Politik

Noch ist die Wasserqualität im Freistaat in den meisten Regionen hervorragend. (Foto: Bilderbox)

27.04.2012

Kampf ums kostbare Nass

Eine geplante EU-Richtlinie bedroht die gute Qualität des bayerischen Trinkwassers

Wer in London in diesen Tagen seinen Wagen mit dem Wasserschlauch abspritzt, für den kann es richtig teuer werden: Bis zu 1200 Euro Strafe müssen Autobesitzer berappen, wenn sie sich über das in der Millionen-Metropole geltende Gartenschlauch-Verbot hinwegsetzen. Ursache für die restriktive Stadtpolitik: Im Süden und Osten Englands droht ein Trinkwassermangel. Seit Wochen regnet es dort kaum noch. Die Pegelstände der Wasserreservoire sanken als Folge dramatisch.
Es ist nicht das erste Mal, dass in London das kostbare Nass knapp wird. Denn im maroden Leitungssystem der britischen Hauptstadt versickert seit Jahren ein großer Teil des durchgeleiteten Wassers. Das Netz ist mittlerweile in einem erbärmlichen Zustand. Schuld ist die Privatisierung der Wasserversorgung in den 1980er Jahren. Die Eigentümerkonzerne sparten das Netz in der Folgezeit schlicht kaputt.
Glaubt man Gewerkschaftern und Bürgermeistern, drohen mittelfristig auch im Freistaat Londoner Verhältnisse. Auslöser der Ängste ist ein Vorschlag der EU-Kommission zur Vergabe von bestimmten Dienstleistungen – darunter auch die Bereitstellung von Trinkwasser sowie die Abwasserentsorgung. Dieser gerade in Brüssel von der Kommission verabschiedete Richtlinienentwurf sieht vor, dass künftig sogenannte Dienstleistungskonzessionen zwingend europaweit ausgeschrieben werden müssen.


Privatisierung stärkt Konzerne

Als Folge müssten Kommunen den billigsten Anbieter beauftragen, erläutert Martin Marcinek, Experte für Wasser- und Entsorgungswirtschaft bei Verdi Bayern. „Vielerorts dürften internationale Großkonzerne den regionalen Stadtwerken dann die Aufträge wegschnappen“, warnt der Gewerkschafter. Doch anders als die gemeinwohlorientierten Stadtwerke wollten Unternehmen „vor allem Profite machen“. Die Zeche zahle am Ende der Kunde. „Die Qualität leidet und mittelfristig steigt nach einer Privatisierung auch der Wasserpreis“, fürchtet Marcinek. Er verweist auf das Beispiel Berlin. Dort zogen die Preise für das kostbare Nass nach einer Teilprivatisierung der Wasserversorgung rapide an.
Auch der bayerische Städtetag schlägt Alarm: „Das Erfolgsmodell der kommunalen Wasserwirtschaft darf nicht auf dem Altar von Liberalisierung und Privatisierung geopfert werden“, mahnt dessen Geschäftsführer Bernd Buckenhofer. Privates Gewinnstreben in der Wasserversorgung würde letztlich auf Kosten der Bürger gehen, ist er überzeugt.
Andrea Gehler, Leiterin des Europabüros der bayerischen Kommunen in Brüssel, fordert, um die bislang gute Trinkwasserversorgung im Freistaat nicht zu gefährden, „den Wasserbereich vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen“. Sie warnt, dass der Freistaat besonders von der geplanten Liberalisierung betroffen wäre. Schließlich gebe es hier noch viele eigenständige Wasserwerke. Tatsächlich sind es vor allem die kleinen lokalen Anbieter, die der Brüsseler Initiative zum Opfer fallen könnten. „Anders als Großkonzerne können und wollen die Stadtwerke nicht einfach über Lohndumping, Leiharbeit und nachlassende Qualität die Kosten drücken“, sagt Verdi-Mann Marcinek. Er fürchtet einen massiven Stellenabbau bei den kommunalen Versorgern.
Vor einem „spürbaren Kaufkraftverlust für die betroffenen Regionen“ warnt Wolfgang Kreissl-Dörfler. Der SPD-Europaabgeordnete fürchtet, dass bei einer Privatisierung der Wasserversorgung ein großer Teil der Wertschöpfung bei anonymen Shareholdern hängen bleibe. „Der Handwerker vor Ort dürfte dann leer ausgehen.“ Zudem leide die Kundentransparenz. „Wenn heute etwas mit meinem Wasseranschluss nicht passt, kann ich den Bürgermeister oder den Stadtwerkechef dafür verantwortlich machen, in Zukunft lande ich womöglich in einem Call-Center in London“, prophezeit der Münchner.
Christiane Berger, stellvertretende Vorsitzende des DGB Bayern, attackiert EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier wegen seines Vorschlags scharf: „Die EU-Kommission macht sich zunehmend zum Büttel privatwirtschaftlicher Interessen zulasten des Gemeinwohls.“ Es gebe keinen Grund, die Wasserversorgung aus der öffentlichen Hand zu geben.
Barniers Büro war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. In den kommenden Monaten verhandelt das EU-Parlament über den Richtlinienentwurf – mit offenem Ausgang. Vor allem Frankreich und viele osteuropäische Staaten drängen auf eine Liberalisierung. Doch Unions- und SPD-Abgeordnete haben bereits ihren Widerstand angekündigt. „Wir brauchen diese Konzessionsrichtlinie nicht“, sagt Markus Ferber, Chef der CSU-Europagruppe. Die Kommunen seien im Bereich der Wasserversorgung leistungsfähig genug. „Die Privaten, die der Gewinnmaximierung unterliegen, können das gar nicht so gut machen.“ Die CSU werde als „Anwalt der Städte und Gemeinden“ sich auch weiterhin gegen die Richtlinie stemmen. (Tobias Lill)

