Politik

27.04.2018

Fachkräfte made in Bavaria

Ministerpräsident Söder blendet bei seiner Qualifizierungsoffensive Migranten aus – die Wirtschaft hält das für verwegen

Kann man aus Langzeitarbeitslosen Fachkräfte im Maschinen- und Anlagenbau machen? Ministerpräsident Markus Söder glaubt daran. Er hat in seiner Regierungserklärung angekündigt, Jugendliche ohne Berufsausbildung, Langzeitarbeitslose, Ältere und Behinderte nachzuqualifizieren. Ziel sei, so über die nächsten Jahre über 100 000 zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen.

Wirtschaftsverbände bezweifeln, dass man Menschen ohne Vorqualifikation zu Fachkräften weiterbilden kann. Michaela Harlander vom Landesverband des Deutschen Verbands Maschinen und Anlagebau wäre schon froh, wenn sich „zumindest einzelne Menschen aus der genannten Zielgruppe für die anspruchsvollen Tätigkeiten“ qualifizieren ließen.

Dass dringender Handlungsbedarf besteht, ist unstrittig. Laut IHK fehlen in Bayern 227 000 Fachkräfte – seit Jahren belegt Bayern damit bundesweit einen Spitzenplatz. Am meisten benötigt werden Industriekaufleute, Bürokaufleute, Fertigungsmechaniker, IT-ler und Pflegekräfte. Ob Söders Zahl von 100 000 zusätzlichen Fachkräften durch das Programm realistisch ist, wagt kein Experte zu sagen. Die Landtagsgrünen halten sie für utopisch. Die Gewerkschaften sind dennoch mit dem Programm zufrieden. „Der Pakt zielt in die richtige Richtung, weil sich im Freistaat bisher vor allem Höherqualifizierte fortbilden“, erklärt Bayerns DGB-Chef Matthias Jena. Grund: Geringqualifizierte können sich Weiterbildungsmaßnahmen oft nicht leisten.

Um das zu ändern, will Söder künftig Bildungsschecks an Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen verteilen. Gute Idee, aber ausbaufähig, meinen DGB und IG Metall. Sie fordern ein Recht auf Weiterbildung mit bezahlter Freistellung für jeden bayerischen Beschäftigten.

Die Wirtschaft sagt: Auch  bessere Kita-Betreuung würde helfen, Fachkräfte zu rekrutieren

Zur Fachkräftegewinnung will Söder vorwiegend auf Deutsche setzten. „Während der Bund beabsichtigt, Fachkräfte aus dem Ausland zu werben, werden wir verstärkt Ressourcen im eigenen Land nutzen“, kündigte er an. Das ist allerdings nicht ganz korrekt, weil die Bundesregierung in den nächsten drei Jahren zusätzlich vier Milliarden Euro für das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ und für eine „nationale Weiterbildungsstrategie“ ausgibt. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft glaubt ohnehin nicht, dass sich die Fachkräftelücke ohne Zuwanderung schließen lässt. „Würde man alle Stellen in Bayern mit passend qualifizierten Arbeitslosen in Bayern zusammenbringen, würde dennoch die Hälfte unbesetzt bleiben“, bestätigt auch Regina Flake vom Institut der deutschen Wirtschaft. Die SPD im Landtag wundert sich daher, dass Söder in dem Programm Asylbewerber und Flüchtlinge ausklammert. Um Langzeitarbeitslosigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen, fordert die IHK, neben der Weiterbildung die Kinderbetreuung nicht zu vergessen. Die wird im neuen Fachkräfteprogramm gar nicht erwähnt. Mehr Personal, bessere Ausstattung und längere Kita-Öffnungszeiten verbesserten die Erwerbschancen, insbesondere von Müttern und Migrantenfamilien, erklärt IHK-Präsident Eberhard Sasse. „Die Fachkräftesicherung fängt aus Sicht der Wirtschaft schon in der Kita an.“

Erfolgreiche Programme zur Fachkräftegewinnung gibt es im Freistaat schon länger. Bisher gibt es für Jugendliche zum Beispiel ausbildungsvorbereitende Berufsschulklassen oder Klassen für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Daneben existieren in der beruflichen Bildung Teilzeitausbildungen und Teilqualifizierungen, um Hürden für den Einstieg ins Berufsleben abzubauen.

