Politik

Der Erste Senats des Bundesverfassungsgerichts verkündet das Urteil über die Rechtmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen. (Foto: Uli Deck/dpa)

05.11.2019

Hartz-IV-Sanktionen zu drastisch

Mit Leistungskürzungen bringen die Jobcenter Hartz-IV-Bezieher auf Linie. Wer nicht mitzieht, bekommt weniger Geld. Nun ist klar: Das verstößt zum Teil gegen das Grundgesetz, urteilt das Verfassungsgericht

Die monatelangen Leistungskürzungen für Hartz-IV-Bezieher, die ihren Pflichten nicht nachkommen, sind teilweise verfassungswidrig und müssen ab sofort abgemildert werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Vorübergehende Leistungsminderungen seien zwar möglich, sagte Vizegerichtspräsident Stephan Harbarth am Dienstag bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Die derzeitige Ausgestaltung werde den strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit aber nicht gerecht. (Az. 1 BvL 7/16)

Nach dem Prinzip "Fördern und Fordern" disziplinieren die Jobcenter unkooperative Hartz-IV-Empfänger, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehen. Wer ein Jobangebot ausschlägt oder eine Fördermaßnahme ablehnt, läuft Gefahr, dass ihm 30 Prozent des sogenannten Regelsatzes gestrichen werden. Wer innerhalb eines Jahres mehrfach negativ auffällt, verliert 60 Prozent oder sogar das gesamte Arbeitslosengeld II, auch die Kosten für Unterkunft und Heizung. Ist eine Sanktion einmal verhängt, gilt sie immer drei Monate.

"Der Gesetzgeber schafft hier für die betroffenen Menschen, denen dann ein Teil des Existenzminimums fehlt, eine außerordentliche Belastung", sagte Harbarth. Eine Minderung um 60 oder gar 100 Prozent sei nicht zumutbar. 30 Prozent dürfen nach seinen Worten weiterhin gestrichen werden. Die Jobcenter können aber ab sofort je nach Einzelfall darauf verzichten. Außerdem darf die Kürzung nicht volle drei Monate aufrechterhalten werden, wenn der Betroffene sich einsichtig zeigt. Der Gesetzgeber muss die Vorschriften überarbeiten.

Wirkung der Sanktionen nicht umfassend untersucht

Laut Harbarth spielte für den Senat eine entscheidende Rolle, dass die Wirkung der Sanktionen mehr als 14 Jahre nach Einführung von Hartz IV immer noch nicht umfassend untersucht ist. Es gebe viele offene Fragen. Die Entscheidung der Richter kam einstimmig zustande.

Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte nach dem Urteil ein neues System der Arbeitslosenversicherung, "das Sicherheit gibt und die Angst vor sozialem Absturz nimmt". "Hartz IV stürzt Menschen und ihre Familien ins Bodenlose", schrieb er auf Twitter.

In dem Verfahren ging es nicht um kleinere Verfehlungen wie einen verpassten Termin beim Amt, die mit einer zehnprozentigen Kürzung geahndet werden. Überprüft wurden auch nicht die besonders scharfen Sanktionen für junge Hartz-IV-Empfänger unter 25 Jahren.

Das Urteil geht zurück auf eine Vorlage des Sozialgerichts im thüringischen Gotha. Die Richter dort hatten eines ihrer Verfahren ausgesetzt, um die Vorschriften vom Bundesverfassungsgericht unter die Lupe nehmen zu lassen. In dem Fall musste ein Arbeitsloser mit 234,60 Euro weniger im Monat auskommen, weil er beim Jobcenter Erfurt ein Stellenangebot abgelehnt und Probearbeit verweigert hatte.

Der Hartz-IV-Satz für einen alleinstehenden Erwachsenen liegt derzeit bei 424 Euro. Zum 1. Januar steigt er auf 432 Euro.
(dpa)

Bayern sieht Hartz-IV-Prinzip auch nach Karlsruher Kritik bestätigt Trotz der Karlsruher Kritik an den Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger sieht die bayerische Staatsregierung keinen grundsätzlichen Bedarf zum Umdenken. "Auch nach dem Urteil gilt weiterhin der Grundsatz des Förderns und Forderns. Das ist das Wichtigste! Denn wenn eine verweigerte Mitwirkung keine Folgen hat, läuft das System leer", sagte Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU).

Das Bundesverfassungsgericht habe im Grundsatz bestätigt, dass der Gesetzgeber die Hilfe an Bedingungen und zumutbare Mitwirkungspflichten knüpfen und für den Fall der Verletzung Sanktionen festlegen dürfe, so Schreyer. Damit die Jobcenter die Fälle ausreichend prüfen können, brauche es mehr Personal. Hier sei der Bund in der Pflicht. (dpa)

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