Politik

Die totale Überwachung ist in China immer weiter auf dem Vormarsch. (Foto: dpa/Qnb)

06.12.2019

Heikle Geschäfte

Deutschland steht in der Kritik wegen seiner China-Beziehungen – doch das ist nicht der einzige Unrechtsstaat

Autokratien sind weltweit auf dem Vormarsch. Wer zum Beispiel in der Türkei nicht macht, was Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will, hat es schwer. Auch in China läuft nichts ohne den Segen der kommunistischen Partei. Kann man mit Blick auf die Menschenrechtsverletzungen mit solchen Ländern Handel treiben? Eine heikle Frage, denn eine Exportnation wie Deutschland und speziell der Freistaat Bayern leben von der globalen Nachfrage. Immerhin summierten sich 2018 die bayerischen Exporte auf 190,55 Milliarden Euro. Die Volksrepublik ist nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner des Freistaats.

Vor Kurzem wurde bekannt, dass rund eine Million Uiguren, Kasachen und andere muslimische Minderheiten im Nordwesten Chinas in „Umerziehungscamps“ inhaftiert sind. Das geht aus den „China Cables“ hervor, die jüngst vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) publiziert wurden. Die Dokumente wurden zwischen 2017 und 2018 verfasst und einer Vereinigung von 17 internationalen Medien zugespielt, darunter der Süddeutschen Zeitung und dem britischen Guardian. Den „China Cables“ zufolge soll ein Punktesystem aus Belohnungen und Bestrafungen die Insassen der Lager auf Linie bringen. Mittels allgegenwärtiger Videoüberwachung und verpflichtender Handy-Apps sammele das chinesische Regime auch Unmengen persönlicher Daten der muslimischen Minderheiten.

Ausgerechnet Siemens soll hieran beteiligt sein. Denn der Münchner Technologiekonzern, der auch eine Niederlassung in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang hat, unterhält eine Technologiepartnerschaft mit dem chinesischen Militärunternehmen China Electronics Technology Group Corporation (CETC). In diesem Zusammenhang hatte Human Rights Watch berichtet, dass CETC eine der Technologien bereitstellt, die zur Massenüberwachung in der Provinz Xinjiang eingesetzt wird.

Siemens gibt sich wortkarg

Siemens spielt seine unrühmliche Rolle herunter: Der Tagesspiegel zitiert das Unternehmen mit der Aussage, es gebe „keine etwaigen menschenrechtlich nachteiligen Auswirkungen im Sinne der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte“. Mit Blick auf Xinjiang sagte Siemens der Staatszeitung: „Uns ist nicht bekannt, dass dort Mitarbeiter unter Zwang arbeiten.“

Der Autobauer VW wiederum wurde sehr wohl aktiv, als ihm die Politik im Produktionsland zunehmend missfiel. Allerdings entpuppte sich die Ethik-Offensive als Augenwischerei: Nach der Syrien-Offensive der Türkei stoppte der Wolfsburger Konzern die Pläne für ein neues VW-Werk im westanatolischen Manisa. Fakt ist jedoch, dass der Autokonzern sehr wohl in der Türkei investiert – über seine Münchner Lkw-Tochter MAN.

Am 4. Oktober 2019, also fünf Tage vor der Syrien-Offensive, feierte der türkische Industrie- und Technologieminister Mustafa Varank das Engagement von MAN bei einem Empfang in der deutschen Botschaft in Ankara: „Mit der Neuinvestition in Höhe von 452 Millionen türkischen Lira (umgerechnet gut 70 Millionen Euro) sollen 700 Arbeitsplätze geschaffen werden.“ Es geht um den Ausbau des MAN-Standorts Ankara. Dort ist der Lastwagenbauer bereits seit 1966 aktiv. „Ankara ist für MAN ein sehr wichtiger Produktionsstandort“, sagte ein MAN-Sprecher der Staatszeitung.

Kritisch kann man auch das Engagement der Nürnberger Messegesellschaft in Brasilien sehen. 2009 erwarb die Messe den brasilianischen Messeveranstalter Nielsen Business Media Brasil und kreierte daraus die Nürnberg Messe Brasil. Doch angesichts der von Brasiliens neuem Präsidenten Jair Bolsonaro geförderten massiven Abholzung des Regenwalds und der damit verbundenen Vertreibung der indigenen Bevölkerung stellt sich die Frage, ob das Messe-Engagement noch zu halten ist.

Konfrontiert mit den Vorwürfen, sagt Messegeschäftsführer Roland Fleck, dass man in Brasilien durchaus auf Nachhaltigkeit setzte: etwa über die Öko-Fachmesse „Biofach America Latina“ oder die Elektro-Mobilitätsmesse „VE Latino Americano“ und das Festival „Bike Brasil“. Man sei „fest überzeugt, auf diese Weise einen deutlich besseren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung und für das Klima in Brasilien, Südamerika und weltweit zu leisten als durch einen Rückzug von dort“, argumentiert Fleck.

China, die Türkei und Brasilien sind aber nur einige Beispiele. Auch andernorts werden Menschenrechte verletzt – in Saudi-Arabien, Ägypten, Russland, Kasachstan oder Togo. Trotzdem treibt Deutschland mit diesen Ländern Handel.

Ist das nur deshalb in Ordnung, weil es um Arbeitsplätze geht? Oder sollten Firmen dort den Rückzug antreten beziehungsweise Investitionspläne auf Eis legen?

Für die an der Uni Erfurt lehrende Wirtschaftsethikerin Karen Horn ist die Sache klar: Ein Unternehmen müsse dann Konsequenzen ziehen, wenn Menschen, die dem Regime in dem betreffenden Land unangenehm auffielen, Verfolgung, Gefängnis oder Zwangsarbeit drohten. „Dann kommen wir an einen Punkt, an dem die Grenze überschritten ist. Dann wäre das auch ein Verstoß gegen deutsches Recht. Dann muss gehandelt werden.“

Mit Blick auf weitverbreitete Menschenrechtsverstöße wäre hier eine Vielzahl deutscher Unternehmen betroffen, die in Unrechtsregimen aktiv sind. Auch die Bundesregierung wäre gefordert. Tatsächlich geschieht bislang: nichts. (Ralph Schweinfurth)

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