Raimund Becker zählt eher nicht zu den bekanntesten Persönlichkeiten hierzulande. Trotzdem hat das Vorstandsmitglied der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit in einem Zeitungsinterview die Debatte um die Anwerbung ausländischer Fachkräfte wieder angeheizt. Einen Nachholbedarf hat Becker der Bundesrepublik da attestiert. Zwar gebe es gute Ansätze wie die neue „Blue Card“. Leider aber sei Deutschland „noch nicht berühmt für seine Willkommenskultur“. Neben dem Erledigen von Hausaufgaben im Inland ist laut Becker ein „kluges Zuwanderungsmanagement“ nötig, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Die Prognosen sind in der Tat alarmierend. Nach der Studie „Arbeitslandschaft 2030“ der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) werden in Bayern schon 2015 gut 500 000 Fachkräfte fehlen. Bis 2030 soll diese Zahl auf 1,1 Millionen steigen – wenn nicht gegengesteuert wird. Bedenklich sei vor allem das Fehlen von Ingenieuren in der Industrie.
Nun ist es nicht so, dass es Deutschland insgesamt an Zuwanderung mangeln würde. Im ersten Halbjahr 2012 sind laut Bundesamt für Statistik 501 000 Personen nach Deutschland zugezogen – 15 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Abzüglich der Wegzüge hat sich der Wanderungssaldo von 135 000 auf 182 000 Personen erhöht. Knapp 90 Prozent der Zuwanderer waren Ausländer – überwiegend aus der EU – , der Rest deutsche Rückkehrer. Das Problem: Es kommen nicht unbedingt Leute mit den Qualifikationen, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt sind.
Die vbw hat darauf mit einem Fünf-Punkte-Programm reagiert. Einer davon ist die gezielte, an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ausgerichtete Zuwanderung. „Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften lässt sich in den nächsten Jahren nicht aus eigener Kraft decken“, so vbw-Präsident Randolf Rodenstock. Man brauche den Zuzug aus dem Ausland, weil sich aus dem „Heer der Arbeitslosen“ nicht alle zu Ingenieuren nachqualifizieren ließen. Die vbw hat eigene Anwerbeprogramme in Ost- und neuerdings auch in Südeuropa gestartet, der Erfolg ist bislang aber überschaubar. „Es ist leichter gesagt als getan“, fasste Rodenstock die Erfahrungen zusammen. Nötig sei mehr Unterstützung aus der Politik.
Werben mit Alpenkulisse
und Gastlichkeit
Die beiden bayerischen FDP-Minister Martin Zeil (Wirtschaft) und Wolfgang Heubisch (Wissenschaft) gehen die Thematik nun offensiv an. Gemeinsam haben sie das Portal „Work in Bavaria“ eröffnet und mit einer eigenen Geschäftsstelle ausgestattet. Während Heubisch dabei für den Part „Study and stay in Bavaria“ zuständig ist, mit dem ausländische Studierende nicht nur an die Hochschulen in Bayern gelotst, sondern anschließend auch vom Bleiben im Freistaat überzeugt werden sollen, kümmert sich Zeil mit „Return to Bavaria“ um die Rückkehr früher einmal ausgewanderter bayerischer Fachkräfte.
Geworben wird mit Alpenkulisse und Gastlichkeit, aber auch hervorragenden Studienbedingungen und Karrierechancen. Zeil will Bayern zu einem „Magneten für die klügsten Köpfe und besten Talente dieser Welt“ machen. Der Fachkräftemangel sei eine „Wachstumsbremse“, deshalb müsse man in Sachen Anwerbung „ordentlich Gas geben und neue Wege beschreiten“, zum Beispiel durch entbürokratisierte Aufnahmeverfahren. „Wir müssen den Fachkräften auf der ganzen Welt sagen und zeigen, dass die Türen für sie weit geöffnet sind“, so Zeil.
Rodenstocks Mahnungen beeindrucken die CSU nicht groß
Beim Koalitionspartner CSU hört man solch euphorische Töne nicht gern. Dort folgt man der Devise des Vorsitzenden Horst Seehofer, der erst einmal die im Inland vorhandenen Potenziale ausschöpfen will. Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) sieht Chancen in der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was die Erwerbstätigkeit von Frauen erhöhen könnte. Hier sieht sie auch die Unternehmen in der Pflicht, die ihre Anforderungen mehr an den Bedürfnissen der Familien ausrichten müssten und nicht umgekehrt. Reserven würden zudem in der stärkeren Eingliederung Behinderter in die Arbeitswelt und der Qualifizierung bereits hier lebender Ausländer liegen. Das Thema gezielte Zuwanderung hat bei der CSU trotz der mahnenden Worte Rodenstocks keine Priorität.
Bei der vbw hat man den Blick zudem auf die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse gerichtet. Denn es bleiben viele Hochqualifizierte in den Mühlen der Kultus-Bürokratie hängen. Gut 530 000 „Bildungsausländer“ lebten in Bayern, nur jeder siebte davon sei aber wegen seines nicht anerkannten Abschlusses im erlernten Beruf tätig, heißt es in einer weiteren vbw-Studie. Derlei Resourcen dürften nicht vergeudet werden, erklärt vbw-Geschäftsführer Bertram Brossardt.
Und noch eine Stellschraube zur Abmilderung des Fachkräftemangels nennt die vbw: Die Verlängerung der Wochen- und der Lebensarbeitszeit. Punkte, an die sich die Politik bisher nicht traut – schon gar nicht vor wichtigen Wahlen. (Jürgen Umlauft)
Kommentare (3)