Politik

Glück: "Der Papst kann nicht unabhängig von der Kurie entscheiden." (Foto: DAPD)

15.02.2013

"Gewiss gab es bittere Enttäuschungen"

Alois Glück, Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, über die Hintergründe des Papst-Rücktritts und Wünsche an den Nachfolger

Acht Jahre saß ein Bayer auf dem Heiligen Stuhl, nun hat Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt erklärt. Er sei zu schwach, um das hohe Amt weiter ausüben zu können. Ein Papst, der abdankt anstatt durch den Tod auszuscheiden, das gab es zuletzt im 13. Jahrhundert. Ein Ausdruck der Stärke oder der Schwäche? BSZ: Herr Glück, hat Sie die Rücktrittserklärung überrascht?
GLÜCK: Ja, sehr. Ich war von Donnerstag bis Samstag zu Gesprächen im Vatikan, und es hat nirgendwo ein Anzeichen einer solchen Entwicklung gegeben. BSZ: Haben Sie dort den Papst auch gesehen?
GLÜCK: Nein, aber ich habe mit Menschen gesprochen, die ihn in den Tagen vorher erlebt haben. Sie haben berichtet, dass die gesundheitlichen Beschwerden sichtlich zunehmen, dass es für ihn erkennbar schwieriger wird, das Amt auszuüben. BSZ: Ist der Rücktritt Ausdruck der Stärke oder der Schwäche Benedikts?
GLÜCK: Er ist Ausdruck einer großen Stärke und einer geistigen und geistlichen Souveränität – und er ist Ausdruck der körperlichen Schwäche. BSZ: Ist es nicht auch eine Kapitulation vor den Verhältnissen im Vatikan?
GLÜCK: Es hat sehr wahrscheinlich viele bittere Enttäuschungen gegeben, aber das ist meiner Überzeugung nach für den Diener Gottes Kardinal Ratzinger kein ausreichender Grund, aus einem solchen Amt zu gehen. BSZ: Der Rücktritt kann als souveräne Entscheidung des Menschen Benedikt gesehen werden, der nicht wie sein Vorgänger im Amt bleiben will, bis Gott ihn davon befreit. Ist das Amt damit ein wenig weltlicher geworden?
GLÜCK: Nein, es ist ein Amt, das gerade auch in dieser Entscheidung von diesem glaubenden Menschen als Diener Gottes verstanden wird, also absolut und jenseits jeglicher menschlicher Interessenslage im Dienst der Kirche. Aber es braucht dazu einen so eigenständigen, souveränen Denker wie Joseph Ratzinger, jemanden, der unabhängig davon handelt, ob er verstanden oder nicht verstanden wird.
 
