Politik

Horst Seehofer, umzingelt von Mikrofonen – eine Situation, die ihm ganz offensichtlich behagt.(Foto: dapd )

23.11.2012

"Facebook und Twitter werden überschätzt"

Medienwissenschaftler Carsten Reinemann (41) über Sinn und Unsinn von Politikern in Sendergremien, TV-affines Verhalten und Grenzen der Internet-Demokratie. Der Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt politische Kommunikation lehrt an der LMU München

Wenn Kameras und Mikrofone nahen, werden Politiker meist ganz hibbelig und ändern schlagartig ihr Verhalten und ihre Wortwahl. In Zeiten der Massenmedien gilt die Devise: Dabei sein ist alles. Ein Bild sagt eben mehr als 1000 Worte – aber müssen die Sprüche unserer Politiker deshalb zunehmend inhaltsleerer werden? BSZ: Herr Reinemann, nach der ZDF-Anruf-Affäre um CSU-Sprecher Hans-Michael Strepp nannte Horst Seehofer  dessen Rücktritt „unvermeidlich“. Jetzt darf Strepp doch bleiben – zumindest als Planungschef der CSU. Das ZDF hätte übertrieben reagiert. Verstehen Sie das?
REINEMANN: Da ging es einfach um schnelle Schadensbegrenzung. Aus der Sicht der Partei ist ja nicht der Anruf beim ZDF an sich das Problem, sondern dass er öffentlich geworden ist. Diese Diskussionen wollte man schnellst möglich beenden, also blieb nur ein Rücktritt übrig. Großen Nachhall hatte die Affäre aber nicht. BSZ: Die Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender sind mit Politikern besetzt, die dort eben auch ihre Parteiinteressen vertreten ...
REINEMANN: Diese Gremien sollen gesellschaftliche Interessen repräsentieren, und dazu gehören auch politische Parteien. Die Frage ist allerdings, wie stark sie in welchen Gremien sind. Im ZDF-Verwaltungsrat sitzen beispielsweise viele Ministerpräsidenten, darunter auch Horst Seehofer. Das ist eine unglückliche Konstellation, die reformiert gehört. Öffentlich-rechtliche Sender, die über Gebühren finanziert werden, müssen sich auch über ihre parteipolitische Unabhängigkeit legitimieren. BSZ: Seehofer gilt als Medienprofi. Würden Sie das unterschreiben?
REINEMANN: Er spielt eine Karte, die zwar nicht neu ist, ihm aber mediale Aufmerksamkeit sichert. Die CSU versucht sich als Kontrastprogramm zur Bundesregierung zu profilieren. Und je schriller der Ton, um so sicherer wird er gesendet. Dass das nicht ungefährlich ist, hat man allerdings in der Griechenlandfrage gesehen, denn man nimmt die CSU im Ausland auch als Regierungspartei wahr. Generell wird Medienpräsenz immer wichtiger, und dazu werden immer häufiger auch Töne angeschlagen, die manche in einem persönlichen Gespräch nie äußern würden – das bestätigen auch Politiker. Meiner Meinung nach ist hier allmählich eine Grenze erreicht.

"Manche vergessen, dass auch Inhalte Bedeutung haben"

BSZ: Warum wird die Medienpräsenz immer wichtiger?
REINEMANN: Weil die Medien für die Bürger und ihre Wahlentscheidungen immer wichtiger geworden sind. Früher gab es festere Parteibindungen, und damit war auch das Wahlverhalten relativ fix. Mit der Zunahme der Zahl an Wechselwählern und Spätentscheidern werden nun aber aktuelle Stimmungen immer wichtiger. Deshalb müssen Politiker die Medien immer stärker im Auge behalten. BSZ: Was zählt heute mehr: Persönlichkeit oder Inhalt?
REINEMANN: Beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Themen wie Betreuungsgeld und Studiengebühren werden zwar von bestimmten Personen vertreten. Darüber hinaus gibt es aber immer auch eine substanzielle Diskussion. Natürlich gibt es auch das Phänomen eines Karl-Theodor zu Guttenbergs, über dessen politische Erfolge man sich streiten könnte. Aber selbst ein Charismatiker wie Obama hat bei der letzten Wahl nur die Hälfte seiner Landsleute von seiner Politik überzeugt. Ich glaube, man vergisst manchmal, dass auch Inhalte von Bedeutung sind.

