Politik

Auf Transparenten wie diesem machte die CSU klar, wie sich die Zukunft vorstellt: 2013 weiterregieren - und Ude soll zum Teufel gehen. (Foto: dapd)

24.02.2012

In Gottes eigenem Wahlkreis

Stoiber fuchtelt wie eh und je, Seehofer bemüht ambitionierte Vergleiche, Ude juxt im Schongang: Der Aschermittwoch in Bayern

Der Mann, so viel ist klar, hat Entzugserscheinungen: Endlich mal wieder nach Herzenslust mit dem Zeigefinger in der Luft herumbohren, die Arme in die Luft werfen und den Menschen mit Brüll-Pathos die Welt erklären! Beim politischen Aschermittwoch gibt Edmund Stoiber nur verbal den Elder Statesman, verkneift sich Oppositionsattacken und Pöbelsprache. In Mimik und Gestik aber ist er ein Rumpelstilzchen erster Güte. Und irgendwie ahnt man, dass ihm sein Job als Chef-Entbürokrator in Brüssel manchmal ein bisserl fad ist.
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Stoiber schnauft, Stoiber schwitzt, Stoiber schreit. Und kriegt den ganzen Jubel einer CSU ab, die ihn zwar 2007 nicht mehr wollte, mit seinen Nachfolgern Beckstein und Seehofer aber auch nicht glücklich wurde. Ausgerechnet Horst Seehofer bringt es auf den Punkt: „Edmund Stoiber brennt“, ruft er in die Menge. Das trifft es ganz gut, wenngleich Stoiber, vor allem gegen Ende seiner Amtszeit, mitunter für Dinge brannte, die seine CSU erbosten. Wofür brennt Horst Seehofer? Das wüssten sie gern in der CSU. In seiner Aschermittwochsrede jedenfalls werden sie die Antwort darauf nicht finden.
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Das Volk Israel wanderte vierzig Jahre durch die Wüste, bevor es das gelobte Land erreichte. Die Bayern waren da schlauer: Sie ließen sich gleich ins Laptop- und Lederhosenland hineinerschaffen, von der CSU. So dass deren Großer Interimsvorsitzender Horst Seehofer seine wegweisende Rede mit dem schönen Satz beginnen kann: „Grüß Gott in unserm gelobten Land Bayern!“
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„Der Aschermittwoch findet in Gottes eigenem Wahlkreis statt.“ Dass dieser Satz nicht auf Seehofers Mist gewachsen ist, ist klar. Wie um den abwesenden Großplagiator zu belehren, gibt Seehofer selbst die Quelle an: Ein Buch von Herbert Riehl-Heyse. Der Titel wird allerdings schon wieder guttenbergmäßig unterschlagen, er lautet: CSU – Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat. Der Autor schreibt da vom „allmählichen Degenerieren“ der „großen demokratischen Tradition“ des politischen Aschermittwochs: „Zwar wird bei dieser Gelegenheit nie etwas Neues gesagt, aber die vielen bierseligen Bayern und die ganze Atmosphäre mit den stämmigen Kellnerinnen und so geben nun mal so schöne Bilder her, und außerdem weiß jeder, dass der Franz Josef hier in Gottes eigenem Wahlkreis so redet, wie ihm ums Herz ist.“
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Wie bringt man 4000 katholische Konservative dazu, über einen Pastor aus der DDR in Jubel auszubrechen? Stoiber nimmt mehrere Anläufe: Er habe Joachim Gauck bereits 1999 als Bundespräsidenten vorgeschlagen. Keine Reaktion. „Dieser Bundespräsident in spe ist eine sehr gute Wahl, die ich auch persönlich unterstütze!“ Matter Beifall. „Einer, der für Sarrazin ein gutes Wort hat, der gegen die Türkei als Mitglied der EU ist – ja, was soll ich denn gegen den noch haben?“ Stürmischer Applaus. Endlich hat’s der Saal kapiert: Der protestantische Pfarrer macht Front gegen die Türken! Und wird umgehend ins Herz geschlossen.
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Andere europäische Länder regen sich auf, wenn ein CDU-Politiker wie Volker Kauder verkündet, in Europa werde wieder deutsch gesprochen? Pah! Da kann die CSU jederzeit eins draufsetzen: „In Brüssel wird jetzt Bayerisch gesprochen“, droht der Europapolitiker Manfred Weber. Der Passauer Kreisvorsitzende Franz Meyer hingegen, der auch eine kleine Rede halten darf, bleibt bescheiden: „Bayern regiert Deutschland.“ Und Seehofer, der kommissarische Bundespräsident, erklärt, im Schloss Bellevue werde die Amtssprache jetzt „ein bisschen bayerisch eingefärbt“ sein. Nach 1945 gab es in der CSU vehemente Forderungen nach einem eigenen bayerischen Staatspräsidenten. Nun, nach 67 Jahren, erledigt immerhin ein bayerischer Ministerpräsident die repräsentativen Pflichten für die ganze Republik, für ein paar Wochen, nebenbei, ohne Ehrensold.
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Seehofer und Stoiber haben den Staatsmann und den Elder Statesman gegeben, auch wenn sich Stoiber dafür ganz schön in Rage geredet hat. Dann kommt der Dreschflegel in Gestalt von Alexander Dobrindt, dem CSU-Generalsekretär. Der SPD-Vorsitzende Pronold wollte ihn ins Dschungelcamp schicken? Was für eine ungeheuerliche Entgleisung! Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil! Dobrindt: „Wenn ich mich mit Ameisen und Würmern abgeben will, geh ich zur Bayern-SPD!“ Die Halle tobt. Straußens legendäres „Ratten und Schmeißfliegen“-Zitat noch getoppt! Boah ey!
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„Ich bin seit 45 Jahren SPD-Mitglied und jede Woche unterwegs – aber so eine Versammlung habe ich noch nie erlebt.“ SPD-Spitzenkandidat Christian Ude ist nicht der einzige bayerische Sozi, für den solche Menschenmassen bei Parteiveranstaltungen neu sind. 3500 Leute aus dem ganzen Freistaat sind ins eigens aufgestellte Festzelt nach Vilshofen gepilger. Und alles wegen ihm. Schon als er auftaucht, skandieren sie „Ude, Ude“, dazu noch jedes Mal, wenn auch nur am Rande sein Name erwähnt wird, und während seiner Rede sowieso.
Am Rednerpult kommt Ude nur schwer in die Gänge. Ihm fehlt das Bierzelt-Stakkato und die derbe Aschermittwochsrhetorik. Sein schärfster Angriff auf den 62-jährigen Seehofer: „Ich habe zwei Jahre mehr Lebenserfahrung – ich finde, das merkt man auch.“
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Da sind die anderen kesser: Ude, lästert Bayerns Piratenchef Stefan Körner beim Aschermittwochstreffen seiner Truppe in Ingolstadt, „twittert, wie er redet: langsam, bedächtig, und letztlich ohne Inhalt“. FW-Chef Hubert Aiwanger verspottet den reaktivierten Stoiber als „Archäopteryx aus Wolfratshausen“. Und auch der FDP-Bundesvorsitzende Philipp Rösler müht sich redlich im Bierzelt-Sprech: „Wer sich selbst zum Weißwürstchen macht“, textet er, „darf sich nicht wundern, dass er als solches verspeist wird.“ Die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Margarete Bause, zielt auf Seehofers wundesten Punkt und reimt frech: „Da wundert sich der Wetterhahn, wie schnell der Horst sich drehen kann.“ Da mussten selbst CSU-Leute kichern.
(Florian Sendtner, Waltraud Taschner, Jürgen Umlauft)

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