Politik

Nicht ohne mein Smartphone, Tablet oder Notebook: Leidet darunter die parlamentarische Arbeit oder fördert die Technik die Transparenz? (Foto: dpa)

15.12.2017

Gezwitscher aus dem Plenarsaal

Die Nutzung technischer Geräte nimmt in deutschen Parlamenten stark zu – im Bundestag und in manchen Landtagen gibt es jetzt erste Einschränkungen

In Baden-Württemberg sind Geräte mit aufklappbarem Bildschirm verboten, im Bundestag kann ein Selfie sogar ein Ordnungsgeld nach sich ziehen. In Bayern starren zwar auch viele Abgeordnete auf ihr Smartphone. Noch belässt es Landtagspräsidentin Stamm aber bei Appellen an die Abgeordneten – das birgt auch Gefahren. Wischen, tippen, klicken: Bei der letzten Plenarsitzung vor der Weihnachtspause hatte fast jeder anwesende Abgeordnete entweder Smartphone, Tablet oder Laptop vor sich liegen. „Heute #Nachtragshaushalt 2018 im #Landtag vorgestellt: mit fast 60 Mrd € machen wir #Bayern solide, stark, innovativ, sozial und bodenständig“, twitterte Finanzminister Markus Söder, während Justizminister Winfried Bausback ein Foto von Söder am Rednerpult postete, welches von Florian Herrmann gleich geteilt wurde. Sie gehören zu den fleißigsten Social-Media-Nutzern bei den Konservativen.

Auch SPD-Twitterkönig Florian von Brunn und die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Schulze, kommentieren an diesem Tag wie so oft das Geschehen im Plenarsaal. Freie Wähler-Fraktionschef Hubert Aiwanger ärgert sich derweil über die Politik in Berlin: „#KoKo Niemand will mehr Verantwortung fürs Land übernehmen“, twitterte er. Mit im Schnitt 4,5 Tweets pro Tag zählt er zu den Landtags-Spitzenreitern.

„Gerade die sozialen Medien sind aber nicht wirklich für politische Debatten gedacht “, mahnt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Münchner Hochschule für Politik. Er sieht dabei die Gefahr, dass sich die Abgeordneten vom Hang zur Zuspitzung und damit zur Oberflächlichkeit anstecken lassen. „Außerdem entstehen Datenspuren, die vielleicht mehr über die Parlamentarier verraten, als ihnen lieb ist.“

Hinzu kommt: Die Redebeiträge der Abgeordneten werden durch die Nutzung der elektronischen Geräte meist nur noch von der eigenen Fraktion verfolgt. Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) mahnt bereits, mehr „ehrliches Interesse“ an den Wortbeiträgen zu zeigen. „Es sollte nicht dauernd in die Smartphones gestarrt werden, denn jeder am Rednerpult hat die Aufmerksamkeit der Kollegen verdient“, sagt sie der Staatszeitung. Elektronische Geräte, aber auch die Zeitungslektüre sollten die Plenardebatte nicht stören. Geahndet wurde bisher aber noch kein Fall.

Der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ist da strenger. In einem Schreiben an die Bundestagsabgeordneten hat er daran erinnert, dass technische Geräte nur „zurückhaltend“ genutzt werden dürfen. „Unzulässig ist die Nutzung von Geräten, die Geräusche erzeugen, aufgeklappt oder hochgestellt werden, insbesondere Computer-Laptops“, schrieb er. „Unangemessen“ und daher sogar „unerwünscht“ sei die Nutzung von Smartphones zum Fotografieren, Twittern oder Verbreiten von Nachrichten über den Plenarverlauf. Wolfgang Kubicki (FDP) hat als Bundestags-Vizepräsident bereits wegen eines Fotos mit einem Ordnungsruf gedroht. Ein solcher kann von einem Sitzungsausschluss bis zu einem Ordnungsgeld reichen.

Auf Twitter machten sich Nutzer sofort darüber lustig, dass Schäuble auf der Regierungsbank 2012 selber schon auf dem Tablet Sudoku gespielt hatte. Auch bei den Bundestagsabgeordneten kam das Schreiben nicht gut an. „Soziale Medien, richtig genutzt, sind das digitale Pendant zur Glaskuppel unseres Reichstags als Zeichen und Mittel der Transparenz“, erläuterte Dorothee Bär, CSU-Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Auf Anfrage heißt es aus dem Bundestag, der Präsident habe mit dem Schreiben lediglich auf eine bestehende Vereinbarung des Ältestenrats aus der letzten Legislaturperiode hingewiesen. Im Tagesspiegel sagte Schäuble, die, die „vorlaut“ twittern, sollten mal überlegen, wie das auf Bürger wirke, wenn Abgeordnete „alles machen, bloß nicht zuhören“.

