Politik

Jugendämter kontrollieren seit einiger Zeit genauer. Um deren Finanzausstattung gibt es Streit. Foto: dapd

14.01.2011

Kinderschutz bringt Kämmerer in Not

Die Ausgaben für die Jugendhilfe und die Integration von Behinderten steigen dramatisch an

Es war eine unangenehme Überraschung, mit der sich die Fürstenfeldbrucker Kreisräte bei ihrer Sitzung Ende November konfrontiert sahen: 800 000 Euro mehr als 2009 musste der Landkreis im vergangenen Jahr an Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche berappen – eine Menge Geld angesichts jüngst weggebrochener Steuereinnahmen. Bereits in den Vorjahren waren die Kosten für Pflegefamilien, Heime und Wohngruppen exorbitant angestiegen. Und das nicht nur in dem westlich von München gelegenen Landkreis.
Auch andernorts im Freistaat explodieren die Ausgaben für die Jugendhilfe. Denn Jugendämter und Richter schauen aufgrund der vermehrten Schlagzeilen über totgeschlagene und verhungerte Babys mittlerweile genauer hin. Immer öfter holen die Behörden Kinder überforderter Eltern aus ihren Familien. Die Kosten für die Jugendhilfe sind laut Bayerischem Städtetag im südlichsten Bundesland deshalb von 2000 bis 2009 um 53 Prozent auf 1,34 Milliarden Euro gestiegen. 1990 waren es noch 281 Millionen Euro gewesen.
Reiner Knäusel, Geschäftsführer des Bayerischen Städtetages, kritisiert, „dass für die Unterbringung in Pflegefamilien oder Heimen fast ausschließlich die Städte und Landkreise zahlen müssen“. Der Bund lasse die Kommunen im Stich.
Und das nicht nur bei der Jugendhilfe. Auch andere Bereiche des Sozialhaushalts der Städte und Landkreise erreichen für die Kämmerer zunehmend bedrohliche Ausmaße. So wuchsen die Ausgaben für Eingliederungshilfen für Behinderte von 2000 bis 2009 um rund 700 Millionen Euro auf 1,93 Milliarden Euro. Selbst nach Abzug der Rückflüsse von anderen Sozialleistungsträgern bleiben laut Statistischem Landesamt noch Netto-Ausgaben von 1,75 Milliarden Euro.
Seit der Wiedervereinigung haben sich die Kosten für die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung vervierfacht. Ursache ist laut Nürnbergs Sozialreferent Reiner Prölß (SPD) die „zunehmende Zahl von Menschen mit Behinderung“.
Rekordverdächtig ist auch der Ausgabenanstieg bei der Förderung der Kindertagesbetreuung: Die Kosten hierfür stiegen im Freistaat von 2000 bis 2008 um 74 Prozent auf 1,86 Milliarden Euro. Alles in allem wuchs der Sozialhaushalt der bayerischen Kommunen laut Städtetag von 2005 bis 2009 um 17 Prozent. Der sonstige Verwaltungshaushalt wuchs Knäusel zufolge dagegen nur um 14 Prozent.


Reiche Eltern sollen zahlen, wenn ihr Kind ins Heim muss


Gleichzeitig sanken die Steuereinnahmen der Kommunen wegen der Finanzkrise massiv. Knäusel fordert die Bundesregierung deshalb zum Handeln auf: „Die Städte und Landkreise brauchen dringend Hilfe.“ Der Bund solle den Kommunen künftig ein Drittel der Sozialkosten abnehmen. „Wer anschafft, muss auch zahlen“, sagt auch Christine Kamm, kommunalpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. Doch der Freistaat müsse ebenfalls mehr Geld geben.
Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) nimmt die Sorgen der Städte ernst: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Kommunen finanziell immer weiter eingeschnürt werden.“ Deren Belastung durch Bundesgesetze habe „sich gerade in den letzten Jahren massiv erhöht“. Die Städte und Gemeinden hätten daher einen Anspruch auf „eine finanziell angemessene Bundesbeteiligung“. So müsse etwa der Anteil des Bundes bei der Grundsicherung für ältere Menschen „deutlich erhöht werden“. Zudem dürfe der Bund die Kommunen bei der Eingliederungshilfe für Behinderte „nicht weiter völlig alleine lassen“.
Bei der Verringerung der Jugendhilfe-Ausgaben sieht Bayerns Sozialministerin auch die betroffenen Eltern in der Pflicht. Die Forderung des Fürstenfeldbrucker Landrats Thomas Karmasin (CSU), dass wohlhabende Eltern finanziell herangezogen werden sollen, wenn ihr Sprössling ins Heim muss, hält sie für angemessen. „Ich habe Verständnis für die Forderung, soweit es um finanziell leistungsstarke Eltern geht“, sagt sie.
Zwar würden schon heute die Eltern bei der Finanzierung etwa eines stationären Heimplatzes oder für die Betreuung durch Pflegeeltern herangezogen. Jedoch wurde die Kostenbeitragsverordnung längere Zeit nicht angepasst. „Ich setze mich daher mit Nachdruck für eine entsprechende Änderung ein, die eine höhere Einzelfallgerechtigkeit durch eine stärkere Heranziehung finanziell leistungsstarker Eltern sicherstellt“, erklärt die Ministerin. Die Vorbereitungen für eine bayerische Bundesratsinitiative laufen laut Haderthauer bereits.
Vorwürfe, Bayern tue selbst zu wenig, um Städte und Gemeinden bei den Sozialkosten zu entlasten, weist sie zurück: „Die Unterstützung der Kommunen bei den Investitionskosten für den Krippenausbau wird uneingeschränkt fortgesetzt.“
Hubert Aiwanger, Fraktionschef der Freien Wähler im Landtag, geht das nicht weit genug. Er fordert den Freistaat auf, den Kommunen einen höheren Anteil an den allgemeinen Steuereinnahmen zukommen zu lassen. Statt wie geplant den Anteil von 12 auf 12,2 Prozent zu erhöhen, müsse dieser auf mindestens 12,5 Prozent steigen. (Tobias Lill)

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