Politik

Kinder können in den Sommerferien jonglieren, Einrad fahren oder an Zirkusworkshops teilnehmen – pauken steht nicht auf dem Programm. (Foto: dpa/Nicolas Armer)

17.07.2020

Her mit der Summer School!

Statt Bayerns Schulkindern die Möglichkeit zu geben, coronabedingt verpassten Stoff nachzuholen, gibt es Freizeitspaß

Viel wurde verpasst in diesem Jahr, manches verpatzt. Vor allem Schülerinnen und Schüler haben merkwürdige, manche auch: schlimme Zeiten hinter sich. Ein bisschen Ausgelassenheit und Sommerferienfreiheit, sollte man meinen, hat sich der Nachwuchs mehr als verdient.

Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) sieht das ähnlich: Statt die Ferien in eine Art Lerncamp zu verwandeln und ein Nachholprogramm für Schulstoff aufzulegen, setzt er auf Freizeit. Zusammen mit dem Bayerischen Jugendring wurde ein Sonderprogramm Ferienangebote aus dem Boden gestampft. Profitieren sollen Eltern von Erst- bis Sechsklässlern, die ihren Jahresurlaub bereits aufgebraucht haben, um die Kinder durch die Krise zu bringen.

Rund 7000 Eltern, heißt es, hätten Bedarf, weshalb eine interaktive Landkarte Bayerns eingerichtet wurde, auf der Eltern ein wohnortnahes Angebot für ihre Kinder auswählen können (www.bjr.de/ferienportal). Geboten sind wie in anderen Jahren auch Spielmobile, die zum Jonglieren einladen, zu Einradfahren und Zirkusworkshops. Es gibt Ferienpässe für unterschiedliche Aktionen, Schatzsuchen und eine Übernachtungswoche, ganz exklusiv für Mädchen.

Ferienprogramm also. Freizeitspaß. Was nicht geboten ist: Nachhilfe in den Kernfächern. Nebenfachunterricht. Arbeit an individuellen Schwächen. Die Ferien: Sie sind hierzulande noch immer sakrosankt. Während man in Baden-Württemberg die letzten beiden Ferienwochen für freiwillige Lern- und Förderkurse reserviert hat und so den Schülern eine Chance geben will, coronabedingte Lernlücken zu schließen, stoßen in Bayern ähnliche Überlegungen auf Ablehnung. Stark gemacht für eine Sommerschule hatte sich allerdings die Fraktion der Grünen: Sie wollte ein Konzept Sommerschule 2020 auf den Weg bringen, die schulische und freizeitpädagogische Angebote umfasst. Begründung: Die Bildungsschere habe sich in der Corona-Krise weiter gespreizt, Probleme innerhalb der Familien hätten sich potenziert. Um die Teilhabe benachteiligter Schulkinder nicht zu gefährden, der sozialen Kluft entgegenzuwirken und Familien in Problemlagen zu helfen, müssten die Schulen auch in den Sommerferien geöffnet werden.

Nur die Grünen und die FDP wollen Lernangebote – dabei wären die sehr nötig

Auch die FDP findet: „Die Sommerferien hätte man sinnvoller und effektiver nutzen können, um mit den Schülern Lehrstoff nachzuholen.“ Matthias Fischbach, Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtags-FDP, vermutet: „Offenbar scheut man im Kultusministerium den Widerstand der Lehrer – und die mit einem pädagogischen Summer-School-Programm verbundenen Kosten.“

Wo er recht hat, hat er recht: Die Lehrer*innen sind wenig erpicht darauf, nach einem Schuljahr, das ihnen Erhebliches abverlangt hat, auch noch die wohlverdienten Ferien auszuschlagen.

„Wir haben auch Familie, jeder Mensch hat eine Entspannungsphase verdient“, sagt Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Und überhaupt: Wie fühle sich ein 15-Jähriger, der Mathe pauken muss, während seine Freunde entspannt am See liegen? Die Freizeitangebote nennt die BLLV-Vorsitzende einen „richtigen Schritt“. Und legt ihr Augenmerk weniger auf entstandene Lernlücken als auf die sozial-emotionale Entwicklung der Schüler, die in den vergangenen Monaten auf der Strecke geblieben sei. „Das Zusammensein in der Gruppe ist für Kinder und Jugendliche ein ganz wesentlicher Baustein, um auch die kognitive Entwicklung zu fördern.“ Nimmt man an Freizeitangeboten teil, kann man immerhin in dieser Hinsicht auftanken. Nötig ist das allemal. Nur als Beispiel: Auch im kommenden Schuljahr sind bis Januar sämtliche Klassenfahrten gestrichen.

Auch Henrike Paede, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Elternverbands, freut sich über die freizeitpädagogischen Angebote und findet: „Lernen bedeutet nicht nur Pauken. Wenn schon in der Phase der Fernbeschulung nur ‚kopfmäßig‘ gelernt wurde, sollen die Kinder in den Ferien informell lernen, in der Natur, im Museum, körperlich, sozial, durch Erlebnisse und Erfahrungen ...“

Breite Akzeptanz also für den Regierungsbeschluss, die Ferien als solche nicht anzutasten. Statt sich ein wenig mit Schulstoff auszupolstern, bevor Corona im Spätsommer womöglich neue Blüten treibt, hofft man, entstandene Wissenslücken mithilfe zusätzlicher Förderangebote im neuen Schuljahr bis zu den Herbstferien aufholen zu können. Fast schon poetisch werden diese ersten Wochen als „Phasen des Ankommens“ bezeichnet. Die Landtagsfraktion der Freien Wähler („Ferien sind unserer Meinung nach auch und gerade in dieser Zeit immer noch Ferien“) begrüßt diese Brückenangebote. Und verweist darauf, dass Schulen bei Bedarf auch die letzte Sommerferienwoche für Förderangebote reservieren könnten. Und die CSU („Ferien sind mit Erholung und Freizeit verbunden – nicht mit Pauken“) bekräftigt das Vorhaben, mit Schulbeginn im Herbst loszulegen.

Ob das ausreicht? Skepsis ist durchaus angebracht. Vieles spricht dagegen, dass die Zeit nach den Sommerferien in irgendeiner Weise normal verläuft. Da sind die Urlaubsrückkehrer, die das Virus abermals über die Grenzen tragen könnten. Da sind die Lockerungen, die zu erneuten, mindestens lokalen Ausbrüchen führen werden. Und da sind vor allem die sinkenden Temperaturen, die zum Drinhocken zwingen, was Ansteckungen sehr viel wahrscheinlicher macht. Und die Luft in Klassenzimmern und Turnhallen, das weiß man ja, ist bei geschlossenen Fenstern auch ohne Corona-Gefahr eine Zumutung.

Schön handfest darum erscheint der jüngste Vorschlag von Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Er empfiehlt den Schulen, die Sommerferien dafür zu nutzen, Schulgebäude in Sachen Belüftung und Klimaanlagen zu optimieren. Geschieht dies nicht, wird man sich in mehrfacher Hinsicht warm anziehen müssen, wenn das neue Schuljahr beginnt. (Monika Goetsch)

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