Politik

Umso weniger Schüler in der Klasse, desto besser lernen die Kinder. (Foto: dpa/Murat)

20.09.2019

"Katastrophale Zustände"

Sind Bayerns Klassen zu groß? Darüber gibt es heftigen Streit

Auf die bayerische Bildungspolitik sind die Meiers derzeit nicht gut zu sprechen. Seit Beginn des neuen Schuljahrs vor zwei Wochen sei es, so die elfjährige Christa Meier (Name geändert), für sie extrem schwer, überhaupt noch dem Unterricht zu folgen. Schuld sei der hohe Lärmpegel im Klassenzimmer. Das Mädchen besucht die sechste Klasse eines staatlichen Gymnasiums in München. Das Problem: Ihre Klasse ist in diesem Jahr im Vergleich zur fünften Klasse noch einmal größer geworden. „Wir haben jetzt 33 Kinder in einer Klasse – das ist eine Sauerei“, schimpft Christas Mutter.

Und auch außerhalb der Landeshauptstadt ärgern sich manche Eltern über aus allen Nähten platzende Klassenzimmer. „Die Klassenstärken sind in Bayern oft viel zu groß“, sagt Bernhard Baudler von der Bildungsgewerkschaft GEW. Er spricht aufgrund des latenten Lehrermangels von „katastrophalen Zuständen“. Baudler klagt: „Viele Lehrer gehen nur mehr auf dem Zahnfleisch – und auch die Schüler leiden darunter.“ Auch Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), findet drastische Worte. „Die Hütte brennt.“ Der Freistaat müsse dringend gegensteuern.

Im Hause von Kultusminister Michael Piazolo (FW) kommt man dagegen zu einer anderen Einschätzung. „Die Klassenstärke an den weiterführenden Schulen ist im Freistaat in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken“, sagt ein Ministeriumssprecher. Tatsächlich lag etwa die Klassengröße an Bayerns Gymnasien im vergangenen Schuljahr im Durchschnitt bei rund 25 Kindern – ein Jahrzehnt zuvor waren es noch gut 27 gewesen. An den Realschulen sank deren Zahl im gleichen Zeitraum ebenfalls – von 28 auf 25,4. In den Mittelschulen gab es einen Rückgang von fast 21 auf zuletzt 19 Schüler pro Klasse. An den Grundschulen, wo die Kinder eine besonders intensive Betreuung benötigen, lag die durchschnittliche Klassengröße im Schuljahr 2008/2009 bei rund 22,7 Schülern je Klasse, im vergangenen Jahr waren es exakt 21.

Theaterkurs gestrichen

Zahlen für das laufende Schuljahr gibt es dem Sprecher zufolge noch nicht. In Ministeriumskreisen geht man jedoch davon aus, dass diese „in etwa auf demselben niedrigen Niveau bleiben wie in den vergangenen Jahren“.

Für das Kultusministerium ist klar: „Die Unterrichtsversorgung an den Schulen in Bayern ist auch im Schuljahr 2019/20 gesichert.“ Der Freistaat habe „vorausschauende Maßnahmen ergriffen, um das für die vorhandenen Lehrerstellen erforderliche Personal zu gewinnen“.

Lehrerverbände kontern: Der BLLV verweist auf die enorme Spreizung bei den Klassengrößen. So habe es 2017 bayernweit über 1800 Grundschulklassen mit 26 bis 30 Kindern pro Klasse gegeben und in rund 1000 Gymnasialklassen hätten 31 bis 35 Schüler gesessen. In Einzelfällen habe es sogar Klassenstärken von 36 bis 38 Kindern gegeben. Dabei empfiehlt etwa die GEW eine Klassengröße von gerade einmal zwölf Kindern.

Und das nicht ohne Grund: So hat etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie herausgefunden, dass in Fällen, in denen der Schulträger Klassen mit 20 oder mehr Kindern verkleinerte, die Mädchen und Buben massiv von den kleineren Klassen profitiert hätten. Hier gebe es „einen großen Effekt in Deutsch und in Mathe in Form von besseren Leistungen“. Selbst in schon heute kleinen Klassen gebe es positive Auswirkungen.

Die Grünen sehen Handlungsbedarf

Die Grünen sehen dringenden Handlungsbedarf. Sie fordern für jede Grundschulklasse eine zweite Lehrkraft. BLLV-Chefin Fleischmann hätte diese sogar gerne für alle Regelschulen. Allerdings sollten die Schulen die Lehrer dann je nach Bedürftigkeit verteilen. „In manchen Klassen geht es bei bestimmten Fächern sicher auch mit einem Lehrer gut, in anderen Situationen kann ein dritter Lehrer nötig sein.“ Zwar bestreitet auch der BLLV nicht, dass die Klassenstärken in den vergangenen Jahren kleiner wurden – doch gleichzeitig seien die bildungspolitischen Aufgaben massiv gewachsen. Eine große Herausforderung für die Schulen sei die seit einigen Jahren immer wichtiger werdende Inklusion. Hinzu käme etwa die Integration der Flüchtlinge. „Die größte Herausforderung ist aber die Ganztagesschule“, weiß Fleischmann. BLLV und GEW werfen dem Kultusministerium zudem Taschenspielertricks bei den Berechnungen vor. So sollen an manchen Schulen zusätzliche Kursangebote wie etwa der Theaterkurs oder die Sprachförderung für Migranten gestrichen worden sein, um genug Lehrer für den Kernunterricht zur Verfügung zu haben.

Bei den ersten Klassen kam dem Kultusministerium zudem die Einführung des sogenannten Einschulungskorridors zu Hilfe. Eltern, deren Kinder zwischen dem 1. Juli und dem 30. September 2013 geboren wurden, können demnach seit diesem Schuljahr ihre Kinder ohne weitere Prüfung später einschulen lassen. „Aufgrund des Einschulungskorridors haben sich die rund 2400 Grundschulen auf einmalig 2800 Schulkinder weniger eingestellt“, sagt ein Ministeriumssprecher. Im kommenden Jahr fällt dieser Faktor jedoch wieder weg. Die Zuwanderung von jungen Familien nach Bayern bleibt dagegen ungebrochen, weshalb der Bedarf an Lehrern weiter wachsen dürfte.

Und auch den Gymnasien droht neues Ungemach: In einigen Jahren kommen in den wieder eingeführten G9-Klassen die ersten Schüler in das zweite Kollegstufenjahr. Heinz-Peter Meidinger, Chef des Philologenverbands, fordert deshalb, statt wie bislang 500 bis 700 Gymnasiallehrer jährlich einzustellen: „Wir müssen die mobile Reserve weiter ausbauen.“ Handle der Freistaat nicht, drohten an den Gymnasien spürbar größere Klassen.
(Tobias Lill)

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