Politik

Ihre Gehälter zahlt der bayerische Staat: Kardinal Reinhard Marx und Bischof Heinrich Bedford-Strohm. Foto: dapd

04.11.2011

Hinkendes Verhältnis

Staatsgelder für die Kirche: Die Kritik an den finanziellen Leistungen für Kirchenobere wächst

Seit dieser Woche haben die evangelischen Christen in Bayern einen neuen Landesbischof. Heinrich Bedford-Strohm hat seine Theologie-Professur an der Uni Bamberg gegen den Bischofsstuhl getauscht. Eines aber hat sich damit nicht geändert: Bedford-Strohms Gehalt zahlt weiterhin der bayerische Staat.
Was immer noch nicht jeder weiß: Der Steuerzahler – ob konfessionslos oder Angehöriger einer anderen Religion – finanziert die Gehälter der katholischen und evangelischen Kirchenleitungen. Auch das Geld für geistliches Personal und den Unterhalt von Kirchen kommt aus der Staatskasse. Rund 460 Millionen Euro haben die Bundesländer 2010 den christlichen Kirchen bezahlt. Allein der Freistaat hat den Kirchen in Bayern über 87 Millionen Euro überwiesen. Mehr als 65 Millionen Euro gingen an die Katholiken. Und mit der Kirchensteuer hat dieses Geld absolut nichts zu tun.


Säkularisation – die teuerste Enteignung der Geschichte


Seit mehr als 200 Jahren leistet der Staat diese sogenannten Dotationen. Sie sind Entschädigungszahlungen für die Säkularisation im Zeitalter Napoleons. Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 regelte diese Ersatzleistungen für die Enteignung kirchlichen Eigentums. Im Freistaat trat 1924 das Bayerische Konkordat in Kraft. Kaiserreich, Weimarer Republik und sogar Hitler zahlten. Seit 1949 beliefen sich die Staatsleistungen auf insgesamt 14 Milliarden Euro, rechnet der Kirchenrechtler Carsten Frerk vor. Kritiker sprechen von „der teuersten Enteignung der Geschichte“. Der katholische Regensburger Bischof Ludwig Müller konterte 2010: „Der heutige Staat als Rechtsnachfolger der damaligen absolutistischen Fürstenstaaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts zieht allerdings noch viel Gewinn aus den übernommenen Kirchengütern.“
„Man könnte aber auch umgekehrt die Frage stellen, wofür die Kirche eigentlich entschädigt werden soll“, gibt der Münsteraner Kirchenrechtler und Soziologe Horst Herrmann zu Bedenken. Er verweist auf die Methoden, mit denen die Kirche im Mittelalter und der frühen Neuzeit an ihr Vermögen gekommen ist: darunter Betrug und Verbrechen. Dazu kommt: „Im Vertrag von 1803 steht, dass man die damaligen Fürstbischöfe lediglich bis zu ihrem Tod dotieren wollte. Er sollte nie 200 Jahre lang gelten.“
Selbst Staatskirchenrechtler wie der Bonner Christian Waldhoff, der zwar die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit des Vertrages anerkennt, sieht einen Legitimationsverlust. Denn die Zahl der Steuerzahler, die keiner Kirche angehören, wächst. Ein Drittel der Menschen in Deutschland ist konfessionslos. Hinzu kommen vier Millionen Muslime. Allein in Bayern haben im vergangenen Jahr 180 000 Mitglieder die katholische Kirche verlassen.
Tatsächlich scheint neuerdings wieder Bewegung in die Debatte zu kommen. Denn dass sein Gehalt der Staat bezahlt, mag sogar Bischof Bedford-Strohm nicht verstehen. Und selbst der Papst hat jüngst bei seinem Deutschlandbesuch für eine „Entweltlichung“ der Kirche plädiert. Sie solle sich „von ihrer materiellen Last“ befreien, drängte er seine Bischöfe.
Kirchenrechtler Herrmann sieht darin „hoffnungsvolle Zeichen“. Die Deutsche Bischofskonferenz konterte allerdings prompt: Die Aussagen des Papstes hätten „nichts mit der Abschaffung von konkreten finanziellen Ansprüchen zu tun“. Ihr Vorsitzender Robert Zollitsch signalisierte aber durchaus Gesprächsbereitschaft.
Die kommt auch von der Evangelischen Kirche Deutschlands. Mit der religionspolitischen Arbeitsgruppe der FDP-Bundestagsfraktion will man über eine Ablösung der Staatsleistungen reden – also darüber, wie man sich von den Staatsleistungen freikaufen könnte. Denn nicht nur die Trennung von Kirche und Staat ist im Grundgesetz festgeschrieben. In Deutschland spricht man angesichts der vielfältigen Verflechtungen gerne von einer hinkenden Trennung. Auch die Ablösung der Staatsleistungen ist ein fester Bestandteil, 1949 hat man die entsprechenden Bestimmungen der Weimarer Verfassung mit dem Artikel 140 übernommen. „Seit 90 Jahren gibt es also einen nicht erfüllten Verfassungsauftrag“, erklärt Herrmann. Doch das Bundesinnenministerium warnt davor, sich mit einer einmaligen Milliardenzahlung freizukaufen. Die wirtschaftlichen Folgen seien nicht zu unterschätzen.
„Gerade wurden in Bayern 55 Milliarden Euro zufällig gefunden, dagegen wäre eine solche Ableistung doch ein Klacks“, meint Herrmann süffisant. Er würde einer Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht große Chancen einräumen. „Dafür allerdings gibt es keine politischen Mehrheiten.“ Niemand wolle sich in Deutschland mit den Kirchen anlegen, sagt Herrmann. „Die Franzosen oder Amerikaner aber greifen sich angesichts unseres Systems an den Kopf.“
In Bayern fordern die Landtags-Grünen schon länger die Abschaffung der kirchlichen Privilegien. „Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften muss an die gesellschaftlichen Realitäten angepasst werden“, verlangt deren religionspolitische Sprecherin Ulrike Gote. Auch sie möchte mit den Kirchen eine Verhandlungslösung für die Dotationen finden. Die bayerische FDP kündigte vor einem Jahr an, mit den Kirchen umgehend einen Dialog über eine „grundlegende Neugestaltung“ aufzunehmen. Herausgekommen ist dabei bislang aber nichts.
Regelmäßig betont die bayerische Staatsregierung schließlich, der Freistaat strebe keine Neuordnung des Konkordats an. „Pauschalierungen und Vereinfachung bei den geltenden Regeln zur Besoldung der Bischöfe und der Mitglieder der Domkapitel“, könne man sich zwar vorstellen, hieß es im vergangenen Jahr aus dem Kultusministerium. Die Kirche soll die Besoldung dann selbst regeln können. Gespräche wurden aufgenommen, eine Einigung aber wird erst in Jahren erwartet. Und eine Frage bleibt: Woher kommt das Geld, mit dem die Kirche die Besoldung dann selbst regelt? Herrmann: „Natürlich vom Steuerzahler.“ (Angelika Kahl)

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