Das neue bayerische Fachkräfteprogramm soll diese Angebote jetzt bündeln und erweitern. Neu ist außerdem, dass neben der Wirtschaft diesmal auch die Gewerkschaften dabei sind. Die Idee geht auf Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer zurück, der die Bündnispartner letzten Sommer zu gemeinsamen Gesprächen einlud. Seitdem wird verhandelt. Ein Ergebnis soll es vor der Sommerpause geben – die Zeit drängt. (David Lohmann)

Kommentare (4)

  1. Hmm am 04.05.2018
    Weiterbildung bedeutet doch sinngemäß, dass ein bestimmter Grundstock an Wissen vorhanden sein muss.

    Wenn man jemand in fortgeschrittenem Alter erst das Lesen ,Schreiben und Rechnen beibringen muss, und dass in unserem Land Frauen durchaus auch Vorgesetzte sein können, kann man die Sinnhaftigkeit durchaus hinterfragen. Das sich unter den Neubürgern tatsächlich welche befinden, die gut ausgebildet sind, mag auch stimmen, jedoch wieviele.
  2. rustyoldguy am 29.04.2018
    Gerade bei älteren ist es fraglich, ob sich eine Qualifizierungsmaßnahme lohnt. Ohnehin landen im Produktionsbereich bis zu 90 Prozent in der Leiharbeit. Sieht man sich die Statistiken an, wird man feststellen, das gerade bei älteren Arbeitnehmern 67 Prozent der Leiharbeitskräfte vor Ablauf eines halben Jahres den Job verlieren. Eine notwendige Berufsfindungsmaßnahme dauert in der Kurzform 3 Wochen, in der langen Form 6 Wochen. Oft ist nach dem man festgestellt hat, welcher Beruf passt, ein weiteres halbes Jahr notwendig, um die Umschüler auf das notwendige Bildungsniveau zu heben.
    Eine Umschulung dauert mindesten 2 Jahre. Macht zusammen 30 Monate Schulung.Die Kosten belaufen sich dabei etwa von 35000 bis 45000 Euro, also rund 1150 Euro pro Monat. Bei einer für 90 Prozent der Umschüler zu erwartenden Beschäftigungsdauer von 6 Monaten macht das 5000 Euro bis 7500 Euro Kosten für einen Monat Beschäftigung als Ergebnis.

    Ich weis wovon ich rede. Ich selbst wurde nach einem Arbeitsunfall zum Qualitätsfachmann für Längenprüftechnik ausgebildet, inklusive DGQ-Qualitätstfachkraft und DGQ-Qualitätsassistent, und Ausbildung auf einer hochwertigen Messmaschine sowie Notendurchschnitt von 1,37 und 94 von 100 Punkten in der IHK-Prüfung.

    Was mir das mit 53 Jahren auf dem Buckel ganze gebracht hat?

    Einen durch Stress kaputten Magen, eine steif gewordene Hand und einen Teilzeitjob als Hausmeistergehilfe für 906 Euro Netto. Jetzt, 6 Jahre nach dem Abschluss und mit 53 Jahren, Fazit:

    Finger weg!
  3. Karina am 28.04.2018
    Wir haben im Unternehmen erfolgreich Flüchtlinge aus Irak, Syrien und Afghanistan in anspruchsvollen IT-Jobs oder Ausbildungen beschäftigt. Aus Ost- und Südeuropa sowie aus Afrika konnten wir erfolgreich Fachkräfte für die Kindererziehung und Hauswirtschaft integrieren. Bei Langzeitarbeitslosen ist die Erfolgsquote für uns viel geringer, die Gründe sind aber so vielfältig wie die für die Langzeitarbeitslosigkeit selbst.
    Die Aussage meiner Vorrednerin zu Menschen aus Afghanistan kann ich nicht bestätigen, da wir genau gegenteilige Erfahrungen gemacht haben, aber ich denke, dass die Bandbreite hier einfach entsprechend groß ist.
  4. Tamara am 27.04.2018
    Ich arbeite für eine private Arbeitsvermittlung und anders als die staatlichen Kollegen müssen wir keine politisch gewünschten Aussagen machen. Pauschal von Migranten zu sprechen ist falsch. Menschen aus Osteuropa, vom Balkon, evtl auch die Angehörigen der syrischen Oberschicht können sicher berücksichtigt werden. Aber bei den Afghanen und Somaliern sollte man realistisch anerkennen: diese Menschen werden außer für wenige Anlerntätigkeiten nicht in den Arbeitsmarkt einzugliedern sein. Auch mit noch so guter Qualifikation nicht, weil dafür die elementaren Bildungsvoraussetzungen fehlen. Oft hapert es bereits bei der kognitiven und didaktischen Eignung. Schade, dass das nicht mal offen und ehrlich thematisiert wird. Irgendwann wird dann wieder die AfD das Thema ausschlachten.
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