BSZ: Streiten könnte man auch darüber, wie substanziell über Betreuungsgeld und Studiengebühren tatsächlich diskutiert wird.
REINEMANN: Das ist klar, aber diese Themen sind eben nicht nur an einer bestimmten Person festzumachen. Dass die öffentliche Debatte häufig nicht tiefschürfend ist, ist eine andere Frage.  Das faszinierende am  Thema Studiengebühren ist ja, dass darin vermutlich viele Annahmen stecken, die mit Sachpolitik nichts zu tun haben. Seehofer glaubt, den Volksentscheid möglicherweise zu verlieren und dann gegebenenfalls auch Wähler. Von einem Augenblick auf den anderen von Positionen Abschied zu nehmen, die man vorher für richtig befand, halte ich für problematisch. BSZ: Aber genau darin ist Seehofer doch  Meister. Und es scheint der CSU nicht mal zu schaden. Warum?
REINEMANN: Das Regieren nach medialer Stimmung ist tatsächlich keine gute Entwicklung. Auch weil es eine immer größer werdende Gruppe von Menschen gibt, die sich von aktueller Information verabschiedet hat. Wenn auf der anderen Seite aber die Politik  immer stärker auf Umfragen und Stimmungen reagiert, geht hier eine Schere auf, die problematische Folgen haben kann. Denn die Politik ist sich offenbar oft nicht im Klaren, dass die Antworten in Umfragen nicht unbedingt auf reflektierten Überlegungen beruhen. Und so gibt man auch zuweilen den Versuch auf, die Menschen von etwas zu überzeugen, was man für richtig hält.

"Für Politiker ist es gefährlich, konkret zu werden"

BSZ: Wie erzielen Politiker in den Medien die beste Wirkung?
REINEMANN: Bei unseren Untersuchungen von TV-Debatten haben wir festgestellt, dass man die Leute am besten mitnimmt, wenn man möglichst allgemein bleibt. Das Bekenntnis, das Klima retten zu wollen, kommt an. Gefährlich wird es aber, wenn ich konkret werde, weil dann die Leute wirklich begreifen, was ich will. Man will zwar das Klima retten, aber vielleicht keinen höheren Strompreis bezahlen. Als Berater müsste ich einem Politiker also sagen: Bleib allgemein, personalisiere und sei emotional. Persönlich als Demokrat bin ich natürlich an einer Qualität des politischen Diskurses interessiert und müsste sagen: Werde konkret, damit die Leute wissen, was du vorhast. BSZ: Das Internet bietet Politikern die Möglichkeit, direkt mit dem Bürger in Kontakt zu treten. Verändert dies das Verhältnis Medien und Politik?
REINEMANN: Bei uns in Deutschland sind immer noch die traditionellen Massenmedien samt ihrer Webangebote  die zentrale Quelle für Informationen. Selbst auf Facebook sind es ja oft Inhalte von Leitmedien, die dort verlinkt werden. Das vergessen viele Politiker, die ständig auf die sozialen Netzwerke starren, aber gar nicht so genau wissen, was sie dort wollen. BSZ: Der Politiker als Info-Junkie, der immer die neueste Umfrage und den nächsten Tweet im Blick hat, müsste sich den Stress also gar nicht antun?
REINEMANN: Genau. Viele glauben heute, dass man auf alles sofort reagieren muss, weil es einen Rieseneffekt hat, wenn irgendjemand irgendetwas postet. Aber das ist irrsinning, denn die Zahl der Leute, die das wirklich sehen, ist zuweilen marginal. Vieles „versendet sich“. Außerdem lässt sich die Politik damit auf genau die Beschleunigung ein, die sie bei den Medien zu Recht kritisiert. BSZ: Das wird Ilse Aigner nicht freuen, die  Oberbayern-CSU will ja jetzt die Bürgerbeteiligung via Web.
REINEMANN: Es ist eine Illusion, dass man im Internet mit einem vertretbaren Aufwand eine ständige unmittelbare Kommunikation zwischen der Breite der Bevölkerung und der Politik herstellen kann. BSZ: Die Facebook-Attacke von Landrat Michael Adam gegen SPD-Kollege Florian Pronold hatte auf jeden Fall eine große Wirkung.
REINEMANN: Dass man aufpassen muss, was man auf Facebook rausposaunt, ist ein ganz anderes Problem. Aber generell kann ich der Politik nur raten: Haltet den Ball hier flach. (Interview: Angelika Kahl)

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