Kommentare (1)

  1. Wassergott am 30.04.2012
    Die Liberalisierung hat es weit gebracht - in London. Bei uns in Bayern ist die Welt noch in Ordnung. Das soll so bleiben.
    Wenn die Talsperren im englichen Westen nicht über den heimischen Wasserhahn, sondern über die löchrigen Netze in London leerlaufen, ist das mehr als bedenklich. Warum?
    In Trinkwassersystemen können je nach Verbrauch und Entnahmestellen auch Unterdrücke auftreten. Umso mehr, je mehr Wasserverluste sie haben. Unsere Systeme in Bayern haben immer Drücke von 5 bar aufwärts. Wenn bei uns ein Rohrbruch auftritt, tritt das Wasser nach außen. Das hygienische System funktioniert. Trotzdem wird der Rohrbruch bei uns sofort repariert, auch weil die öffentliche Sicherheit immer gefährdet ist. Erinnern Sie sich an den Bus, der vor Jahren in München in einem Loch verschwunden ist? Wir reparieren sofort.
    Aber gerade auch aus hygienischen Gründen muss jeder Rohrbruch sofort repariert werden. Wenn Trinkwassernetze undicht sind, sind Unterdrücke in Teilnetzen die Regel. Das bedeutet, dass Grundwasser oder - noch schlimmer - Abwasser ins Trinkwassersystem gelangen kann. Der Unterdruck in der Leitung saugt die Wässer aus dem Erdreich regelrecht an und verschmutzt damit das Trinkwasser in der Leitung. Viren, Bakterien und Parasiten haben zutritt. Das ist eine hygienische Katastrophe. Nur mit einer enormen Chlorzugabe kann der engliche Betreiber versuchen, das Wasser ungefährlich zu halten. Mit Hygiene hat das nichts mehr zu tun. Das ist mehr als unappetitlich und einfach widerlich.
    Wir in Bayern halten unsere Netze in hervorragendem Zustand. Wir liefern Trinkwasser, wie es aus unserer natürlichen Erde kommt. Und unsere Preise sind etwa 200 mal niederiger als jedes Mineralwasser.
    Dieser Problemkreis wäre doch genau das Richtige für investigativen Journalismus, um dem Spuk der Liberalisierung ein schnelles und eindeutiges Ende zu setzen.
    Warum nicht zur Olympiade nach London fahren, ein paar Wasserproben im Hotel ziehen und sie dann mal in einem zertifizierten Labor einer routinemäßigen Analyse nach TrinkwasserVO unterziehen? Ich wäre wirklich gespannt. Übrigens: Die Trinkwasserverordnung gilt am Wasserhahn. Also: No excuses please!
    Noch ein guter Punkt: Während der kürzlichen Unruhen in England haben die Hubschrauber Fernsehbilder aufgenommen. Fast alle brennenden Häuser sind bis auf die Grundmauern abgebrannt. Warum wohl? Weil der Wasserdruck nicht ausgereicht hat, um das zweite Geschoss mit Löschwasser zu erreichen, geschweige denn den Dachstuhl zu löschen. Der Druck im Netz hat wegen der Undichtigkeiten nicht ausgereicht.
    Unser gutes Trinkwasser in Bayern muss im Verantwortungsbereich der Kommunen bleiben. Wir arbeiten effizient und kümmern uns um den Schutz unserer Lebensgrundlagen. Die Preise werden kostendeckend, aber gewinnlos berechnet. Das bayerische Wirtschaftsministerium überwacht die Preise. Unsere Anlagen sind in Ordnung. Hände weg von der Liberalisierung. Das braucht keiner.
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