Politik

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. (Foto: dpa)

26.02.2014

Karlsruhe erhört die kleinen Parteien

Das Verfassungsgericht kassiert die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen. Schon die Wahlen im Mai müssen nach neuen Regeln stattfinden.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen für verfassungswidrig erklärt. Damit gibt es bei der Europawahl im kommenden Mai keine Sperrklausel, die den Einzug kleiner Parteien ins Parlament verhindert. Die Drei-Prozent-Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Drei der acht Richter stimmten gegen die Entscheidung.
Bei Europawahlen kann jeder Mitgliedstaat die Details des Wahlrechts selbst regeln. Die Karlsruher Entscheidung hat keine absehbaren Auswirkungen auf das Wahlrecht bei Bundestags- und Landtagswahlen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2011 die damals geltende Fünf-Prozent-Hürde im Europawahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin beschloss der Bundestag im vergangenen Jahr eine Drei-Prozent-Klausel. Hiergegen klagten 19 Gruppierungen - von der Piratenpartei über die Freien Wähler bis zur rechtsextremen NPD.

Voßkuhle betont den Grundsatz der Chancengleichheit

Das Wahlrecht unterliege einer strengen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, sagte Voßkuhle. Gerade bei der Wahlgesetzgebung bestehe die Gefahr, "dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt".
Die Stimme jedes Wählers müsse grundsätzlich denselben Zählwert und die gleiche Erfolgschance haben, sagte Voßkuhle. "Alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben." Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien erfordere zudem, dass jeder Partei gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden. Ausnahmen seien nur durch gewichtige Gründe zu rechtfertigen.
Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob die Sperrklausel nötig ist, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu erhalten. "Das ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall", sagte Voßkuhle. Dies könne sich allerdings in der Zukunft ändern - etwa, wenn das Europäische Parlament ähnlich wie der Bundestag eine stabile Mehrheit für die Wahl und Unterstützung einer Regierung brauche. Zwar werde eine solche Entwicklung des Europäischen Parlaments angestrebt. "Die Entwicklungen stecken aber hier noch in den Anfängen."
Das Europäische Parlament hat derzeit 766 Mitglieder. Sie werden alle fünf Jahre von den Wahlberechtigten der 28 EU-Mitgliedstaaten gewählt. Aus Deutschland sind 99 Abgeordnete gewählt. Nach der kommenden Europawahl im Mai soll die Zahl der Abgeordneten geringfügig verringert werden. In Deutschland wird am 25. Mai gewählt.

Lob und Tadel für Sperrklausel-Urteil aus Karlsruhe

Das vom Bundesverfassungsgericht beschlossene Aus für die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen ist in der deutschen Politik auf ein geteiltes Echo gestoßen. Bedauern äußerten am Mittwoch CDU/CSU, SPD und die Grünen, die die beanstandete Sperrklausel gemeinsam mit der FDP zu mitternächtlicher Stunde im Bundestag beschlossen hatten. Positiv reagierten hingegen die zahlreichen Kleinparteien, die nach Karlsruhe gezogen waren, sowie die Linke, die schon im Juni im Bundestag gegen die Drei-Prozent-Hürde gestimmt hatte. Die Reaktionen im Überblick:
Die Bundesregierung zeigte sich zurückhaltend. Regierungssprecher Steffen Seibert wollte das Urteil ausdrücklich nicht kommentieren. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) betonte jedoch, Deutschland habe mit Sperrklauseln gute Erfahrungen gemacht. Sie stärkten die Handlungsfähigkeit der Parlamente. Justizminister Heiko Maas (SPD) hob hervor, dass Schutzklauseln auch weiterhin möglich seien.
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl warnte vor einer Zersplitterung des Europaparlaments: "Wenn wir als Deutsche nur 96 Abgeordnete stellen, macht es schon etwas aus, ob diese sich auf sechs oder auf zwölf Parteien verteilen." Die EU-Parlamentarier Herbert Reul (CDU) und Markus Ferber (CSU) warnten vor "Splitterparteien und radikalen Kräften".
SPD-Vize Ralf Stegner bedauerte das Urteil: "Es ebnet den Weg für Rechtspopulisten und Anti-Europäer, von denen es im Europäischen Parlament schon genug gibt." SPD-Bundestagsfaktionschef Thomas Oppermann warnte vor einer Zersplitterung des EU-Parlaments.
Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, beklagte: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeugt von Unkenntnis oder Respektlosigkeit gegenüber dem Europäischen Parlament." Was für den Bundestag als schädlich angesehen werde, gelte im Europaparlament als wünschenswert.
Die Linke begrüßte das Urteil. Ihr Parteivorsitzender Bernd Riexinger twitterte: "Zugangshürden für Parlamente sind Demokratiehürden."
Die euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) sprach von einem guten Signal für die Demokratie in Europa. Zum ersten Mal müssten die Wähler in Deutschland nicht befürchten, dass ihre Stimme womöglich verschenkt sei.
Der Vorsitzende der Piratenpartei, Thorsten Wirth, sagte, mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts sei gewährleistet, "dass bei der kommenden Europawahl nicht wieder - wie vor fünf Jahren - ein erheblicher Teil der Wählerstimmen unter den Tisch fällt".
Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) zeigte sich ebenfalls erfreut: "Das Urteil der Bundesverfassungsrichter stärkt die Demokratie", befand der ÖDP-Vorsitzende Sebastian Frankenberger.
Der stellvertretende Vorsitzende der Freien Wähler, Manfred Petry, hob hervor, jetzt verschwänden weniger Stimmen "von vornherein im Reißwolf".
(dpa)

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