren staatlichen Abschluss  an der Athanor Akademie Burghausen gemacht. „Fast die Hälfte meines Jahrgangs hat die Schauspielerei mittlerweile hingeschmissen“, sagt sie. „Dieses ständige Entlangschrabbern an der Existenzgrundlage ist ziemlich nervenaufreibend, und wenn der Beruf nicht so viel Spaß machen würde – zumindest meistens – würde ich das gar nicht aushalten“, erklärt Kupfer. Besonders prekär: Kaum ein Schauspieler hat Anrecht auf Arbeitslosengeld, wenn Engagements mal ausbleiben. „Wir haben zwar hohe Abgaben, profitieren davon aber nicht“, kritisiert BFFS-Vorstand Monot. Sind Schauspieler angestellt, arbeiten sie auf Lohnsteuerkarte und zahlen für jeden Drehtag in die Versicherung ein. Doch die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld (ALG I) erreichen die wenigsten, da ihnen die vom Gesetz geforderten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungstage fehlen. Auch Kupfer und Konietzny sind betroffen.
Seit 2009 brauchen Schauspieler – wie alle anderen kurzfristig Beschäftigten auch – für die Anwartschaft statt der üblichen zwölf nur sechs Monate in zwei Jahren. Allerdings müssen die sechs Monate überwiegend aus Beschäftigungen resultieren, die auf nicht länger als sechs Wochen – neuerdings zehn Wochen – begrenzt sind. Das heißt, mit einem viermonatigen Theaterengagement ist man wieder bei den zwölf Monaten. Das Ergebnis der Münsteraner Studie: Nur 4,6 Prozent der befragten Schauspieler haben auch nach den Änderungen 2009 die Voraussetzungen für den Bezug von AGL I erfüllt. Die Gegenmodelle der Oppositionsparteien im Bundestag sahen weitreichendere Anspruchserleichterungen vor – die SPD beispielsweise wollte die Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre anheben. Von der Regierungskoalition wurde dies aber abgelehnt.
 Schauspiel – ein Albtraumberuf? Monots Rat ist jedenfalls eindeutig: „Werdet im Leben nicht Schauspieler! Es ist der schönste Beruf überhaupt. Aber macht es nicht.“ (Angelika Kahl)

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