Politik

Soll das bayerische Atomkraftwerk Isar 2 weiterlaufen? Technisch sei das möglich, meint der TÜV Süd in einem Papier für das bayerische Umweltministerium. Von wegen, meint das Bundesumweltministerium. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

06.08.2022

Hitzige Diskussion

Bundesumweltministerium sieht gravierende Mängel in der Argumentation der Experten

Die Energiekrise und die Frage des Weiterbetriebs der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke hat in der Politik erhebliche Verwerfungen ausgelöst. Nun streiten Bund und Bayern um ein Detail: die Bewertung einer TÜV-Analyse zum Betrieb zweier Atommeiler im Freistaat. Das Bundesumweltministerium übt harsche Kritik an der Methodik des Papiers und erklärt, dies sei "kein Gutachten". Der interne Vermerk liegt der Deutschen Presse-Agentur vor, zuerst hatte die "Süddeutsche Zeitung" darüber berichtet. Ein Sprecher des bayerischen Umweltministeriums wies die Vorwürfe am Samstag zurück und bezeichnete den TÜV Süd als einen "der renommiertesten und mit Fragen der Kernkraft am besten vertrauten Experten".

Angesichts steigender Preise und drohender Energieknappheit ist eine Debatte um die weitere Nutzung der drei verbleibenden deutschen AKW entbrannt. Das ist auch deshalb umstritten, weil Atomkraft vor allem zur Stromerzeugung genutzt wird, fehlendes russisches Gas hingegen zur Wärmeproduktion. Befürworter argumentieren auch mit möglichen Stromengpässen. Eigentlich ist vorgesehen, dass die verbliebenen Meiler Isar 2 in Niederbayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg zum Jahresende außer Betrieb gehen.

Der Technische Überwachungsverein (TÜV) Süd hatte in seinem Papier vom April - betitelt als "Bewertung", nicht als Gutachten - geschrieben, dass er keine sicherheitstechnischen Bedenken gegen einen Weiterbetrieb von Isar 2 über das Jahresende hinaus habe. Auch eine Wiederinbetriebnahme des Blocks C im bayerischen Gundremmingen sei "aus technischer Sicht möglich".

Papier genügt atomrechtlichen Anforderungen nicht

Die Stellungnahme erfülle "grundlegende Anforderungen an Gutachten und seriöse Sachverständigenaussagen nicht und sollte deshalb nicht zur staatlichen Entscheidungsfindung herangezogen werden", schreibt das Bundesministerium. Das Papier genüge den atomrechtlichen Erfordernissen nicht.

Der Leiter der Ministeriumsabteilung für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz, Gerrit Niehaus, bemängelte in dem Vermerk, die TÜV-Verfasser zögen zu weitreichende Schlussfolgerungen und blieben Belege für bestimmte Aussagen schuldig. An einer Stelle ist von einer "Spekulation" die Rede. An einer anderen heißt es, der Maßstab einer Bewertung werde nicht benannt beziehungsweise "verschleiert".

Der TÜV habe nicht den Auftrag gehabt, "eine umfassende sicherheitstechnische Bewertung abzugeben", komme aber gleichwohl zu dem Ergebnis: "Aus sicherheitstechnischer Sicht bestehen daher gegen den weiteren Betrieb . keine Bedenken." Das betrachtet das Bundesumweltministerium als unzulässig.

Unkalkulierbares Risiko

Der Sprecher des bayerischen Ministeriums erklärte hingegen: "Bei der Bewertung zentraler und entscheidender Fragen sollte auf die bestmögliche Expertise zurückgegriffen werden." Deshalb habe das Ministerium "sowohl ein sicherheitstechnisches als auch ein Rechts-Gutachten" in Auftrag gegeben. Sicherheitsbedenken stünden demnach "einer befristeten Laufzeitverlängerung nicht entgegen".


Der Vorsitzende des Bunds Naturschutz in Bayern hält den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken im Freistaat für ein "unkalkulierbares Risiko". "Wir haben weltweit 600 AKW, sechs von ihnen sind havariert - Harrisburg, Tschernobyl und vier Blocks in Fukushima", sagte Richard Mergner den "Nürnberger Nachrichten" (Samstagausgabe). "Wir haben zudem kein Endlager. Das ist, als ob sie in ein Flugzeug steigen und haben keine Landebahn."

Der Chef des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base), Wolfram König, forderte "eine neue Risikobewertung" der Kernenergie, "auch und gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine", wie er der Fachpublikation "Tagesspiegel Background" sagte. Zuvor war das von Russland eroberte Atomkraftwerk Saporischschja erneut beschossen worden, die Internationale Atomenergiebehörde IAEA ist deshalb besorgt. Die Kriegsgegner beschuldigen sich gegenseitig.

Befristeter Weiterbetrieb

Industriepräsident Siegfried Russwurm mahnte derweil Vorkehrungen für einen möglicherweise über das Jahresende hinaus verlängerten Betrieb deutscher Atomkraftwerke an. "Politik und Wirtschaft sollten alles vorbereiten für einen möglichen befristeten Weiterbetrieb. Und wenn wir ihn dann nicht brauchen, freuen wir uns", sagte der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) der dpa.

Mit Blick auf den diskutierten Streckbetrieb, also die verlängerte Nutzung des aktuellen Brennmaterials, warnte der BDI-Chef: "Die Zeit rennt davon." Während man auf die Ergebnisse des laufenden Stresstests warte, würden weiterhin atomare Brennstäbe verbraucht. "Dann erledigt sich das Thema Streckbetrieb in Kürze von selbst."

Im März gegen Weiternutzung entschieden

Für den Chef des Energiekonzerns Eon, der Isar 2 betreibt, ist eine Weiternutzung "erst einmal erledigt". Darüber habe man im März nochmals mit der Regierung diskutiert, die sich dagegen entschieden habe, sagte Leonhard Birnbaum der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Nun seien die Ergebnisse des laufenden Stresstests im Strommarkt abzuwarten. Die Politik müsse entscheiden. Wenn sie auf dieser Basis zu einer Neubewertung komme, "würden wir sehr ernsthaft versuchen, den Weiterbetrieb des Kernkraftwerks zu ermöglichen".

Zur Frage, ob Eon-Atommeiler, die bereits vom Netz gegangen sind, wieder in Betrieb genommen werden könnten, sagte Birnbaum: "Für diese Anlagen sind die Betriebsgenehmigungen erloschen, und das ist nicht durch einen Federstrich heilbar. Die kann man nicht einfach irgendwie wieder herbeibeamen." Das sei keine relevante Diskussion.
(Martina Herzog, Frederick Mersi und Andreas Hoenig, dpa)

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