Politik

24.01.2020

Kirchliche Missbrauchsfälle: Lawine der Wahrheit

Ein Kommentar von Florian Sendtner

Eineinhalb Jahre nach der deutschlandweiten Studie zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch katholische Priester zeichnet sich ab, dass kein einziger bayerischer Staatsanwalt Anklage gegen einen der Täter erhebt. Angesichts der Vielzahl der von der Studie festgestellten Fälle – 1670 Pfarrer taten 3677 Minderjährigen sexuelle Gewalt an – ist das verstörend.

Allerdings war kaum etwas anderes zu erwarten. Einerseits sind die horrend anmutenden Zahlen nur die Spitze des Eisbergs, weil nur einige wenige Diözesen auch ältere Personalakten herausrückten; oder es waren, wie etwa in der Diözese München/Freising, Akten geschreddert worden. Andererseits sind viele der priesterlichen Kinderschänder längst tot, und wenn nicht, sind ihre Verbrechen meist verjährt.

Praktisch alle Opfer sexueller Gewalt durch Priester berichten, dass sie sich selbst schuldig fühlten. Kein Wunder: Ihr Peiniger scheint durch die Priesterweihe der menschlichen Sphäre quasi enthoben und kann deshalb einfach kein Vergewaltiger sein; folglich sucht das Opfer die Schuld bei sich selbst.

Das Beste am Pontifikat des bayerischen Papstes war sein Rücktritt

Immerhin, diese plumpe Masche funktioniert seit zehn Jahren nicht mehr ganz so gut. Vor zehn Jahren nämlich hat der Jesuit Klaus Mertes verweigert, was Generationen von Priestern vor ihm ganz selbstverständlich praktiziert hatten: Mertes hat die sexuelle Gewalt an Jugendlichen, die am Berliner Canisius-Kolleg geschehen war, nicht unter den Teppich gekehrt, sondern ist damit an die Öffentlichkeit gegangen. Diese mutige Tat Anfang Februar 2010 hat die Lawine von Enthüllungen sexueller Gewalt ausgelöst, begangen von katholischen Priestern. Endlich, nach Jahrzehnten, fanden ein paar der unzähligen Opfer ihre Stimme wieder.

Überrollt von dieser Lawine der Wahrheit wurden die hochwürdigsten Beschwichtiger, Verschweiger und Vertuscher, allen voran Gerhard Ludwig Müller, der als Bischof von Regensburg im Fall der Missbrauchsopfer noch im Jahr 2010 von einer Medienkampagne schwadronierte. Seine emeritierte Heiligkeit Joseph Ratzinger wiederum fand es 2019 angebracht, als Ursache der priesterlichen Kinderschändung die sexuelle Freizügigkeit der 68er zu nennen. Das Beste am Pontifikat des bayerischen Papstes war sein Rücktritt.

Kommentare (3)

  1. Angelika Oetken am 25.01.2020
    “Ohrfeigen ja, Missbrauch nein”
    cbk69muc, Montag, 11.Januar, 10:52 Uhr

    142. Erkennbare Muster in der Fam. Ratzinger

    Mein Cousin, Jahrgang 1965, war als acht - und neunejähriger dort. Verließ die Schule Knall auf Fall. Weigert sich bis heute, darüber zu sprechen und wird ganz verschlossen, wenn man es versucht.

    Heute recht alte, pensionierte Polizeibeamte Münchens schwören Stein und Bein, während ihrer aktiven Dienstzeit an lauen Sommerabenden niemanden so oft der Heckenreihen des Münchner Hofgartens verwiesen zu haben, wie einen jungen Priester und Theologielehrer, der sich dort von kaum 16jährigen "verwöhnen" ließ. Kaum Papst gewordern, veröffentlich der Mann eine Enzyklika, in der Homosexualität (die er - wie unter katholischen Priestern anscheinend üblich - offensichtlich mit [der eigenen] Pädophilie gleichsetzt) als "schwere Sünde" bezeichnet wird !!!"

    Kommentar zum Artikel "Ohrfeigen ja, Missbrauch nein". BR, online gestellt im Januar 2016. Unter den Stichworten "Regensburger-Domspatzen-Missbrauch-Zwischenstand" im Netz zu finden.
    http://www.br.de/nachrichten/oberpfalz/inhalt/regensburger-domspatzen-missbrauch-zwischenstand-100.html
  2. Angelika Oetken am 25.01.2020
    "Eines zeichne sich schon nach der Auswertung der bereits erschienenen Studien ab: Nur eine Minderheit der Täter in der katholischen Kirche ist tatsächlich pädophil. Ihre Opfer sind überwiegend männlich, oft älter als zwölf Jahre. "Unreife, verdrängte Homosexualität von Männern, die sich in den Priesterberuf flüchten - das könnte schon ein Risikofaktor für Missbrauch sein", sagt Dreßing."

    http://www.sueddeutsche.de/panorama/missbrauch-in-der-katholischen-kirche-warum-es-der-katholischen-kirche-so-schwerfaellt-missbrauch-einzugestehen-1.3593107
  3. Angelika Oetken am 25.01.2020
    Zudem, so Westpfahl, hätte die Kirche zur Vertuschung von Missbrauchsfällen auch gezielt sexuelle Tabus und ein "besonderes Erpressungspotenzial" solcher Themen genutzt.
    https://www.heise.de/tp/news/Gutachten-zum-Sonntag-2010796.html

    Das vom damaligen Münchner Erzbischof Reinhard Marx in Auftrag gegebene Gutachten wird immer noch unter Verschluss gehalten.
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