Selfies während der Plenumssitzung

Zwar sorgt sich auch in Bayern Landtagspräsidentin Stamm um den Eindruck gegenüber den Besuchern. „Die Inhalte in den sozialen Medien dürfen nicht wichtiger werden als die Inhalte in unseren Sitzungen selbst“, betont sie. Stamm belässt es aber bei Appellen an das Selbstverständnis der Abgeordneten, Regelungen wie im Bundestag schließt sie aus. Sie und die Vizepräsidenten hätten im Rahmen der Sitzungsleitung ausreichend Möglichkeiten, die Abgeordneten zu ermahnen und ihre Aufmerksamkeit auf die Debatte zu lenken.

Reformbedarf sehen auch die Landtagsfraktionen nicht. „Nachdem ich den Eindruck habe, dass meine Kollegen im Großen und Ganzen verantwortungsvoll damit umgehen, sehe ich aktuell weder für uns noch für den gesamten Landtag Regelungsbedarf“, sagt Josef Zellmeier, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Fraktion. Und: „Zu den Aufgaben eines Abgeordneten gehört natürlich auch, Presse und Öffentlichkeit durch ein Foto oder einen Kommentar schnell und authentisch direkt vom Ort der Entscheidung aus zu informieren.“

„Einer der CSU-Kollegen hat mal während einer Plenumssitzung mit Hilfe eines Selfie-Sticks ein Photo von sich geschossen“, erinnert sich SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. „Das geht aus meiner Sicht dann doch zu weit.“ Ansonsten habe aber auch er kein Problem damit, wenn aus den Plenarsitzungen getwittert werde. „Moderne Medienarbeit“, nennt er das.

FW-Chef Aiwanger nervt es nicht einmal, wenn er im Plenum spricht und die Kollegen auf ihrem Smartphone rumspielen. „Der technische Fortschritt lässt sich hier nicht aussperren“, sagt er der BSZ. Statt Twittern wie Schäuble zu verbieten, muss laut Aiwanger eher mehr kommuniziert werden. „Ich möchte meine Freunde auf Facebook regelmäßig informieren, was ich politisch aktuell mache oder wie andere Parteien auf unsere Vorstöße reagieren.“

Grünen-Chefin Schulze sieht ebenfalls keinen Änderungbedarf. „Es gibt eine Geschäftsordnung, die das Verhalten regelt – beispielsweise, dass man zum Telefonieren den Plenarsaal verlässt“, erklärt sie. Ein Twitter-Verbot hält sie im Sinne einer transparenten Politik für schädlich: „Ich möchte, dass die Bürger mitbekommen, was wir im Landtag tun, worüber wir in den Plenarsitzungen und in den Ausschüssen sprechen.“ Wenn etwas geändert werden sollte, dann dass für wichtige Ausschuss-Anhörungen ein Live-Streaming angeboten wird.

Andere Landtage nehmen sich den Bundestag ebenfalls nicht zum Vorbild. In Hessen gibt es keine Vorschriften für die Nutzung technischer Geräte. „Änderungen hieran, soweit diese überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wären, sind momentan nicht geplant“, heißt es auch aus Thüringen. Strenger ist nur Baden-Württemberg. „Laptops und andere Geräte, die einen aufklappbaren Bildschirm haben, dürfen nicht verwendet werden“, sagt Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) der BSZ. Selig, wer ein Tablet hat.

Die Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche (Grüne) nimmt das Twitter-Verbot in Berlin derweil mit Humor. „Ehrlich gesagt haben wir ohnehin das Problem, dass es im Bundestag kein WLAN gibt“, twitterte sie nach Schäubles Schreiben. Tatsächlich ist derzeit noch nicht einmal klar, wann dieses einsatzbereit sein soll. „Im #Bundesrat“, zwitscherte deren Social-Media-Team daraufhin frech, „gibt es noch kein Twitterverbot, dafür #WLAN“. (David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Staatsbürger2.0 am 15.12.2017
    Es gibt viel an Frau Merkel auszusetzen - aber dass sie diesen Unfug nicht mitmacht, rechne ich ihr hoch an.
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