Politik

Ein ungleiches Paar: Markus Söder zieht alle Aufmerksamkeit auf sich, für Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger bleibt da nicht mehr viel übrig. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

31.07.2020

Im Schatten Söders

Die Freien Wähler stürzen in Umfragen ab – und sind darüber selbst ziemlich ratlos

Ein Gespenst geht um bei den Freien Wählern. Es trägt den sperrigen Namen „Fünf-Prozent-Hürde“ und tauchte jüngst gleich zweimal auf. Vergangene Woche in der „Bayern-Trend“-Umfrage des BR-Politmagazins Kontrovers und dann diese Woche im Wählercheck von 17:30 SAT.1 Bayern. Auf genau fünf Prozent taxierten die Demoskopen die Freien Wähler (FW) jeweils. Seit der Landtagswahl vor nicht einmal zwei Jahren hat sich der Regierungspartner der CSU damit mehr als halbiert. Wiederholt sich da gerade Geschichte?

Bei Landtagsvizepräsident Wolfgang Heubisch (FDP) jedenfalls werden Erinnerungen wach. 2008 bis 2013 war Heubisch Wissenschaftsminister der schwarz-gelben Koalition, die bei der Landtagswahl 2013 für die Liberalen mit nur 3,3 Prozent der Stimmen in der außerparlamentarischen Opposition endete. Neben negativen bundespolitischen Einflüssen sind für Heubisch dafür zwei Faktoren entscheidend gewesen. Man sei innerhalb der Koalition zu wenig konfrontativ gewesen, um ein erkennbar eigenes Profil auszubilden, und habe eigene Erfolge zu schlecht verkauft. Was das für die Freien Wähler heute bedeutet?

Heubisch ist da ein wenig ratlos. Statt zwei, wie die FDP damals, hätten die Freien Wähler drei Minister – und trotzdem wirke das nicht. Heubisch bescheinigt FW-Landeschef und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, mit seinem Drängen auf schnellere Lockerungen bei den Corona-Beschränkungen die Abgrenzung zu Regierungschef Markus Söder (CSU) zu suchen, „doch das funktioniert auch nicht“. Vielleicht, mutmaßt Heubisch und liegt damit auf Linie mit FW-internen Kritikern, seien die Freien Wähler in ihren Spitzenpositionen „nicht optimal aufgestellt“, um als eigenständige Kraft wahrgenommen zu werden. „Die Wähler müssen sagen, wir brauchen die Freien Wähler als Korrektiv – das fehlt“, diagnostiziert er.

Aiwanger beunruhigt der aktuelle Wasserstand nicht. Sagt er jedenfalls. Politisch werde derzeit alles überlagert von Söders möglicher Kanzlerkandidatur und dem Corona-Management, da bleibe für andere Parteien wie die Freien Wähler „nicht mehr so viel Platz“. Es gehe gerade wenig um den ländlichen Raum oder Straßenausbaubeiträge – Themen, mit denen die FW in der Vergangenheit gepunktet hätten. Dennoch mache man in der Regierung einen „guten Job“, nur dringe kaum nach draußen, „was wir zur Qualitätsverbesserung beitragen“.

Münch: Die FW wirken in der Krise als Störfaktor

Diese Einschätzung deckt sich mit der wissenschaftlichen Analyse von Ursula Münch. Die Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing spricht von einer „Aufmerksamkeitsverzerrung“ zugunsten Söders wegen Corona und der K-Frage. „Aktuell trifft es die Freien Wähler besonders blöd“, urteilt Münch. Zudem hätten diese mit dem Wirtschafts- und dem Bildungsressort Ministerien für sich ausgesucht, die öffentlich gerade kritisch bewertet würden. Im Bildungsbereich sei es schon in normalen Zeiten schwer, wählerwirksam zu agieren.

In der Praxis sieht das dann so aus: In einer Art Umarmungsstrategie lobt Söder die FW-Minister bei jeder Gelegenheit, lässt sie dann aber selbstbewusst an sich abprallen. Den ohnehin grün angehauchten Umweltminister Thorsten Glauber hat Söder beim Volksbegehren „Rettet die Bienen“ noch links überholt. Dem Bildungsminister Michael Piazolo nimmt er die Verkündung wichtiger Entscheidungen ab und lässt ihn dafür im Tagesgeschäft, dem Spannungsfeld der oft widersprüchlichen Interessen von Lehrern, Eltern und Schülern, allein. Und den „Hubert“ lächelt Söder bei Pressekonferenzen wölfisch an, um ihn dann in landesväterlicher Strenge in die Schranken zu weisen.

Laut Münch ist der Status als Juniorpartner in einer Koalition zumeist ohnehin der schwierigere. Man stecke im Dilemma zwischen Profilierung und Loyalität. In Krisenzeiten komme hinzu, dass die Bevölkerung klare und schnelle Entscheidungen wünsche. Wenn da der kleine Koalitionspartner gegen den Strich bürste, komme das in der breiten Öffentlichkeit nicht gut an. Die Freien Wähler wirkten daher in der Corona-Krise mit ihren abweichenden Akzenten als Störfaktor.

Das hat auch Aiwanger schon bemerkt. „Auf der einen Seite erwarten die Leute, dass man wahrgenommen wird, aber sobald man eigene Themen setzt, heißt es schnell, die stören den Koalitionsfrieden“, formuliert er. Aiwanger will deshalb konstruktiv weiterarbeiten und „keinen Aufstand machen, nur um gehört zu werden“. Stattdessen plant er, mit vielen kleinen Themen vor Ort zu punkten. Das sei die große Stärke der Freien Wähler, die sie wegen der Corona-Einschränkungen zuletzt nicht hätten ausspielen können. „Wir hatten ja zuletzt kaum Gelegenheit, uns bei unserer Basis sehen zu lassen“, klagt Aiwanger.

FW-Fraktionschef Florian Streibl wertet die Umfragen als „Signal, das man ernst nehmen muss“, sieht die Ursachen dafür aber auch in der gegenwärtigen Ausnahmesituation. „Es ist eine bittere Pille, dass die breite Zustimmung zur Regierungspolitik ausschließlich bei Söder und der CSU einzahlt“, ärgert sich Streibl. Dabei hätten die Freien Wähler in der Sache „genauso viel Anteil am guten Durchsteuern durch die Krise wie der Ministerpräsident“. Schließlich würden alle Entscheidungen in der Koalition gemeinsam getroffen. Sichtbarer müsse man werden, sagt Streibl, nur wie, weiß auch er nicht. Denn die Minister und die Fraktion täten bereits ihr Bestes.

Hubert Aiwanger will sich nicht kleinkriegen lassen, das Schicksal der FDP fürchtet er nicht. Die Freien Wähler seien bundespolitischen Einflüssen weniger ausgesetzt und kommunal an der Basis viel besser verankert. „Wir stellen 14 Landräte und mehr als 600 Bürgermeister“, zählt Aiwanger auf. „Wenn wir diese Stärke auf die Straße bringen, sind wir wieder da. Wir kurbeln uns schon wieder hoch.“ Noch sind dafür drei Jahre Zeit.
(Jürgen Umlauft)

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