BSZ: „Wir sind Papst“: So titelte 2005 die Bildzeitung. Viele Deutsche knüpften große Hoffnungen an den deutschen Papst.
GLÜCK: Die Parole „Wir sind Papst“ war ja nie eine kirchliche oder gläubige Reflexion, sondern mehr eine emotionale Identifikation mit dem Deutschen auf dem Stuhl Petri und Ausdruck des Stolzes. Theologische oder kirchliche Erwartungen waren damit sicher nicht verbunden. Als dann Entscheidungen kamen, die den emotionalen Erwartungen nicht entsprachen, kam – auch unreflektiert – eine Welle der Enttäuschung. BSZ: Wie autonom ist ein Papst eigentlich bei richtungsweisenden Entscheidungen?
GLÜCK: Der Papst hat natürlich eine prägende Wirkung, aber die meisten haben eine völlig falsche Vorstellung von einem autokratischen Alleinherrscher. In einer großen Gemeinschaft wie der Kirche gibt es viele Einflussfaktoren. Der Papst kann nicht unabhängig von der Kurie kirchliche Entwicklungen bestimmen, die würden dann im Alltag unterlaufen. BSZ: Angesichts mancher Pannen wie der um den Holocaust-Leugner Richard Williamson fragt man sich: Wäre es nicht besser, ein neuer Papst könnte seine eigenen Berater mitbringen?
GLÜCK: Bezogen auf die Piusbrüder wird ja auch in Rom von einer schlimmen Kommunikationspanne gesprochen, deren Opfer schließlich der Heilige Vater war. Das ist primär eine Folge der Strukturen. Alle Insider sagen, dass eine Reform der Strukturen und Arbeitsweisen der Kurie dringlich ist. BSZ: Welche Hoffnungen und Erwartungen an Papst Benedikt haben sich erfüllt?
GLÜCK: Papst Benedikt hat nach dem großen und beachteten Pontifikat seines Vorgängers die Kirche in einer anderen, aber nicht weniger bedeutenden Weise geführt. Er hat das Amt als großer Theologe ausgefüllt. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es Hoffnungen hinsichtlich der Weiterentwicklung der Kirche gab, die eher nicht zum Tragen kamen, dass viele das konservative Element in der Kirche gestärkt sahen. BSZ: Sie sagen, er hat die Kirche als Theologe geprägt – inwiefern?
GLÜCK: Exemplarisch dafür ist eines seiner Kernthemen, die Verbindung von Religion und Vernunft, das ist eine zentrale Thematik in der Welt von heute. Ich bin überzeugt, dass die große inhaltliche Dichte seiner Enzykliken, die bislang wenig beachtet wurden, längerfristig auch noch deutlich Wirkung haben wird. BSZ: Zu den nicht erfüllten Hoffnungen gehören die Erwartungen an die Ökumene.
GLÜCK: Die Beurteilung Benedikts hinsichtlich der Ökumene wird seinem Denken und Handeln nicht gerecht. Der Papst hat mit seinem Besuch im Erfurter Augustinerkloster, wo Martin Luther noch als Mönch gelebt hat, ein deutliches Zeichen gesetzt. Es ist die Tragik dieses Besuches, dass Benedikts Worte, Martin Luther sei ein Leben lang ein Gottsucher gewesen, so leider nur im internen Gespräch und nicht öffentlich formuliert wurden. In der Ökumene der Weltkirche hat Papst Benedikt besondere Akzente gesetzt im Dialog mit den orthodoxen Kirchen. BSZ: Wie groß ist da die Chance, dass mit einem neuen Papst Bewegung kommt in Fragen wie Zölibat, Frauenberufung oder Sexualmoral?
GLÜCK: Die Themen, die lehramtlich festgelegt sind, sind schwierig zu verändern. Trotzdem hat es immer wieder solche Veränderungen gegeben. Das Kernproblem aber, wie können wir den Menschen die Botschaft des Evangeliums besser zugänglich machen, wird durch Veränderungen in der Zölibatsfrage nicht gelöst. Das zeigt sich schon in der Situation der evangelischen Kirche. BSZ: Würden sich viele Probleme der Kirche nicht durch Strukturreformen von allein lösen?
GLÜCK: Das ist für manche notwendige Veränderung eine Voraussetzung, löst aber noch nicht die Kernprobleme. Aber es ist auch falsch, dass es einen Gegensatz gibt zwischen Reformen und Vertiefung des Glaubens. BSZ: Welche Reformthemen sollte ein neuer Papst angehen?
GLÜCK: Für die Weltkirche ist es jetzt das Wichtigste, im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils die Aufwertung der Ortskirchen rasch in Angriff zu nehmen. BSZ: Gäbe es dann für die Bischöfe auch mehr Autonomie in Fragen wie der Schwangerenkonfliktberatung?
GLÜCK: Das ist ein spezielles Thema. Ich hoffe, dass wir in absehbarer Zeit zu einer Überwindung der jetzigen Situation kommen, dass diejenigen, die sich für eine Beratung einsetzen, wie sie die Bischöfe über viele Jahre selbst getragen haben, nicht mehr ausgegrenzt werden. Darin liegt viel Unwahrhaftigkeit. (Interview: Anke Sauter)

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