Politik

Irgendwann wird es vorbei sein. Das Coronavirus raubt vielen die gute Laune. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

27.03.2020

"Es ist klug, die Menschen jetzt nicht einzusperren"

Der Psychologe und Stress-Experte Louis Lewitan über den Umgang mit Ängsten, die Bedeutung des Alleinseins und die Verantwortung der Politiker

Psychologen sind – neben Virologen – gefragte Gesprächspartner dieser Tage. Denn die Belastungen durch das Coronavirus können aufs Gemüt schlagen, im schlimmsten Fall führen sie zu Gewalt oder Selbstmordgedanken. Louis Lewitan (64) zählt bundesweit zu den bekanntesten Psychologen, als Stress-Experte ist er Autor mehrerer Fachbücher zum Thema. Er lebt in München. 

BSZ: Herr Lewitan, es sind stressige Zeiten. Die Menschen sitzen seit Tagen aufeinander. Wie sollen wir die nächsten Tage und Wochen überstehen?
Louis Lewitan: Die Corona-Krise ist eine einzigartige Herausforderung, auch für die Psyche. Die Ängste der Menschen sind ja nicht neurotisch, sie sind real. Die Ängste können aber neurotisch werden, wenn sie sich verselbstständigen. Es ist eine wichtige Aufgabe, die Menschen darauf vorzubereiten, was auf sie zukommt. Das ist eine Aufgabe für Politiker, aber auch für Psychologen und Psychotherapeuten. Und die spielen in der aktuellen Diskussion leider kaum eine Rolle.

BSZ: Was würden Sie als Psychologe den Menschen sagen?
Lewitan: Dass es völlig normal ist, sich aufzuregen, Konflikte auszutragen, unruhig zu schlafen, sich einsam zu fühlen. Behörden und Gesundheitsportale sollten diese psychologischen Aspekte in der Kommunikation bewusster benennen. Bisher haben wir in unserem normalen Leben mehr gehandelt, funktioniert, und dabei zu selten über Gefühle geredet. Gegenwärtig ist es aber wichtig, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen, sie nicht kleinzureden oder zu verleugnen. Zugleich aber muss man die Vernunft einschalten. Wir müssen essen, einkaufen, unseren Alltag bewältigen. Das heißt: sich der realen Gefahren bewusst sein und mit den gebotenen Vorsichtsmaßnahmen handeln.

BSZ: Man lernt seine Nächsten in diesen Tagen neu kennen: Wie schafft man es, sich nicht auf die Nerven zu gehen?
Lewitan: Grundsätzlich: Strukturen im Tagesablauf sind besonders jetzt wichtig. Dazu gehört, zu geregelten Zeiten aufstehen, arbeiten, essen, sich pflegen, Pausen einlegen. Das alles gibt einem das Gefühl von Normalität. Man sollte außerdem bewusst miteinander Zeit verbringen und sich genauso bewusst Zeit für sich selbst nehmen. Es ist wichtig, auch mal allein zu sein. Gefährlich ist, vor sich hinzuleben, ohne Plan und Ziel. Wenn die Zeit zu einem Einheitsbrei wird, dann droht innere Leere, Monotonie und im schlimmsten Fall Abgleiten in die Depression.

BSZ: Ist jetzt die Zeit für das „klärende Gespräch“ – oder soll man sich eher aus dem Weg gehen?
Lewitan: Jetzt klärende Konflikte auszutragen, kann riskant sein, wenn die räumliche Distanz danach fehlt. Andererseits ist es normal, dass jetzt vermehrt Konflikte entstehen. Es ist ein Irrglaube, man müsse Harmonie um jeden Preis bewahren. Konflikte gehören zur Normalität.

"Die Kommunikation innerhalb von CDU/CSU bedarf der Optimierung"

BSZ: Von der Kanzlerin wird kolportiert, sie sei gegen eine Ausgangssperre, weil sie mehr häusliche Gewalt befürchte. Teilen Sie diese Befürchtung?
Lewitan: Das ist richtig. Eine Ausgangssperre stellt ein Risiko für all diejenigen dar, die sich in den eigenen vier Wänden nicht sicher fühlen können. Das betrifft oft Frauen. Deshalb ist es klug, die Menschen nicht einzusperren.

BSZ: Distanz ist die neue Zuwendung, heißt es jetzt. Ändern sich die Werte dauerhaft?
Lewitan: Nein, der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen. Wir brauchen Nähe, Berührungen und Austausch. Aber in dieser außergewöhnlichen Situation ist ein Umdenken nötig: Man soll sich aus dem Weg gehen, wenn man füreinander da sein will. Das heißt aber nicht, die Kommunikation einzustellen. Im Gegenteil. Lustige Whatsapp- und Sprachnachrichten – schön und gut. Humor ist eine wichtige Waffe. Aber wir sollten das gute alte Telefon wieder mehr nutzen. Das hat einen wichtigen Vorteil gegenüber Memos, Memes und Mails: Der Gesprächspartner merkt an der Stimme, am Tonfall, wie es einem wirklich geht. Beziehungen pflegen bedeutet, in Beziehung zu treten. Und das Telefongespräch – mit oder ohne Video – ist dafür derzeit das Mittel der Wahl.

BSZ: Wie könnte sich die Gesellschaft langfristig verändern? In Richtung mehr Solidarität? Mehr Verständnis? Mehr Miteinander?
Lewitan: Der Mensch lernt aus seinen Fehlern, deshalb bin ich zuversichtlich. Wir werden unsere Werte neu definieren müssen. Was ist notwendig, was ist Luxus? Das wird schon daher nötig, weil diese Krise massive finanzielle Konsequenzen für die allermeisten haben wird. Wir werden uns mit Arbeitslosigkeit, Pleiten und kollektiver Verunsicherung auseinandersetzen müssen.

BSZ: Wie bewerten Sie die Kommunikation der politisch Verantwortlichen?
Lewitan: Die Menschen wünschen sich Verantwortliche, die mit einer Sprache sprechen, dabei Handlungsfähigkeit und Entschiedenheit zeigen. Die Bundeskanzlerin hat die Führungsrolle übernommen, die Kommunikation innerhalb von CDU/CSU bedarf aber der Optimierung.

BSZ: Was bedeutet die Krise für die Politik? Droht die Abrechnung mit einem System, das in der Krise schwerfällig, spät und uneinheitlich reagiert?
Lewitan: Wenn es den Regierungen nicht gelingt, die Krise zu meistern, dann droht die Stunde der Populisten. Sie werden dann die Gelegenheit nutzen, die Demokratie auszuhebeln. Unsere demokratisch gewählten Repräsentanten müssen die Krise als Chance nutzen, dem Gemeinwohl zu dienen. Das wollen und brauchen die Menschen. Das Schwarz-Weiß-Denken der Populisten verbreitet nur Angst und spaltet die Bevölkerung. Sie bieten keine langfristigen Lösungen. Darauf sind wir aber angewiesen. (Interview: Matthias Maus)

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