Politik

Betteln gilt als Gewerbe, Spenden sammeln nicht: Das versteht nicht jeder. (Foto: dapd)

23.12.2011

Geschäfte machen mit der Barmherzigkeit

Die bayerischen Städte klagen über eine Flut von dubiosen Spendensammlern - können aber wenig dagegen unternehmen

Erst stand er mit seiner Sammelbüchse in Forchheim. Für die „Kinderkrebshilfe“ bat der junge Mann aus Osteuropa Anfang Dezember Passanten um Spenden – und nicht wenige hilfsbereite Forchheimer fielen darauf herein. Gerade in der Weihnachtszeit sitzt der Geldbeutel bei vielen locker, man will ja gerade jetzt was Gutes tun.
Allerdings: Der 23-Jährige sammelte gar nicht für die anerkannte Stiftung, sondern für einen dubiosen Verein. Jetzt ermittelt die Polizei wegen Verdachts auf Betrug. Nur wenige Tage später stand der junge Osteuropäer jedoch erneut mit seiner Spendenbüchse auf der Straße – diesmal in Bamberg. Und wieder griff die Polizei ihn auf, musste ihn aber samt gefüllter Sammelbüchse laufen lassen. Denn der junge Mann hatte seine Masche geändert. Ganz allgemein bat er jetzt um Geld für an Krebs erkrankte Kinder. Und dagegen können die Ordnungshüter schlicht nichts tun.


Das Konto mit der Spendendose aufbessern


Seit vier Jahren nämlich darf sich jeder in Bayern mit seiner Büchse an die Straßenecke stellen. Bis 2008 mussten Haus- und Straßensammlungen vorab genehmigt werden. Doch die Staatsregierung hat das bayerische Sammlungsgesetz mit dem Argument Bürokratieabbau einfach abgeschafft. Und damit auch die Genehmigungspflicht sowie die Pflicht des Sammlungsträgers, über Höhe und Verwendung des Ertrags Auskunft zu geben.
Waren es bislang die osteuropäischen Bettlerbanden, die die Kommunen in Alarmbereitschaft versetzt haben, sind es heute immer häufiger dubiose Spendensammler, die in den bayerischen Städten unterwegs sind. „Bei uns steht bald an jeder Ecke einer mit Sammelbüchse, der die Leute anquatscht“, berichtet Andrea Grodel, Pressesprecherin der Stadt Bamberg. Auch der Augsburger Ordnungsreferent Volker Ullrich registriert mit Unbehagen, dass die Zahl der Spendensammler zunimmt.
Häufig ist unklar, was mit den Spenden geschieht. Doch den Behörden sind die Hände gebunden. Nur wenn die öffentliche Ordnung gestört wird und der Betrug offensichtlich ist, kann die Polizei eingreifen.

Auch München hat ein Problem


Das wird auch in München von dunklen Gestalten kräftig ausgenützt. Mit konsequentem Vorgehen gegen europäische Bettelbanden konnte das organisierte Betteln dort zurückgedrängt werden. Denn Bettler werden im Gegensatz zu Spendensammlern paradoxerweise als Gewerbetreibende betrachtet und benötigen deshalb eine Genehmigung. Doch die findigsten unter ihnen sattelten einfach um. „Sie betteln jetzt nicht mehr um Geld, sondern sammeln Spenden“, berichtet der Münchner Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle.
„Wir brauchen wieder eine gesetzliche Regelung“, fordert die Münchner SPD-Stadträtin Barbara Scheuble-Schäfer. „Es kann doch nicht sein, dass sich jeder, der mit Hartz IV nicht auskommt, eine Spendendose in die Hand nehmen kann, um sein Konto aufzubessern.“ Das Polizeipräsidium München und das Kreisverwaltungsreferat fordern die Wiedereinführung des Sammlungsgesetzes, um die Rechtslücke, die Betrügern ungeahnte Chancen eröffnet, zu schließen. Wiederholt habe man Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf die Probleme hingewiesen. Doch bislang befand es das Ministerium noch nicht für notwendig, auf die Berichte der Behörden zu reagieren. Man sehe keinen Anlass für die Wiedereinführung, heißt es vom Innenministerium auf BSZ-Anfrage.
Die Argumentation läuft, grob gesprochen, darauf hinaus, dass Gesetzesverstöße nicht immer entdeckt werden könnten – was allerdings auch für Parkverbote oder das Verbot, Steuern zu hinterziehen, gilt. Es habe sich gezeigt, so das Innenministerium, „dass mit dem Gesetz vielfach Erwartungen verbunden worden sind, die nicht erfüllt werden konnten“. Denn eine vollständige Prüfung der Seriosität jeder einzelnen der bundesweit 20 000 konkurrierenden Sammlungsorganisationen sei nicht machbar gewesen. Der Bürger müsse eigenverantwortlich entscheiden, wem er eine Spende zukommen lassen will. Das Ministerium verweist auf die Möglichkeit, dass sich jeder im Zweifelsfall an das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) oder den Deutschen Spendenrat wenden könne.

Allzu vertrauensvolle Bürger


Doch gerade beim DZI kritisiert man die Abschaffung des Sammlungsgesetzes heftig: Es sei „eine skandalöse, unbefriedigende Situation entstanden“, eine Kontrolle fast gar nicht mehr möglich.
Dazu kommt: Der Selbstschutz der Bürger funktioniert nur mäßig. Viele potenzielle Spender seien zwar extrem verunsichert. Der Regensburger Caritas-Sprecher Marcus Weigl beispielsweise berichtet, dass immer häufiger Menschen anrufen und nach der Seriosität der Sammel-Organisationen fragen. Doch eine Emnid-Umfrage im Auftrag der Postbank zeigt, dass Betrüger leichtes Spiel haben. Nur 17 Prozent der Spender geben an, sich im Vorfeld genau über den Empfänger zu informieren. Jeder zehnte entscheide sogar ganz nach dem Bauchgefühl.
Auch der Landtagsopposition stößt die fehlende Gesetzesgrundlage sauer auf. „Wir haben uns damals gegen die Abschaffung des Sammlungsgesetzes gewehrt, da es durchaus eine Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger geboten hat“, sagt etwa Landtagsvizepräsidentin Christine Stahl (Grüne). Franz Schindler (SPD), Vorsitzender des Rechtsausschusses, fordert die Wiedereinführung eines Sammlungsgesetzes.
„Dafür sehe ich keine Notwendigkeit“, sagt dagegen CSU-Frau Petra Guttenberger. Denn das Gesetz habe den falschen Eindruck vermittelt, dass zuvor alle Spendensammler überprüft worden seien. Aber schon vor 2008 habe es Betrüger mit Sammelbüchsen gegeben, die einfach ohne behördliche Erlaubnis an den Haustüren geklingelt hätten. Die Vize-Vorsitzende des Rechtsauschusses betont: „Außerdem kann sich jeder Bürger bei einem Verdacht auf eine Straftat an die Polizei wenden.“ „Aber diese kann nur eingreifen, wenn sich tatsächlich ein Betrugsverdacht begründen lässt“, kontert der Augsburger Ordnungsreferent Volker Ullrich. Ohne Kontrollinstrument sei das nur schwer möglich.
Ullrich will nun beim Städtetag um Unterstützung für die Wiedereinführung des bayerischen Sammlungsgesetzes werben. „Bei der nächsten Sitzung im März werde ich das Thema ansprechen“, kündigt er an. „Denn in diesem Fall bedeutet ein Mehr an Bürokratie tatsächlich auch ein Mehr an Sicherheit.“
(Angelika Kahl)

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