Politik

Im Dorfladen einzukaufen, ist den meisten Bürgern nicht so wichtig, dass sie die höheren Preise in Kauf nehmen. (Foto: dpa)

26.08.2016

Großmarkt oder Tante-Emma-Laden?

Die Staatsregierung will Gemeinden ermöglichen, künftig mehr Einkaufszentren auf der Grünen Wiese zuzulassen

Das Anbindegebot sorgt wieder mal für Zoff. Bei dem sperrigen Begriff geht es um „einen sinnvollen Grundsatz in der Landesplanung, um ,amerikanische Verhältnisse’ des ungezügelten Flächenverbrauchs zu vermeiden“, erläutert Peter Kammerer, Bereichsleiter Volkswirtschaft der IHK für München und Oberbayern. Gewerbe- und Industriegebiete dürfen demnach nur in der Nähe von Ortschaften gebaut werden.

Markus Söder will diese Zügel jetzt lockern und das Anbindegebot im Landesentwicklungsprogramm (LEP) weniger strikt formulieren. „Ziel ist eine Stärkung des ländlichen Raums“, sagt der Finanz- und Heimatminister. Lokalpolitiker sollen künftig mehr Entscheidungsspielraum vor Ort haben. „Die Kommunen wissen selbst am besten, wie sie die regionale Wirtschaft stärken können“, sagte Söder der Staatszeitung.

Die Verbraucher haben sich längst entschieden

Grundsätzlich begrüßen die bayerischen Industrie- und Handelskammern diesen Vorstoß. „Viele Gemeinden können sich aufgrund des Anbindegebots nicht bedarfsgerecht entwickeln“, sagt Kammerer. Er nennt das Altmühltal im Landkreis Eichstätt als Beispiel mit seiner Tallage und zahlreichen Natur- und Hochwasserschutzvorgaben. Manchmal sei das Anbindegebot sogar kontraproduktiv: „Wieso soll ein Logistikstandort mit viel Lkw-Verkehr an ein Siedlungsgebiet grenzen müssen, wenn er direkt an der Autobahn entstehen könnte? Dort gäbe es viel weniger Konflikte“, so Kammerer. Unterscheiden möchten zahlreiche Experten allerdings zwischen reinen Gewerbestandorten und Gewerbegebieten mit Einkaufsmöglichkeit. „Der Handel auf der grünen Wiese war und ist kein Zukunftsmodell für Bayern“, sagt Kammerer. Richard Mergner vom Bund Naturschutz in Bayern warnt: „Die Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs für Menschen ohne Auto hat sich in Bayern ohnehin schon verschlechtert.“ Und auch Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag, unkt: „Wo sich Discounter in Gewerbegebieten auf der vormals grünen Wiese ansiedeln, ist Tante Emma tot.“ Für Tante Emmas bisherige Kunden hieße das: Wer auf fußläufige Versorgung angewiesen ist, wird sich auf dem Land bald nicht mehr mit täglich benötigten Lebensmitteln versorgen können.

Allerdings werden sich althergebrachte Tante-Emma-Läden in der Fläche auch durch landesplanerische Maßnahmen nicht erhalten lassen. Die Verbraucher haben hier längst mit den Füßen abgestimmt und fahren mehrheitlich lieber in die Großmärkte. Dort findet man immer einen Parkplatz, trifft auf ein großes Sortiment und niedrige Preise. Zudem kann man mittlerweile immer mehr frische und gekühlte Lebensmittel im Internet bestellen und liefern lassen.

Drohen amerikanische Verhältnisse?

Muss sich Oma auf dem Land also doch auf amerikanische Verhältnisse umstellen? Click & Collect statt Ratsch an der Kasse? Bei der letzten Reform des LEP hieß der zuständige Minister noch Martin Zeil (FDP). Warum hat er das Anbindegebot für Supermärkte damals nicht gelockert? „Weil es Bayerns Struktur komplett verändern würde“, ist sich Zeil sicher. Söders Vorhaben sei ein „landesplanerischer Offenbarungseid“. Auch Thorsten Glauber, wirtschaftspolitischer Sprecher der Freie-Wähler-Landtagsfraktion, will „verhindern, dass das Gesicht unserer Kommunen derart nachteilig verändert wird und es dabei auch noch zu einem regelrechten Wettstreit um die schnellstmögliche Ansiedlung neuer Gewerbegebiete kommt“. Glaubers Kollegin Annette Karl von der SPD war das Thema jetzt wichtig genug, eine Pressekonferenz einzuberufen. Das Anbindegebot zu lockern, sei gar nicht nötig. Es gebe bereits genügend Ausnahmen. Karl warnt vor weiteren „lärmenden Freizeitparks wie Go-Kart-Bahnen und Schwimmbädern mitten in der Natur.“

Die Kommunen vor Ort müssen solche Projekte allerdings erst einzeln beschließen. Markus Söders Gesetzesnovelle weicht das landesweite Gebot zwar auf – das letzte Wort haben aber immer noch Gemeinderäte und Kreistage. Und im Übrigen protestierende Bürgerinitativen. Die Lockerungsgegner hegten offenbar „ein tiefes Misstrauen gegenüber Kommunalpolitikern“, spottet der Wirtschaftsausschussvorsitzende Erwin Huber (CSU). Sein Parteifreund Söder entspreche nur den Wünschen der Gemeinden nach mehr Entscheidungsfreiheit. (Jan Dermietzel)

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