Seit elf Jahren hat Günter Weiglein Schmerzen. Es sind die Folgen eines Motorradunfalls, den der Würzburger nicht verschuldet hat, unter denen er aber immer noch leidet. „Vor allem abends“, klagt Weiglein, „sind die Schmerzen kaum zu ertragen.“ Klassische Schmerzmittel würden ihm zwar helfen, aber die Nebenwirkungen seien so stark, dass er kaum schlafen könne.
Was Weiglein aber durchschlagend hilft, ist Cannabis. Das Problem: Die Kosten. Der 50-Jährige hat eine Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle, was bedeutet, dass er zu den 371 Bürgern gehört, die aus der Apotheke Hanfblüten beziehen dürfen. Zwei Gramm braucht er täglich, pro Monat müsste er knapp 900 Euro zahlen. Geld, das Weiglein nicht hat.
Mit fünf anderen Cannabis-Schmerzpatienten ging er deshalb vor Gericht und klagte darauf, seinen Hanf selbst anbauen zu dürfen. Im vergangenen Jahr gab ihm das Kölner Verwaltungsgericht Recht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Hanf anbauen darf Weiglein also noch nicht, und aller Voraussicht nach wird es dazu auch nicht mehr kommen.
Marlene Mortler (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, hat vor Kurzem ein Gesetz angekündigt, das ab 2016 schwerkranken Patienten den Zugang zu Cannabis erleichtern soll. Außerdem sollen die Krankenkassen die Kosten für die Hanf-Behandlung übernehmen. Die Frage nach dem Eigenanbau hätte sich damit erledigt.
Als einen „längst überfälligen Schritt“ kommentierte Grünen-Chef Cem Özdemir das Gesetzesvorhaben, und so sehen es viele: Parteipolitiker, Mediziner, und nicht zuletzt die Öffentlichkeit. Schon im vergangenen Jahr sprachen sich in einer Umfrage 82 Prozent der Deutschen dafür aus, Cannabis zu medizinischen Zwecken zuzulassen. „Ich stehe dem Vorschlag grundsätzlich positiv gegenüber“, sagt auch Max Kaplan, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer. Im bayerischen Landtag stößt die Initiative ebenfalls auf breite Zustimmung. „Ich halte den Weg für richtig“, erklärt CSU-Politiker Bernhard Seidenath, Vorsitzender des Arbeitskreises Gesundheit und Pflege. „Cannabis“, so Karl Vetter, gesundheitspolitscher Sprecher der FW, „kann gerade für chronisch kranke Menschen ein effektives Mittel zur Schmerzlinderung darstellen.“ Und Ulrich Leiner, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, sieht in dem Vorhaben „einen ersten Schritt in die richtige Richtung“. Einig sind sich die Parteien auch darin, dass der medizinische Einsatz nur unter strengen Auflagen möglich sein soll. „Missbrauch muss ausgeschlossen werden“, betont Vetter.
Einigkeit im Landtag
Cannabis ist eine sehr alte Heilpflanze. Im 3. Jahrtausend v. Chr. empfahl ein chinesischer Kaiser das Harz als Mittel gegen Verstopfung, Gicht und Frauenkrankheiten. Die Ägypter verwendeten es gegen entzündete Zehennägel und zur Durchspülung des Enddarms. Ähnlich vielfältig sind die modernen medizinischen Einsatzmöglichkeiten der Hanfpflanze. Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), die beiden wesentlichen Cannabis-Inhaltsstoffe, wirken schmerzlindernd, entzündungshemmend und nervenschützend. Bei Patienten mit Multipler Sklerose hilft Cannabis, spastischen Lähmungen vorzubeugen, bei Aids- und Chemo-Patienten mildert es Erbrechen und Übelkeit. Aber auch bei der Behandlung des Tourette-Syndroms, von ADHS, Grünem Star, Epilepsie und entzündlichen Darmerkrankungen wurde eine positive Wirkung beobachtet.
Gut erforscht ist Cannabis in der Schmerztherapie. „Wir setzen Cannabis schon seit einigen Jahren ein und haben damit auch gute Erfahrungen gemacht“, sagt Wolfgang Luppa vom Schmerzzentrum München. Der Arzt warnt jedoch vor überzogenen Erwartungen. „Cannabis ist kein Wundermittel, ein Patient wird nicht schmerzfrei, nur weil er jetzt auf einmal THC bekommt“, sagt er. Cannabis hat sich jedoch als Begleitmedikament bei der Schmerztherapie bewährt. „Wir können, wenn der Patient Cannabis gut verträgt, oft die Dosis der Opiate senken“, sagt Luppa. „Außerdem hilft Cannabis gut bei Schlafstörungen, es entkrampft und steigert so das Wohlbefinden der Schmerzpatienten.“
Ärztekammer-Präsident Max Kaplan selbst hat noch kein Cannabis-Präparat verschrieben, die Kollegen der Gemeinschaftspraxis, in der er als Arzt tätig ist, hingegen schon. „Ich kann bestätigen, dass Cannabis bei bestimmten Indikationen zu einer Verbesserung der bisherigen Therapie beiträgt“, sagt er. Dennoch, vor der Behandlung müsse eine genaue Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden. „Cannabis hat auch Nebenwirkungen, es können zum Beispiel psychische Störungen oder physische Störungen wie Herz-Kreislauf-Probleme auftreten. Und Cannabis hat ein Sucht-Potenzial, das nicht außer Acht gelassen werden darf.“
2011 wurde das erste und bisher einzige Medikament auf Cannabis-Basis zugelassen, das Mundspray Sativex, das bei Multipler Sklerose Spasmen und Lähmungen verhindert und gegen Übelkeit und Erbrechen hilft. Die Krankenkassen erstatten die Kosten, allerdings nur bei der Therapie für Multiple-Sklerose-Patienten. Der Arzt darf Sativex auch für andere Beschwerden per Betäubungsmittelrezept verschreiben, dann aber müssen die Patienten die Kosten von bis zu 1000 Euro im Monat selbst tragen. Viele können sich das nicht leisten.
Für welche Fälle genau das geplante Gesetz eine Kostenübernahme der Krankenkasse vorsieht, ist noch unklar. Die Drogenbeauftragte hat sich, wie auch der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), bisher nur vage zur Ausgestaltung geäußert. „Es ist nicht ganz einfach, eine Abgrenzung hinzubekommen, die nur denjenigen hilft, die das Cannabis auch tatsächlich dringend brauchen“, so Mortler.
Franjo Grotenhermen, Arzt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, ist davon überzeugt, dass das Gesetz enge Grenzen setzen wird. „Ziel des Gesetzes ist es primär, den Eigenanbau von Hanf, den sich einige Patienten erstritten haben, zu verhindern“, sagt er der Staatszeitung. Positiv sei jedoch: „Das geplante Gesetz holt Cannabis als Medizin endgültig aus der Schmuddelecke“, so Grotenhermen. „Und das wird ja auch langsam Zeit.“ (Beatrice Ossberger)
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