Politik

05.12.2019

Jugendstrafrecht: Sollen 18- bis 20-Jährige häufiger wie Erwachsene bestraft werden?

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) fordert, bei Heranwachsenden die Anwendung des Erwachsenenstrafrecht wieder stärker zu beachten. Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek widerspricht: Härtere Sanktionen führen nicht zu einer geringeren Rückfallquote

JA

Georg Eisenreich (CSU), bayerischer Justizminister

Der 18. Geburtstag ist ein besonderer Tag – auch aus rechtlicher Sicht. Ab diesem Tag behandelt uns das Rechtssystem als Erwachsene: Wir können wählen, Verträge schließen, Firmen gründen, heiraten. Mit diesen Rechten gehen aber auch Pflichten einher. Wer als Volljähriger eine Straftat begeht, wird grundsätzlich nach Erwachsenenstrafrecht bestraft. So sieht es das Gesetz eigentlich vor. Nur bei Verzögerungen in der Entwicklung oder typischen Jugendverfehlungen kommt bei 18- bis 20-Jährigen – also bei Heranwachsenden – eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis bestätigt. In der Praxis wird jedoch überwiegend Jugendstrafrecht angewandt: 2018 wurden in Bayern 71,9 Prozent der straffällig gewordenen Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht verurteilt.

Die Entscheidung, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt, hat Folgen. Im Jugendstrafrecht gibt es andere Sanktionen als im Erwachsenenstrafrecht. So gelten etwa die Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts im Jugendstrafrecht nicht. Nach Jugendstrafrecht ist für Mord keine lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen. Auch bei Totschlag, Raub und schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern kann höchstens eine Jugendstrafe von zehn Jahren verhängt werden. Damit bleiben die Höchststrafen im Jugendstrafrecht bei schweren Verbrechen hinter denen des Erwachsenenstrafrechts zurück. Zudem müssen im Jugendstrafrecht besondere Voraussetzungen erfüllt sein, damit überhaupt eine Jugendstrafe verhängt werden kann.

Der Grundgedanke, bei „Jugendsünden“ einen anderen Maßstab anzulegen, ist richtig. Auch wenn im Prozess Verzögerungen in der Entwicklung festgestellt werden, ist die Anwendung von Jugendstrafrecht sachgerecht. Aber in den anderen Fällen sollte der Grundsatz der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht wieder stärker beachtet werden. Es geht nicht um eine Verschärfung geltenden Rechts, sondern um die Art und Weise der Anwendung.

NEIN

Christian Flisek, rechtspolitischer Sprecher der Landtags-SPD

Bereits jetzt wird das Jugendstrafrecht auf Heranwachsende, die bereits volljährig sind und das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur dann angewendet, wenn im Einzelfall der Täter zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand oder es sich bei dem Charakter der Tat um eine Jugendverfehlung handelt. Ob die Voraussetzungen für eine Anwendung des Jugendstrafrechts im konkreten Fall erfüllt sind, wird durch das zuständige Gericht in Zusammenarbeit mit der Jugendgerichtshilfe individuell und nach geltender Rechtslage und höchstrichterlicher Rechtsprechung entschieden. Sind die Tatbestandsmerkmale erfüllt, ist auch bei volljährigen Heranwachsenden zwingend Jugendstrafrecht anzuwenden. Ein Regel-Ausnahmeverhältnis von Erwachsenen- und Jugendstrafrecht ergibt sich aus den Vorschriften keineswegs.

Die steigende Zahl der Verurteilungen nach Jugendstrafrecht ist darauf zurückzuführen, dass die geistige und soziale Entwicklung der Heranwachsenden heutzutage länger dauert und bis weit in das dritte Lebensjahrzehnt reichen kann.

Entgegen der weitläufigen Annahme werden junge Menschen im Jugendstrafverfahren auch nicht geschont. Auch hier gilt: Wer strafrechtlich verantwortlich ist, wird zur Verantwortung gezogen. Allerdings kommt dem Erziehungsgedanken bei der Sanktionierung eine besondere Rolle zu, um eine erneute Straffälligkeit zu verhindern.

Die Wissenschaft ist sich einig, dass die konsequente Umsetzung des Erziehungsgedanken die Resozialisation fördert.

Härtere Sanktionen führen hingegen nicht zu einer geringeren Rückfallquote. Deshalb ist im Bereich der Jugendkriminalität Prävention besonders wichtig. Will man Kriminalität von Heranwachsenden verhindern, muss man ihnen ein sicheres soziales Umfeld, gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion sowie Bildung und Zukunftsperspektiven bieten, damit sie ein selbstbestimmtes Leben als Erwachsene führen können.

Kommentare (1)

  1. Hurgle am 12.12.2019
    Wenn man die Statements JA/NEIN nacheinander liest, kommen einem schon Zweifel, ob beide Autoren von der selben Sache schreiben. Wenn einerseits "2018 ... in Bayern 71,9 Prozent der straffällig gewordenen Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht verurteilt" wurden (Zitat Eisenreich), aber andererseits Jugendstrafrecht auf Heranwachsende "... nur dann angewendet (wird), wenn im Einzelfall der Täter zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand" (Zitat Flisek), dann müsste man sich schon fragen, was mit den 18-21-Jährigen in unserem Land los ist. Noch unverständlicher wird, wieso "die geistige und soziale Entwicklung der Heranwachsenden heutzutage länger dauert" (Zitat Flisek). In welch schlimmer Verfassung ist unsere Jugend und welche Fehler in unserer Gesellschaft oder Erziehung führen dazu, dass es immer schlimmer wird? Wenn nur mehr 20% der 18-21-Jährigen als erwachsen gelten sollen, wäre das ein katastrophaler Zustand einer modernen Gesellschaft und ein allerhöchstes Alarmzeichen. Die Wirklichkeit sieht doch zum Glück anderes aus, wenn man sich in Deutschland umschaut. Die Herabsenkung des Wahlalters für manche Bereiche und der Auto-Führerschein für unter 18-Jährige seit einigen Jahren sprechen doch eine gegenteilige Sprache, was die Einschätzung der jungen Leute betrifft. Und was ist mit den vielen Start-Up-Gründern und Vollberufstätigen unter ihnen? Als Vertreter dieser Altersgruppe (der ich das bei weitem nicht mehr bin) würde ich mich ziemlich beleidigt fühlen. Jugendstrafrecht für Jugendliche und in diesem Sinne jugendlich Zurückgebliebene, mit seiner vorrangig erzieherischen Funktion, ist absolut sinnvoll. darf aber nicht als eine Art Kuschelstrafrecht für Gewalttäter missbraucht werden.
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